Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte
Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte
vom 30. April 2025
Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren
Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einer Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte.
Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse als erledigt abzuschreiben:
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| 2021 | M | 20.3419 | Bewahrung der demokratischen Rechte und Stärkung der digitalen Einsatzbereitschaft (S 17.09.2020, Rieder; N 10.06.2021) |
| 2022 | M | 22.3371 | Stimmgeheimnis. Ein Recht für alle (N 07.06.2022, Staatspolitische Kommission des Nationalrates; S 20.09.2022) |
| 2023 | M | 22.3933 | Neuausrichtung des Rechtsmittelwegs bei eidgenössischen Abstimmungsbeschwerden (S 14.12.2022, Stöckli; N 12.06.2023) |
| 2025 | M | 24.3425 | Ersetzung der privaten Wohnadresse als Identifikator der Urheber von Volksinitiativen (N 27.09.2024, Badran; S 20.03.2025) |
Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
| 30. April 2025 | Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Karin Keller-Sutter Der Bundeskanzler: Viktor Rossi |
Übersicht
Das Bundesgesetz über die politischen Rechte (BPR, SR 161.1) soll vor allem im Bereich der eidgenössischen Volksabstimmungen angepasst werden. Weitere Änderun gen betreffen den Rechtsmittelweg bei Wahl- und Abstimmungsbeschwerden, die zu publizierenden Angaben zu Initiativkomitees sowie die Zulassung von Versuchen mit E-Collecting .
Ausgangslage
Das BPR ist ein stabiles Fundament für die Gewährleistung und Ausübung der politischen Rechte. Aufgrund überwiesener parlamentarischer Vorstösse und wegen teilweise veränderten Rahmenbedingungen besteht ein gewisser Revisionsbedarf, dem mit punktuellen Anpassungen Rechnung getragen werden soll.
Inhalt der Vorlage
Die vorliegende Teilrevision des BPR umfasst insbesondere folgende Änderungen:
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In Umsetzung der Motion 20.3419 Rieder soll dem Bundesrat ausdrücklich die Kompetenz eingeräumt werden, eine angesetzte Volksabstimmung zu verschieben oder abzusagen. Die Voraussetzungen dafür sollen hoch sein: Es muss eine schwere Störung der Stimmabgabe, der Ergebnisermittlung oder der Willensbildung der Stimmberechtigten eingetreten sein oder unmittelbar drohen.
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Die Regelung über die Stimmabgabe von Stimmberechtigten mit Behinderungen soll terminologisch überarbeitet und ergänzt werden. Die Stimmabgabe bei eidgenössischen Volksabstimmungen soll künftig so ausgestaltet werden, dass es blinden und sehbehinderten Stimmberechtigten erleichtert wird, unter Wahrung des Stimmgeheimnisses selbstständig abzustimmen (Umsetzung Mo. 22.3371). Der Bund wird den Kantonen künftig Stimmzettel zur Verfügung stellen, die mittels Abstimmungsschablonen ausgefüllt werden können. Die Kantone werden ihrerseits ebenfalls Massnahmen treffen müssen, um die bundesrechtlichen Vorgaben umzusetzen. Sie verfügen diesbezüglich jedoch über Spielraum und müssen nicht alle Stimmkanäle im Sinne der Vorgaben ausgestalten.
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Die Kantonsregierungen sollen grundsätzlich erste Instanz für eidgenössische Wahl- und Abstimmungsbeschwerden bleiben. Im Falle von Unregelmässigkeiten, die sich mutmasslich kantonsübergreifend auswirken oder von einer Verwaltungsbehörde des Bundes ausgehen, soll künftig aber die direkte Beschwerde an das Bundesgericht möglich sein. Die Kantone werden auf diese Weise gezielt entlastet (Umsetzung Mo. 22.3933).
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Der Einsatz technischer Hilfsmittel bei der Ergebnisermittlung - wozu insbesondere das sogenannte E-Counting zählt - soll neu geregelt werden. Dabei geht es auch um die gesetzliche Verankerung der Plausibilitätsprüfung, wie sie von der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) gefordert wird.
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Im BPR soll eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden, die versuchsweise die elektronische Unterschriftensammlung ( E-Collecting ) erlaubt. Die Versuche sollen für fakultative Referenden, Volksinitiativen und Wahlvorschläge für Nationalratswahlen möglich sein
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Die Mitglieder eines Initiativkomitees sollen anstelle ihrer Adresse künftig bloss ihren Wohnort und das Geburtsjahr angeben müssen (Umsetzung Mo. 24.3425). Die Informationen über die Urheberinnen und Urheber einer Volksinitiative sind wie bisher auf den Unterschriftenlisten wiederzugeben und werden im Bundesblatt veröffentlicht.
Die Teilrevision umfasst zudem den Nachvollzug melderechtlicher Entwicklungen bei der Definition des politischen Wohnsitzes, eine Anpassung der Ermittlungs-, Übermittlungs- und Publikationsvorschriften für Abstimmungsergebnisse sowie eine Präzisierung der Entscheidungsregel beim Abstimmungsverfahren mit Volksinitiative und direktem Gegenentwurf (sog. Prozentsummenmodell).
Botschaft
1 Ausgangslage
1.1 Handlungsbedarf und Ziele
Abgesehen von der kürzlich erfolgten Einführung neuer Bestimmungen über die Transparenz bei der Politikfinanzierung wurde das Bundesgesetz vom 17. Dezember 1976 ¹ über die politischen Rechte (BPR) letztmals vor mehr als zehn Jahren einer Teilrevision unterzogen. Auch wenn sich das BPR nach wie vor als stabiles Fundament für die Gewährleistung und Ausübung der politischen Rechte erweist, besteht aufgrund überwiesener parlamentarischer Vorstösse und wegen teilweise veränderten Rahmenbedingungen mittlerweile ein gewisser Revisionsbedarf. Thematisch betreffen die vorgeschlagenen Rechtsänderungen vor allem, aber nicht ausschliesslich, den Bereich der Volksabstimmungen. Die wichtigsten Punkte und Ziele der Revision sind folgende:
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In der ersten Phase der Covid-19-Epidemie kam es auch im Bereich der politischen Rechte zu einschneidenden Einschränkungen. Insbesondere sagte der Bundesrat die auf den 17. Mai 2020 angeordnete Volksabstimmung ab und verordnete den Stillstand der Sammel- und Behandlungsfristen für eidgenössische Volksbegehren. ² Vor diesem Hintergrund hat das Parlament den Bundesrat mit der Motion 20.3419 unter anderem beauftragt, gesetzliche Bestimmungen auszuarbeiten, die dazu beitragen, die Ausübung der politischen Rechte in Krisenzeiten zu gewährleisten (vgl. Kap. 1.2.1). Der vorgelegte Erlassentwurf sieht eine Regelung vor, mit der die Kompetenz zur Absage beziehungsweise Verschiebung einer Volksabstimmung explizit im BPR verankert wird. Die vorliegende Botschaft legt die Gründe dar, weshalb der Bundesrat darauf verzichtet, weitergehende gesetzliche Regelungen vorzuschlagen (vgl. Kap. 1.2.1);
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Sehbehinderte und blinde Menschen können die für die Stimmabgabe bei Wahlen und Abstimmungen notwendigen Handlungen teilweise nicht selbständig ausführen und sind gegenwärtig auf assistierende Personen angewiesen. Mit dem vorliegenden Erlass soll in Umsetzung der Motion 22.3371 eine Vorgabe in das BPR aufgenommen werden, wonach die Verfahren der Stimmabgabe dahingehend weiterentwickelt werden sollen, dass blinden und sehbehinderten Stimmberechtigten das selbstständige Abstimmen insbesondere bei Volksabstimmungen unter Wahrung des Stimmgeheimnisses erleichtert wird. Das grösste Potential für Verbesserungen bietet die elektronische Stimmabgabe, die nach Artikel 8 a BPR gegenwärtig versuchsweise zulässig ist. Im Weitern sollen bei eidgenössischen Abstimmungen künftig Schablonen eingesetzt werden können.
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Der Rechtsmittelweg bei Abstimmungs- und Wahlbeschwerden (Art. 77 BPR) führt gegenwärtig in erster Instanz stets über die Kantone und verlangt auch dann einen formellen Beschwerdeentscheid der Kantonsregierung, wenn Unregelmässigkeiten gerügt werden, die sich in mehreren Kantonen auswirken oder die von einer Verwaltungsbehörde des Bundes ausgehen. Mangels Zuständigkeit können die Kantonsregierungen aber nicht auf entsprechende Beschwerden eintreten. Im Falle einer Anfechtung des kantonalen Nichteintretensentscheids obliegt es dem Bundesgericht in der Sache zu entscheiden. In entsprechenden Fällen erweist sich das Beschwerdeverfahren weder für die Beschwerdeführenden noch für die kantonalen Behörden als zufriedenstellend und ist auch einer raschen Beurteilung (und ggf. Behebung) der geltend gemachten Unregelmässigkeiten abträglich. Auch das Bundesgericht hat in der Vergangenheit wiederholt auf diese verfahrensrechtlichen Unzulänglichkeiten hingewiesen. ³ Der Bundesrat schlägt nun in Umsetzung der Motion 22.3933 vor, die Kantone zu entlasten, indem künftig in den genannten Fällen direkt beim Bundesgericht Beschwerde geführt werden kann. Die Neuordnung des Rechtsmittelweges bedingt auch Änderungen des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 ⁴ über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG).
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Das elektronische Sammeln von Unterschriften (E-Collecting) war von Beginn an als dritte (fakultative Referenden und Volksinitiativen auf Bundesebene) und vierte (Wahlvorschläge für die Nationalratswahlen) Phase des Projekts «Vote électronique» vorgesehen. ⁵ Im Zusammenhang mit dem Bekanntwerden von mutmasslich gefälschten Unterschriften für eidgenössische Volksinitiativen nahmen mehrere Motionen ⁶ das Anliegen auf und forderten, die Arbeiten für Versuche mit bzw. die Einführung von E-Collecting an die Hand zu nehmen. Der Bundesrat nahm am 20. November 2024 zu den Motionen Stellung und legte gleichentags einen Bericht zu E-Collecting vor, den er in Erfüllung des Postulats 21.3607 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates «Elektronisches Sammeln von Unterschriften für Initiativen und Referenden» erstellt hatte. Er erklärte sich dazu bereit, Grundlagen zu erarbeiten, die begrenzte praktische Versuche mit der elektronischen Unterschriftensammlung ermöglichen sollen. Gleichzeitig nahm er die Arbeiten zur Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für Versuche mit E-Collecting an die Hand, die er der Bundesversammlung im Zuge der vorliegenden Botschaft nun vorlegt.
Als weiteren Revisionspunkt sieht der Erlassentwurf vor, den Einsatz technischer Hilfsmittel bei der Ergebnisermittlung - wozu insbesondere das sogenannte E-Counting zählt - neu zu regeln (Art. 84 E-BPR). Dabei geht es auch um die Verankerung der Plausibilitätsprüfung, wie sie von der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) gefordert wurde. ⁷ Der Bundesrat hat bereits 2018 entsprechende regulatorische Änderungen ausgearbeitet, die in der Vernehmlassung auf breite Zustimmung stiessen. ⁸ Die Vorlage wurde aber zugunsten einer Fortführung des Versuchsbetriebs mit der elektronischen Stimmabgabe nach der Vernehmlassung nicht weiterverfolgt. ⁹ Der vorliegende Entwurf übernimmt die damals für den Einsatz technischer Hilfsmittel vorgeschlagenen Rechtsänderungen.
Damit die Mitglieder eines eidgenössischen Initiativkomitees von den Stimmberechtigten identifiziert werden können, müssen diese nach Artikel 68 Absatz 1 Buchstabe e BPR auf den Unterschriftenlisten ihre Namen und Adressen angeben. Die Angabe der Wohnadresse führt insbesondere bei öffentlich exponierten Personen gelegentlich zu Sicherheitsbedenken. Auf Gesuch von Betroffenen hat die Bundeskanzlei in der Praxis denn auch alternative Adressangaben (z. B. Geschäftsadressen, Postfächer usw.) zugelassen. Infolge der Motion 24.3425 und im Hinblick auf Gleichbehandlungsüberlegungen soll die Identifikation der Mitglieder eines Initiativkomitees künftig generell mit anderen Angaben sichergestellt werden. In Zukunft soll es ausreichen, dass die betreffenden Personen neben ihren Namen, den Wohnort sowie das Geburtsjahr angeben.
Die geplante Revision umfasst zudem den Nachvollzug melderechtlicher Entwicklungen bei der Definition des politischen Wohnsitzes, eine Anpassung der Ermittlungs-, Übermittlungs- und Publikationsvorschriften für Abstimmungsergebnisse (Plausibilitätsprüfung, Berücksichtigung digitaler Übermittlungskanäle und elektronische Amtsblätter) sowie eine Präzisierung der Entscheidungsregel beim Abstimmungsverfahren mit Volksinitiative und direktem Gegenentwurf (sog. Prozentsummenmodell).
¹ SR 161.1
² Vgl. Medienmitteilung des Bundesrates vom 18.03.2020: verfügbar unter
www.bk.admin.ch
> Dokumentation > Medienmitteilungen > Coronavirus: die eidgenössische Volksabstimmung vom 17. Mai 2020 wird nicht durchgeführt.
³ Siehe z. B. Urteil des Bundesgerichts 1C_225/2022 vom 14. Juli 2022 E. 4.2
⁴ SR 173.110
⁵ Bericht des Bundesrates vom 9. Januar 2002 über den Vote électronique; Chancen, Risiken und Machbarkeit elektronischer Ausübung politischer Rechte ( BBl 2002 645 , 651 f., 673f.); Bericht des Bundesrates vom 31. Mai 2006 über die Pilotprojekte zum Vote électronique ( BBl 2006 5459 , 5533 ); Bericht des Bundesrates vom 14. Juni 2013 zu Vote électronique; Auswertung der Einführung von Vote électronique (2006-2012) und Grundlagen zur Weiterentwicklung ( BBl 2013 5069 , 5209 f.).
⁶ Mo. 24.3851, Mo. 24.3905, Mo. 24.3907, Mo. 24.3908, Mo. 24.3909, Mo. 24.3910, Mo. 24.3911, Mo 24.3912, Mo. 24.4006
⁷ Vgl. Bericht der GPK-N vom 05.09.2017 ( BBl 2018 149 ) und Stellungnahme des Bundesrates vom 01.12.2017 ( BBl 2018 203 ) sowie Kurzbericht der GPK-N vom 23.03.2018 ( BBl 2018 3173 ) und Stellungnahme des Bundesrates vom 16.05.2018 ( BBl 2018 3179 ).
⁸ Vgl. Vernehmlassung über eine Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte (Überführung der elektronischen Stimmabgabe in den ordentlichen Betrieb). Ergebnisbericht vom 18.06.2019, S. 18; verfügbar unter
www.fedlex.admin.ch
>Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2018 > BK > Vernehmlassung 2018/92.
⁹ Vgl. Medienmitteilung des Bundesrates vom 27.06.2019: verfügbar unter
www.bk.admin.ch
> Dokumentation > Medienmitteilungen > E-Voting: Bundesrat richtet Versuchsbetrieb neu aus und stellt Einführung als ordentlicher Stimmkanal zurück.
1.2 Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung
1.2.1 Umsetzung der Motion 20.3419 Rieder «Bewahrung der demokratischen Rechte und Stärkung der digitalen Einsatzbereitschaft»
Die Motion 20.3419 Rieder fordert Massnahmen zur Gewährleistung der Handlungsfähigkeit des Staates und der Ausübung der demokratischen Rechte in Krisenzeiten. Neben der Förderung der digitalen Kompetenz fordert sie, den Stillstand von politischen Fristen sowie das Verschieben von Volksabstimmungen und Wahlen in einem ordentlichen Bundesgesetz zu regeln. Die Forderung nach einer Förderung der digitalen Kompetenz wird als Appell und Auftrag verstanden, die laufenden gesetzgeberischen, organisatorischen und projektbezogenen Digitalisierungsvorhaben auf allen Ebenen voranzutreiben. Mit der vorgeschlagenen gesetzlichen Grundlage für Versuche mit E-Collecting wird dazu ein konkreter Beitrag geleistet.
Die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Verschiebung der Nationalratswahlen sowie Regelungen über den Stillstand politischer Fristen (Sammel- und Behandlungsfristen von Volksinitiativen und Referenden auf Bundesebene) wurde verworfen. Im Zusammenhang mit den Nationalratswahlen ist der gesetzgeberische Handlungsspielraum insofern beschränkt, als dass die Amtsdauer (Art. 145 BV) und die Dauer der Legislaturperiode (Art. 149 Abs. 2 BV) durch die Bundesverfassung auf vier Jahre festgelegt sind. Auch die Sammelfristen für fakultative Referenden und Volksinitiativen sind verfassungsrechtlich geregelt (Art. 138 Abs. 1, Art. 139 Abs. 1, Art. 141 Abs. 1 BV), was einem gesetzlich geregelten Fristenstillstand ebenfalls enge Grenzen setzen würde. Die Fristen für die Behandlung von Volksinitiativen durch Bundesrat und Parlament sind hingegen im Parlamentsgesetz 1⁰ verankert (insb. Art. 97, 100, 105 und 106 ParlG). Im Rahmen der kürzlich erfolgten Revision des Parlamentsgesetzes zur Stärkung der Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisensituationen 1¹ haben die eidgenössischen Räte darauf verzichtet, einen Mechanismus zum Stillstand der (eigenen) Behandlungsfristen vorzusehen. Soweit ersichtlich beruht der Verzicht auf eine Regelung nicht darauf, dass ein entsprechender Regelungsvorschlag in Umsetzung der Motion 20.3419 Rieder erwartet wird. Vielmehr zielen die beschlossenen Massnahmen darauf ab, die Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisenzeiten zu stärken, um nicht in eine Situation zu geraten, in der ein Fristenstillstand erforderlich wäre.
Im Weiteren hat der Bundesrat auch die Aufnahme einer Bestimmung geprüft, die es ihm in bestimmten Krisensituationen erlauben würde, nicht weiter spezifizierte Massnahmen zur Gewährleistung der politischen Rechte zu ergreifen. Entsprechende gesetzliche Ermächtigungen sind bereits in anderen Spezialgesetzen vorgesehen. ¹2 Gestützt auf eine solche Krisenbewältigungsbestimmung könnten nicht nur Einschränkungen der politischen Rechte (Absage Urnengang, Fristenstillstand) beschlossen werden, sondern auch Massnahmen, die der Gewährleistung ebendieser Rechte im Krisenfall dienen (z. B. Anordnung der ausschliesslich brieflichen Stimmabgabe bei Abstimmungen und Wahlen, Erleichterungen bei Unterschriftensammlungen etc.). Der Bundesrat könnte also allfällige Massnahmen im sensiblen Bereich der politischen Rechte gestützt auf eine spezialgesetzliche Grundlage beschliessen und müsste dazu nicht auf Notverordnungsrecht nach Artikel 185 Absatz 3 BV zurückgreifen.
Damit in den denkbaren Krisensituationen wirksame (Gegen-)Massnahmen ergriffen werden könnten, müsste der Handlungsrahmen weit gefasst werden. Gleichzeitig wäre aber gerade im Bereich der politischen Rechte eine umfassende Kompetenzdelegation demokratiepolitisch problematisch. Zudem wäre es denkbar, dass in der Auseinandersetzung im Vorfeld von Abstimmungen und Wahlen auch bei geringfügigen oder lediglich vermuteten Unregelmässigkeiten die politisch motivierte Forderung gestellt würde, dass gestützt auf eine Krisenbewältigungsbestimmung Massnahmen zu ergreifen seien.
Schliesslich kann auch festgehalten werden, dass sich die föderale Aufgabenteilung und die rechtlichen Grundlagen im Bereich der politischen Rechte in der Covid-19-Epidemie grundsätzlich bewährt haben. Nachdem der Bundesrat den Urnengang vom 17. Mai 2020 absagen musste, hat die Bundeskanzlei zusammen mit den Kantonen begleitende Massnahmen für die Abstimmung vom 27. September 2020 erarbeitet. Dabei zeigte sich, dass gerade in den Bereichen der Stimmabgabe und der Ergebnisermittlung bereits ein gewisser Handlungsspielraum besteht, um auf allfällige unvorhersehbare Ereignisse zu reagieren.
1⁰ Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG; SR 171.10 ).
1¹ Änderung vom 17.03.2023 des Bundesgesetzes über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG) (Verbesserungen der Funktionsweise des Parlamentes, insbesondere in Krisensituationen) ( AS 2023 483 ). Für die parlamentarische Behandlung siehe: www.parlament.ch > Ratsbetrieb > Curia Vista > Suche > 20.437.
¹2 Beispiele sind etwa die Artikel 6 und 7 des Epidemiengesetzes ( SR 818.101 ) und die Artikel 31-34 des Landesversorgungsgesetzes ( SR 531 ). Siehe auch Anhang 2 des Parlamentsgesetzes, der die Bestimmungen auflistet, die gesetzliche Ermächtigungen zur Bewältigung einer Krise enthalten.
1.2.2 Neuausrichtung des Rechtsmittelwegs
Der Bundesrat schlug in der Vernehmlassung bereits vor, die Motion 22.3933 Stöckli «Neuausrichtung des Rechtsmittelwegs bei eidgenössischen Abstimmungsbeschwerden» durch die Schaffung einer direkten Wahl- und Abstimmungsbeschwerde an das Bundesgericht (Direktprozess) umzusetzen. Die Regelung stiess in der Vernehmlassung insbesondere beim Bundesgericht auf Ablehnung, weil sich der Rechtsmittelweg damit künftig gabeln würde und Rechtsunsicherheiten für die Rechtssuchenden entstehen könnten. Angesichts der Kritik des Bundesgerichts wurde zusammen mit Fachpersonen aus den Kantonen, Vertretern der Staatsschreiberkonferenz (SSK) und einem Vertreter des Zentrums für Demokratie Aarau (ZDA) eine alternative Regelung diskutiert, die in der Vernehmlassung bereits skizziert und von zwei Teilnehmenden der Vernehmlassung als vorzugswürdig erachtet wurde. Diese Regelung hätte anstelle der direkten Wahl- und Abstimmungsbeschwerde an das Bundesgericht vorgesehen, dass Wahl- und Abstimmungsbeschwerden wie bisher stets bei den Kantonen eingereicht werden müssen. Die Kantone hätten die Beschwerde aber zur Beurteilung an das Bundesgericht überweisen müssen, wenn sich die gerügten Unregelmässigkeiten mutmasslich kantonsübergreifend auswirken oder von einer Verwaltungsbehörde des Bundes verursacht worden sind. Die Kantone wären überdies verpflichtet gewesen, die Beschwerdeakten mit Hinweisen zu ergänzen, die dem Bundesgericht bei der Feststellung des Sachverhalts dienlich sind, insbesondere im Hinblick auf die Beurteilung der Beschwerdelegitimation und der Einhaltung der Beschwerdefrist. Die vom Bundesgericht kritisierte Gabelung des Rechtsmittelwegs hätte damit verhindert werden können und die Beschwerdeführung wäre für die Rechtsuchenden insofern einfacher ausgestaltet gewesen. Auf der anderen Seite wäre die Entlastung der Kantone geringer ausgefallen und häufig hätte die Regelung zu unnötigem administrativem Aufwand und Zeitverlust geführt. Ausserdem wäre in prozessrechtlicher Hinsicht fragwürdig gewesen, weshalb die Beschwerde bei einer Stelle eingereicht werden muss, welche die Beschwerde rechtlich nicht beurteilen darf. Nahliegender und bürgerfreundlicher ist vielmehr, dass man sich direkt an diejenige Instanz wendet, die dies tun kann.
Eine weitere Variante für die Neuausrichtung des Rechtsmittelwegs wäre, ein Gericht wie z. B. das Bundesverwaltungsgericht als erste Instanz bei eidgenössischen Wahl- und Abstimmungsbeschwerden einzusetzen. Dies würde die Rechtsweggarantie stärken und das Bundesgericht gleichzeitig weniger belasten, weil es den Sachverhalt - wie auf dieser Ebene eigentlich üblich - nicht selbst abklären müsste und wohl auch nicht alle Beschwerdeentscheide weitergezogen würden. Das Bundesgericht sprach sich in der Vernehmlassung denn auch für diese Ausgestaltung des Rechtsmittelwegs aus. Das Verfahren der Wahl- und Abstimmungsbeschwerde würde aufgrund der Möglichkeit der doppelten gerichtlichen Prüfung gegenüber heute jedoch verlängert, obschon in aller Regel Eile geboten ist. Dies sollte vermieden werden.
1.3 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates
Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 24. Januar 2024 ¹3 zur Legislaturplanung 2023-2027 noch im Bundesbeschluss vom 6. Juni 2024 ¹4 über die Legislaturplanung 2023-2027 angekündigt. Auslöser der Teilrevision des BPR sind vorab parlamentarische Aufträge (vgl. Kap. 1.1), die im Laufe der Legislaturperioden 2019-2023 und 2024-2027 ergangen sind. Es besteht zudem kein direkter Bezug zu Strategien des Bundesrates.
¹3 BBl 2024 525
¹4 BBl 2024 1440
1.4 Erledigung parlamentarischer Vorstösse
In Kapitel 1.2 wird detailliert dargelegt, wie die Motionen 20.3419 und 22.3933 im Erlassentwurf umgesetzt wurden und weshalb respektive inwiefern die Aufträge nicht wortlautgetreu erfüllt werden. Die Kapitel 2.2, 2.3 und 3.1.3 erörtern die Umsetzung der Motion 22.3933, die Kapitel 1.1 und 4 diejenige des Auftrags der Motion 24.3425.
2 Vernehmlassungsverfahren
2.1 Vernehmlassungsvorlage
Der Bundesrat eröffnete am 15. Dezember 2023 die Vernehmlassung zum Vorentwurf. Die Artikel 3, 10, 14, 75 a , 76, 77, 80 und 84 E-BPR und die Artikel 88, 100 und 101 a E-BGG waren praktisch unverändert im Vorentwurf enthalten, weshalb für den Inhalt der Bestimmungen auf die entsprechenden Ausführungen in Kapitel 4 verwiesen werden kann.
In Bezug auf Stimmberechtigte mit Behinderungen schlug der Bundesrat im Vorentwurf eine Pflicht vor, die Stimmzettel so auszugestalten, dass sie von blinden und sehbehinderten Stimmberechtigten unter Wahrung des Stimmgeheimnisses selbstständig ausgefüllt werden können (Art. 6 Abs. 2 VE-BPR). Die Bestimmung sollte die Grundlage schaffen, damit blinde und sehbehinderte Stimmberechtigte bei eidgenössischen Volksabstimmungen schweizweit Schablonen als Hilfsmittel verwenden können.
Neben der erläuterten direkten Wahl- und Abstimmungsbeschwerde an das Bundesgericht schlug der Bundesrat im Vorentwurf die freie Sachverhaltsprüfung durch das Bundesgericht vor, wenn Beschwerden die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen oder Volkswahlen und -abstimmungen betreffen und kein Entscheid einer gerichtlichen Vorinstanz angefochten wird.
2.2 Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens
Insgesamt liessen sich alle Kantone, 6 politische Parteien, der Gemeindeverband, 2 Wirtschaftsverbände, das Bundesgericht sowie 14 weitere Organisationen und interessierte Kreise vernehmen. Die Teilnehmenden begrüssten den Vorentwurf des Bundesrates grösstenteils. Der Ergebnisbericht fasst die Eingaben zusammen und ist auf der Publikationsplattform des Bundesrechts veröffentlicht. ¹5 Kritische Rückmeldungen gingen vorab bezüglich der Änderungen im Bereich der Stimmabgabe von Stimmberechtigten mit einer Behinderung und bezüglich der Neuausrichtung des Rechtsmittelwegs ein.
Die Kantone stehen einer Einführung von Abstimmungsschablonen offen gegenüber, erachten jedoch die Pflicht, sämtliche Stimmzettel schablonentauglich zu machen, als problematisch. Eine solche Standardisierung führe in Kantonen, die maschinenlesbare Stimmzettel einsetzen (E-Counting), zu grossen Umsetzungsproblemen. Sie schlagen daher vor, die Bestimmung dahingehend anzupassen, dass blinden und sehbehinderten Stimmberechtigten die selbstständige Stimmabgabe auch mit alternativen Massnahmen wie der elektronischen Stimmabgabe ermöglicht werden kann. Weitere Teilnehmende an der Vernehmlassung regen an, den Grundsatz in das BPR aufzunehmen, dass Stimmberechtigte mit einer Behinderung ihre Stimme selbstständig abgeben können. Namentlich seien die Stimmrechtsausweise so auszugestalten, dass sie von blinden und sehbehinderten Stimmberechtigten selbstständig ausgefüllt und unterschrieben werden können.
Die Kantone und, soweit sie sich dazu äussern, auch die politischen Parteien begrüssten die vorgeschlagene Neuausrichtung des Rechtsmittelwegs. Das Bundesgericht und zwei Einzelpersonen äussern sich hingegen kritisch zum Vorentwurf, weil der vorgeschlagene Direktprozess zu einer Gabelung des Rechtsmittelwegs führen und Rechtsunsicherheiten bei den Rechtssuchenden schaffen könnte. Das Bundesgericht lehnt ausserdem die vorgesehene Erweiterung der Sachverhaltsprüfung bei Beschwerden in Stimmrechtssachen ab.
¹5
www.fedlex.admin.ch
> Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2023 > BK > Vernehmlassung 2023/15
2.3 Würdigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens
Der Handlungsbedarf ist anerkannt, auch in jenen Bereichen, die in der Vernehmlassung auf Kritik stiessen. In Bezug auf die Stimmabgabe von blinden und sehbehinderten Stimmberechtigten sollte nach Ansicht des Bundesrates sowohl den Kantonen als auch den Behindertenorganisationen entgegengekommen werden. Die Vorgaben im BPR sollten so formuliert werden, dass die Kantone Spielraum haben, wie sie blinden und sehbehinderten Personen das selbstständige Abstimmen bei eidgenössischen Volksabstimmungen unter Wahrung des Stimmgeheimnisses erleichtern.
Die Kritik bezüglich des vorgeschlagenen Direktprozesses bei Wahl- und Abstimmungsbeschwerden ist grundsätzlich nachvollziehbar. Gleichzeitig dürfte in der Praxis doch eher selten umstritten sein, an welche Instanz sich die Rechtssuchenden wenden müssen. Den Beschwerdeführenden entstehen jedoch keine rechtlichen Nachteile, wenn sie die Beschwerde bei der unzuständigen Instanz einreichen. Die Frist wird gemäss Artikel 48 Absatz 3 BGG auch in einem solchen Fall gewahrt. Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass sowohl an die Kantonsregierung als auch an das Bundesgericht Beschwerde geführt wird und ein gewisser Koordinationsbedarf entsteht. Solche Konstellationen kommen aber auch nach geltendem Recht hin und wieder vor. In der Vergangenheit wurden überdies teilweise in verschiedenen Kantonen identische Beschwerden eingereicht und in der Folge an das Bundesgericht weitergezogen, wo die Verfahren dann vereinigt wurden. Mit der direkten Wahl- und Abstimmungsbeschwerde an das Bundesgericht dürften solche Mehrfachbeschwerden zurückgehen, was den administrativen Aufwand insgesamt senken würde. Aus Sicht des Bundesrates ist der Direktprozess den in Ziffer 1.2.2 skizzierten alternativen Regelungen aus den bereits dargelegten Gründen insgesamt vorzuziehen. Hingegen verzichtet die vorliegende Revision darauf, die Sachverhaltsprüfung durch das Bundesgericht zu erweitern, falls Beschwerden die politische Stimmberechtigung oder Volkswahlen und -abstimmungen betreffen, aber kein Entscheid einer gerichtlichen Vorinstanz angefochten wird. Damit wird der Kritik des Bundesgerichts Rechnung getragen.
2.4 Änderung der Vorlage nach der Vernehmlassung
2.4.1 Aufgrund der Vernehmlassungsergebnisse
Die Artikel 3, 10, 14, 75 a , 76, 77, 80 und 84 VE-BPR sowie die Artikel 88, 100 und 101 a VE-BGG wurden unverändert oder mit geringfügigen Anpassungen in den vorliegenden Erlassentwurf übernommen.
Die im Vorentwurf in Artikel 97 Absatz 1bis und Artikel 105 Absatz 2bis VE-BGG vorgesehene Erweiterung der Sachverhaltsprüfung durch das Bundesgericht wurde nicht in den Erlassentwurf aufgenommen.
Anstelle der im Vorentwurf vorgesehenen Pflicht, die Stimmzettel bei eidgenössischen Volksabstimmungen zugunsten von blinden und sehbehinderten Stimmberechtigten auszugestalten, soll ein breiter gefasster Ansatz treten. Demnach sollen Bund und Kantone generell dazu verpflichtet werden, Massnahmen zu treffen, die es blinden und sehbehinderten Personen insbesondere bei eidgenössischen Volksabstimmungen erleichtern, ihre Stimme unter Wahrung des Stimmgeheimnisses abzugeben (vgl. Kap. 3.1.2).
2.4.2 Weitere Änderungen
Die Bestimmungen in den Artikeln 68 E-BPR (Angaben zu den Mitgliedern der Initiativkomitees) und 84 a E-BPR (Versuche mit der elektronischen Unterschriftensammlung) wurden nach der Vernehmlassung in die Vorlage aufgenommen. Die Regelung von Artikel 68 E-BPR entspricht der im Parlament breit abgestützten Forderung der Motion 24.3425 Badran «Ersetzung der privaten Wohnadresse als Identifikator der Urheber von Volksinitiative». Diese Motion wurde vom Nationalrat und vom Ständerat angenommen. Die vorgeschlagene Änderung tangiert die Kantone nicht und kann von der BK einfach umgesetzt werden. Die mit Artikel 84 a vorgesehene Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für Versuche mit E-Collecting geniesst ebenfalls eine breite politische Unterstützung. Insgesamt wurden neun teilweise gleichlautende Motionen eingereicht, die eine zeitnahe Aufnahme entsprechender Vorhaben fordern. ¹6 Zwei der Motionen nahm der Ständerat am 11. Dezember 2024 an. ¹7 Die konkreten Modalitäten der Versuche mit E-Collecting werden in den Ausführungsbestimmungen geregelt, die der Bundesrat zu gegebener Zeit erlassen wird. Diese sollen gemäss Planung Gegenstand eines Vernehmlassungsverfahrens sein.
¹6 Mo. 24.3851, Mo. 24.3905, Mo. 24.3907, Mo. 24.3908, Mo. 24.3909, Mo. 24.3910, Mo. 24.3911, Mo. 24.3912 und Mo. 24.4006
¹7 AB 2024 S 1183 ff.
1 Grundzüge der Vorlage
1.1 Die beantragte Regelung
1.1.1 Verschiebung oder Absage einer angeordneten Volksabstimmung
Das BPR sieht vor, dass der Bundesrat die Abstimmungsvorlagen festlegt (Art. 10 Abs. 1bis BPR) und die Abstimmung anordnet (Art. 58, 59 c und 75 a BPR). Ergänzend soll nun eine Norm eingefügt werden, mit der die Kompetenz des Bundesrates, eine bereits angesetzte Volksabstimmung zu verschieben oder abzusagen, explizit statuiert und die dafür zulässigen Gründe festgehalten werden. Der Schutz der politischen Rechte nach Artikel 34 Absatz 1 BV gebietet, dass angeordnete Abstimmungen nur im absoluten Ausnahmefall verschoben oder abgesagt werden. Die vorgeschlagene Bestimmung (Art. 10 Abs. 1ter E-BPR) ist entsprechend eng gefasst und die Hürden für deren Anrufung sind hoch: Es muss dazu eine schwere Störung der Stimmabgabe, der Ergebnisermittlung oder der Willensbildung der Stimmberechtigten eingetreten sein oder unmittelbar drohen. Auch in einem solchen Fall soll aber kein Automatismus im Hinblick auf die Verschiebung oder Absage der Abstimmung bestehen. Entsprechend handelt es sich um eine Kann-Bestimmung, die dem Bundesrat einen Ermessensspielraum lässt.
Die Kompetenz der Kantone, eidgenössische Volksabstimmungen auf ihrem Gebiet durchzuführen und die erforderlichen Anordnungen zu erlassen (Art. 10 Abs. 2 BPR), wird durch die vorgeschlagene Norm nicht geschmälert. Es bleibt in erster Linie ihre Aufgabe, Massnahmen zur Behebung etwaiger Unregelmässigkeiten oder Beeinträchtigungen auf ihrem Gebiet zu ergreifen. Die Anwendung von Artikel 10 Absatz 1ter E-BPR setzt aus Sicht des Bundesrates voraus, dass eine Störung vorliegt, die eine gesamtschweizerische Absage oder Verschiebung der Abstimmung erfordert.
Die Vorlage berücksichtigt ferner den Umstand, dass die Absage oder Verschiebung einer Volksabstimmung zu einer Überschreitung der bei Volksinitiativen zulässigen Abstimmungsfristen (Art. 75 a BPR) führen kann. Sie sieht für diesen Fall vor, dass die Abstimmung am nächstmöglichen Termin durchzuführen beziehungsweise nachzuholen ist.
1.1.2 Stimmabgabe blinder und sehbehinderter Stimmberechtigter
Bund und Kantone sollen künftig verpflichtet sein, Massnahmen zu treffen, die es sehbehinderten und blinden Stimmberechtigten insbesondere bei Abstimmungen erleichtert, selbständig abzustimmen (Art. 6 Abs. 2 E-BPR). Die Regelung verpflichtet die Behörden, begründet aber keine individuellen Ansprüche (z. B. auf Braille-Stimmzettel oder auf die elektronische Stimmabgabe).
In Umsetzung dieser Bestimmung wird der Bund die Stimmzettel für eidgenössische Volksabstimmungen künftig so ausgestalten, dass sie unter Zuhilfenahme sogenannter Abstimmungsschablonen ausgefüllt werden können. Die Stimmzettel (Art. 11 Abs. 1 BPR) und die Schablonen für eidgenössische Volksabstimmungen werden vom Bund zur Verfügung gestellt. Rund 82 Prozent der bei eidgenössischen Abstimmungen eingesetzten Stimmzettel werden vom Bund produziert. Die restlichen 18 Prozent sind kantonale Erfassungsbelege, die sich für die maschinelle Verarbeitung (sog. E-Counting) eignen und den Stimmzetteln des Bundes gleichgestellt sind (Art. 5 Abs. 1 BPR). Es wäre Sache der Kanone für solche Stimmzettel geeignete Schablonen zu erstellen. Eine Standardisierung wäre insofern herausfordernd, da diese Stimmzettel jeweils sämtliche Vorlagen aller staatlichen Ebenen enthalten und entsprechend in Format und Gestaltung variieren. Gleichzeitig könnte in diesen Kantonen eine Umsetzung der bundesrechtlichen Vorgabe auf dem Wege der elektronischen Stimmabgabe in Betracht gezogen werden.
Während die Zurverfügungstellung von Abstimmungsschablonen und entsprechender Stimmzettel die selbstständige Stimmabgabe an der Urne bereits weitgehend ermöglicht, kann in vielen Kantonen das Unterzeichnen des Stimmrechtsausweises und die Verwendung der Stimmcouverts bei der brieflichen Stimmabgabe eine Hürde darstellen. Diesbezüglich lassen sich ebenfalls Verbesserungen erzielen, beispielsweise indem die Stimmrechtsausweise schablonentauglich ausgestaltet oder mit taktilen Elementen versehen werden, die es blinden und sehbehinderten Stimmberechtigten erlauben, das Unterschriftenfeld und allenfalls weitere auszufüllende Felder zu lokalisieren.
Die Kantone können den Verpflichtungen der neuen Bestimmung auch nachkommen, indem sie die elektronische Stimmabgabe im Rahmen des Versuchsbetriebs ermöglichen. In Bezug auf die elektronische Stimmabgabe sieht Artikel 27 g der Verordnung über die politischen Rechte (VPR) ¹8 vor, dass die Bedürfnisse von Stimmberechtigten, die aufgrund ihrer Behinderung ihre Stimme nicht autonom abgeben können, berücksichtigt werden müssen. Ausserdem müssen gemäss Ziffer 6.1 des Anhangs zur Verordnung der Bundeskanzlei über die elektronische Stimmabgabe (VEleS) ¹9 die Stimmrechtsausweise nach Möglichkeit so ausgestaltet sein, dass sie Stimmberechtigten mit einer Behinderung - evtl. unter Zuhilfenahme technischer Hilfsmittel wie Leseapplikationen auf dem Handy - einen barrierefreien Zugang zur elektronischen Stimmabgabe erlauben.
Die vorgeschlagene Norm gilt insbesondere für eidgenössische Volksabstimmungen. Aufgrund des Wahlsystems mit der Möglichkeit des Streichens, Kumulierens und Panaschierens und der kantonalen Unterschiede bei der Wahlzettelgestaltung ist es beispielsweise nicht möglich, Schablonen für die Stimmabgabe bei den Nationalratswahlen zu nutzen. Diesbezüglich würde immerhin die elektronische Stimmabgabe das selbstständige Wählen ermöglichen.
Die Revision soll schliesslich dazu genutzt werden, die Terminologie von Artikel 6 BPR an diejenige des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) 2⁰ anzugleichen.
¹8 SR 161.11
¹9 SR 161.116
2⁰ Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz, BehiG; SR 151.3 ).
1.1.3 Rechtsmittelweg bei Wahl- und Abstimmungsbeschwerden
Die Kantonsregierungen sind seit dem Inkrafttreten des BPR 1978 als erste Beschwerdeinstanz eingesetzt (Art. 77 BPR). Davor hatten sie allfällige Beschwerden zu den eidgenössischen Volksabstimmungen und Wahlen lediglich entgegenzunehmen und zusammen mit ihrem diesbezüglichen Gutachten an den Bundesrat zu übermitteln. 2¹ Die Rolle als erste Beschwerdeinstanz sollte die Kantonsregierungen stärken, indem sie bei Unregelmässigkeiten in ihrem Kompetenzbereich rasch die notwendigen Verfügungen erlassen konnten (vgl. dazu Art. 79 Abs. 2 BPR). Im Grundsatz ist dies noch immer sinnvoll, da die Kantone für die Organisation und Durchführung der eidgenössischen Urnengänge auf ihrem Gebiet verantwortlich sind (vgl. Art. 10 Abs. 2 BPR).
In der Praxis hat sich indes gezeigt, dass die in Artikel 77 Absatz 1 Buchstaben b und c BPR vorgesehene Zuständigkeit der Kantonsregierung zur Behandlung von Abstimmungs- und Wahlbeschwerden nicht sachgerecht ist, wenn es um Unregelmässigkeiten geht, die sich in mehreren Kantonen auswirken oder von einer Verwaltungsbehörde des Bundes verursacht worden sind. 2² In den letzten Jahren betrafen Abstimmungsbeschwerden oftmals gerade solche Sachverhalte. Beschwerden, die sich auf Vorbereitungs- und Vollzugshandlungen im kantonalen Hoheitsgebiet bezogen, waren dagegen selten. Die Kantonsregierungen waren deshalb häufig gezwungen, einen Nichteintretensentscheid zu treffen.
Der Bundesrat schlägt vor, dass im Zusammenhang mit eidgenössischen Abstimmungen und mit den Nationalratswahlen künftig direkt beim Bundesgericht Beschwerde geführt werden kann, wenn Unregelmässigkeiten gerügt werden, die sich kantonsübergreifend auswirken oder von einer Verwaltungsbehörde des Bundes ausgehen (Art. 88 Abs. 1 Bst. b Ziff. 3 E-BGG). Die Kantonsregierungen würden durch die neue Bundesregelung von Beschwerden entlastet, die sie gar nicht beurteilen dürfen. Gleichzeitig bleiben sie zuständig, wenn es um Unregelmässigkeiten in ihrem Hoheitsgebiet geht (z. B. bzgl. der Vorbereitung der Urnengänge, der Stimmabgabe und der Auszählung). Damit ordnet die Rechtsänderung den Rechtsmittelweg bei Wahl- und Abstimmungsbeschwerden neu, dehnt den Rechtsschutz gegenüber heute aber nicht aus.
2¹ Art. 11 des Bundesgesetzes vom 19. Juli 1872 betreffend die eidg. Wahlen und Abstimmungen (BS 1 157).
2² Vgl. BGE 140 I 338 (1C 372/2014) unveröffentlichte E. 3.1.
1.1.4 Einsatz von technischen Hilfsmitteln bei der Ergebnisermittlung: Punktuelle Genehmigungspflicht und Plausibilitätsprüfung
Zu den technischen Mitteln gemäss Artikel 84 BPR gehört insbesondere das E-Counting, also die elektronische Interpretation und Zählung von (analogen) Stimm- und Wahlzetteln. Auch der Einsatz von Banknotenzählmaschinen und von Präzisionswaagen fällt unter diese Bestimmung. Jedoch fallen die elektronische Stimmabgabe (E-Voting; gestützt auf Art. 8 a BPR) sowie die kantonalen Ergebnisermittlungs- und Übermittlungssysteme nicht in den Geltungsbereich der Bestimmung.
Der Bundesrat soll künftig für die von Artikel 84 erfassten technischen Hilfsmittel eine Bewilligungspflicht vorsehen und Anforderungen an deren Einsatz festlegen können. Nach aktuellem Recht bedarf der Einsatz entsprechender Mittel stets einer Genehmigung des Bundesrates. Während eine Genehmigungspflicht und einheitliche Standards insbesondere beim E-Counting als sinnvoll erscheinen, können andere Bereiche (z. B. Einsatz von Banknotenzählmaschinen) ohne Weiteres den Kantonen überlassen werden und bedürfen auch keiner Bewilligungspflicht.
Da sich die maschinelle Verarbeitung der Stimmzettel einer Überprüfung von blossem Auge entzieht, lässt sich die korrekte Ergebnisermittlung beim E-Counting nicht ohne weiteres kontrollieren. Umso wichtiger ist deshalb, die ermittelten Ergebnisse mittels statistischer Methoden auf ihre Plausibilität hin zu prüfen. Mit geeigneten Verfahren kann die korrekte Funktionsweise der technischen Mittel überprüft und damit die Vertrauenswürdigkeit der Ergebnisse sichergestellt werden. Als zentrales Element der Qualitätssicherung soll die Plausibilitätsprüfung mittels statistischer Methoden deshalb neu auf Gesetzesebene verankert werden.
1.1.5 Grundlage für Versuche mit elektronischen Unterschriftensammlungen (E-Collecting)
Der Bundesrat hat sich in seinem Bericht in Erfüllung des Postulats 21.3607 mit den staatspolitischen Auswirkungen von E-Collecting befasst und die zentralen konzeptionellen, organisatorischen und rechtlichen Fragestellungen herausgearbeitet. Er kam dabei zum Schluss, dass eine umfassende und definitive Einführung von E-Collecting ohne Hinweise auf die zu erwartenden Auswirkungen verfassungsrechtlich problematisch wäre. ²3 Es sollten daher zunächst praktische Erfahrungen gesammelt werden, um die Auswirkungen besser beurteilen zu können. Entsprechend verfolgt er das Ziel, unter Einbezug von Kantonen und Gemeinden, interessierten Akteuren aus Politik und Zivilgesellschaft sowie der Wissenschaft und Fachkreisen Grundlagen für beschränkte, praktische Versuche mit E-Collecting zu erarbeiten. Gleichzeitig sprach er sich für die Schaffung einer spezialgesetzlichen Rechtsgrundlage aus, auf deren Basis die Versuche dann stattfinden können. Die vorgeschlagene Regelung soll dies umsetzen. Sie definiert die wichtigsten Rahmenbedingungen für die Versuche und kommt damit den Anforderungen von Artikel 164 Absatz 1 Buchstabe a BV nach. Die Rahmenbedingungen sind dabei offen genug formuliert, um die konkrete Ausgestaltung der Versuche nicht zu stark einzuschränken.
²3 Bericht in Erfüllung des Postulats 21.3607 SPK-N, S. 25; verfügbar unter:
www.parlament.ch
> Ratsbetrieb > Curia Vista > Suche.
1.1.6 Weitere Änderungen
In Bezug auf die vorgesehenen Anpassungen von Artikel 3 (Politischer Wohnsitz), Artikel 14 (Abstimmungsprotokoll), Artikel 68 (Angaben zu den Mitgliedern der Initiativkomitees) und Artikel 76 (Prozentsummenmodell) wird auf die Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln unter Kapitel 4 verwiesen.
1.2 Umsetzungsfragen
Der Vollzug der politischen Rechte in eidgenössischen Angelegenheiten erfolgt zu weiten Teilen durch die Kantone und Gemeinden. Ihnen kommt bei der Umsetzung einiger der neu gefassten Bestimmungen entsprechend eine wichtige Rolle zu. In Bezug auf die Massnahmen zugunsten von blinden und sehbehinderten Stimmberechtigten nach Artikel 6 Absatz 2 E-BPR sollen sie beispielsweise Verbesserungen bei der Ausgestaltung der Stimmunterlagen (z. B. Stimmrechtsausweise, Stimmcouverts) anstreben. Beim E-Collecting sollen die Kantone und Gemeinden eng in die Versuche einbezogen werden, zumal nur sie über den notwendigen Zugang zu den Stimmregistern verfügen. Welche Rolle ihnen bei der elektronischen Unterschriftensammlung zukommen soll, muss definiert werden.
2 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln
Art. 3
Politischer Wohnsitz
Abs. 1
Artikel 39 Absatz 2 Satz 1 BV legt fest, dass die politischen Rechte am Wohnsitz ausgeübt werden. Dieser örtliche Anknüpfungspunkt, der politische Wohnsitz, wird in Artikel 3 BPR konkretisiert.
Nach geltendem Recht befindet sich der politische Wohnsitz in der Gemeinde, wo der Stimmberechtigte wohnt und angemeldet ist. Zur Begründung des politischen Wohnsitzes ist damit neben dem tatsächlichen Aufenthalt die formelle Anmeldung nötig. ²4 Dies soll auch künftig gelten. Die Bestimmung wird aber redaktionell überarbeitet.
Mit Erlass des Registerharmonisierungsgesetzes vom 23. Juni 2006 ²5 (RHG) wurden die amtlichen Personenregister harmonisiert und die Begriffe der Niederlassungs- und Aufenthaltsgemeinde schweizweit einheitlich definiert (Art. 3 Bst. b und c RHG). Als Niederlassungsgemeinde wird diejenige Gemeinde verstanden, in der sich eine Person in der Absicht dauernden Verbleibens aufhält, um dort den Mittelpunkt ihres Lebens zu begründen; zudem wird die Hinterlegung des erforderlichen Dokuments (i.d.R. der Heimatschein) verlangt. Der Begriff der Niederlassungsgemeinde knüpft inhaltlich am zivilrechtlichen Wohnsitz an, doch tritt - wie beim politischen Wohnsitz - der formelle Akt der Hinterlegung der notwendigen Dokumente respektive der «Anmeldung» hinzu. Der politische Wohnsitz liegt damit in der Regel in der Niederlassungsgemeinde, weshalb dies als Grundsatz auch ausdrücklich im BPR festgelegt werden soll. Die Gesetzesänderung übernimmt die registerrechtliche Terminologie nach RHG und hält ausdrücklich fest, dass der politische Wohnsitz in der Regel in der Niederlassungsgemeinde liegt.
Abs. 2
Wie im geltenden Recht sollen auch in Zukunft in bestimmten Konstellationen Ausnahmen zulässig sein (vgl. Art. 1 VPR), wobei die Bestimmung nunmehr ebenfalls am RHG anknüpft. Eine Anpassung erscheint zweckmässig, weil sich die melderechtlichen Bestimmungen mittlerweile geändert haben. Die ehemals etablierte Praxis der Hinterlegung des Heimatscheins einerseits, respektive des Heimatausweises, Interimsausweises oder dergleichen andererseits, ist zunehmend überholt. Die Verordnung vom 22. Dezember 1980 ²6 über den Heimatschein wurde bereits per 1. Juli 2004 aufgehoben. ²7 Einige Kantone kennen für die Anmeldung in einer Gemeinde melderechtlich zwar noch die Hinterlegung des Heimatscheins bzw. des Heimatausweises oder dergleichen. In nächster Zeit wird sich dies aber ändern, weil die Gemeinden durch das Zivilstandsregister (Infostar) mittlerweile eine direkte Abfragemöglichkeit haben. ²8 Das Gesetz sollte daher nicht mehr auf die Hinterlegung bestimmter Schriftstücke, sondern auf die Tatbestände nach RHG abstellen.
Absatz 2 soll ausserdem eine Delegationsbestimmung enthalten, wonach der Bundesrat die Ausnahmen regelt, in denen der politische Wohnsitz in der Aufenthaltsgemeinde liegen kann. Gemäss der bisherigen Praxis kann dies insbesondere bei verbeiständeten Personen und in gewissen Konstellationen bei Personen mit Wochenaufenthalt der Fall sein. Die betreffende Person hat dabei stets nachzuweisen, dass sie nicht im Stimmregister der Niederlassungsgemeinde eingetragen ist. Diese Voraussetzung ist gegenwärtig im Gesetz geregelt und soll künftig auf Verordnungsstufe verankert werden.
Dass Bund und Kantone nach Artikel 39 Absatz 2 Satz 2 BV Ausnahmen von der Ausübung der politischen Rechte am Wohnsitz vorsehen können, wird durch Artikel 3 Absatz 2 E-BPR nicht beschränkt. So wird der politische Wohnsitz der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer beispielsweise in Artikel 18 Absatz 1 des Auslandschweizergesetzes (ASG) ²9 geregelt.
Abs. 3
Die bisher in Artikel 3 Absatz 1 Satz 2 BPR verankerte Ausnahmebestimmung, wonach Fahrende in der Heimatgemeinde stimmen, wird mit redaktionellen Änderungen nach Absatz 3 E-BPR verschoben. Es handelt sich bei dieser Bestimmung um eine weitere Ausnahme nach Artikel 39 Absatz 2 Satz 2 BV.
²4 BBl 1975 I 1317 , hier: 1329
²5 SR 431.02
²6 AS 1981 34 ; 2000 2028
²7 Der Erlass wurde mit der Zivilstandsverordnung vom 28. April 2004 aufgehoben ( AS 2004 2915 , hier: 2946).
²8 Art. 43 a Abs. 4 Ziff. 6 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 10. Dezember 1907 (ZGB; SR 210 )
²9 Bundesgesetz vom 26. September 2014 über Schweizer Personen und Institutionen im Ausland (Auslandschweizergesetz, ASG; SR 195.1 ).
Art. 6
Stimmabgabe von Stimmberechtigten mit Behinderungen
Die Sachüberschrift von Artikel 6 BPR wird an die Terminologie des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) angepasst. Der Artikel wird neu in zwei Absätze gegliedert, wobei Absatz 1 dem bisherigen Regelungsinhalt entspricht und Absatz 2 Massnahmen im Bereich der Stimmabgabe betrifft, die es blinden und sehbehinderten Stimmberechtigten erleichtern, ihre Stimme unter Wahrung des Stimmgeheimnisses selbstständig abzugeben (Umsetzung der Motion 22.3371 SPK-N).
Abs. 1
Analog zur Änderung der Sachüberschrift wird in Absatz 1 der Begriff Invalidität durch Behinderung ersetzt. Der Begriff lehnt sich an die Legaldefinition in Artikel 2 Absatz 1 BehiG an und ist weit zu verstehen. Der bisherige Auffangtatbestand, wonach die Stimmabgabe auch für Personen zu gewährleisten ist, die «aus anderen Gründen» die nötigen Handlungen nicht vornehmen können, ist daher nicht mehr notwendig.
Abs. 2
Gemäss Artikel 6 Absatz 1 E-BPR sorgen die Kantone dafür, dass auch stimmen kann, wer wegen einer Behinderung dauernd unfähig ist, die für die Stimmabgabe nötigen Handlungen selbst vorzunehmen. Die Kantone haben die Stimmabgabe durch Stimmberechtigte mit Behinderungen entsprechend im kantonalen Recht konkretisiert. In der Regel können Betroffene eine (stimmberechtigte) Vertrauensperson ihrer Wahl für die Stimmabgabe beiziehen. Einige Kantone (z. B. BE, VD) sehen den Beizug von Amtspersonen vor. In jedem Fall sind die beigezogenen Personen an das Stimmgeheimnis gebunden und haben Stillschweigen über die empfangenen Anweisungen zu bewahren.
Die Bestimmung in Absatz 2 geht über diesen Minimalanspruch hinaus und verpflichtet Bund und Kantone Massnahmen zu treffen, die es blinden und sehbehinderten Stimmberechtigten erleichtern, unter Wahrung des Stimmgeheimnisses selbstständig abzustimmen. Blinde und sehbehinderte Personen sollen das Stimmrecht damit möglichst gleichberechtigt mit Stimmberechtigten ohne Behinderung ausüben können. In der Praxis kann dieses Ziel, wie bereits ausgeführt, mit verschiedenen Massnahmen erfüllt werden. In vielen Kantonen bringt das Zurverfügungstellen der angepassten Stimmzettel des Bundes und der Abstimmungsschablonen bereits eine weitreichende Erleichterung. Zusätzlich sind auch die Stimmrechtsausweise im Hinblick auf die selbstständige Stimmabgabe durch blinde und sehbehinderte Stimmberechtigte zu optimieren, beispielsweise mittels taktiler Elemente oder eines schablonentauglichen Formats. Selbstverständlich können betroffene Stimmberechtigte weiterhin auch eine beigezogene Vertrauensperson mit dem Ausfüllen des Stimmzettels beauftragen.
Die Kantone und Gemeinden, die E-Counting-Systeme einsetzen, verwenden eigens dafür produzierte, maschinenlesbare Stimmzettel. Diese kantonalen Erfassungsbelege sind den amtlichen Stimmzetteln des Bundes gleichgestellt (Art. 5 Abs. 1 BPR); sie schablonentauglich auszugestalten, wäre Sache der Kantone. Als Alternative und im Sinne der Barrierefreiheit auch umfassendere und nachhaltigere Lösung bietet sich - gerade in Kantonen mit E-Counting-Verfahren - die elektronische Stimmabgabe an. Einige Kantone, die E-Counting-Verfahren einsetzen, führen bereits Versuche mit E-Voting durch (BS, SG), planen dies (GE, LU) oder haben solche Versuche in der Vergangenheit bereits durchgeführt (FR, BE, VD).
Art. 10 Sachüberschrift und Abs. 1ter
Die Sachüberschrift lautet gegenwärtig in allen Sprachfassungen anders und setzt jeweils andere inhaltliche Schwerpunkte. In Sinne einer Vereinheitlichung soll sie deshalb angeglichen werden.
Absatz 1ter verankert die Kompetenz des Bundesrates, im Ausnahmefall eine bereits angeordnete Volksabstimmung abzusagen oder zu verschieben. Der Schutz der politischen Rechte nach Artikel 34 Absatz 1 BV bedingt, dass die Absage oder Verschiebung einer angeordneten Abstimmung nur innerhalb sehr enger Grenzen zulässig sein kann. Die vorgeschlagene Norm orientiert sich deshalb an der Notrechtsbestimmung in Artikel 185 Absatz 3 BV. Zulässig ist ein Rückkommen auf den Anordnungsbeschluss nur dann, wenn eine schwere Störung der Stimmabgabe, der Ergebnisermittlung oder der Willensbildung der Stimmberechtigten unmittelbar droht oder tatsächlich eingetreten ist. Zur Stimmabgabe ist auch die vorgelagerte Abstimmungslogistik zu zählen, die etwa den Druck und die Verteilung der Stimmunterlagen des Bundes an die Kantone umfasst (Art. 11 Abs. 1 BPR).
Die vorgeschlagene Norm verzichtet auf eine Aufzählung der möglichen Auslöser einer schweren Störung. Zum einen ist es kaum möglich, alle Eventualitäten zu antizipieren. Eine Aufzählung hätte daher allenfalls exemplarischen Charakter. Zum anderen ist für die Absage oder Verschiebung einer Abstimmung in erster Linie das Vorliegen einer schweren Störung entscheidend und nicht das Ereignis, das ebendiese Störung ausgelöst hat. In einem möglichen Anwendungsfall wird der Bundesrat jedoch unter Berücksichtigung der Art des Ereignisses zu prüfen haben, ob die eingetretene Beeinträchtigung von Dauer ist und ob allenfalls Handlungsalternativen bestehen, mit denen im Interesse der Ausübung der politischen Rechte die Durchführung der Volksabstimmung gewährleistet werden könnte, selbst wenn dabei mit Blick auf den ordnungsgemässen Ablauf des Abstimmungsverfahrens Abstriche in Kauf genommen werden müssten. 3⁰ Die Absage oder die Verschiebung einer bereits angeordneten Abstimmung ist als letztmögliche Massnahme in Betracht zu ziehen. Der Ermessensspielraum äussert sich darin, dass es sich bei Artikel 10 Absatz 1ter E-BPR um eine Kann-Bestimmung handelt.
Mit der schweren Störung wird bewusst ein Begriff verwendet, der sich vom Begriff der Unregelmässigkeit unterscheidet, den das BPR an anderer Stelle für Beeinträchtigungen des Abstimmungsverfahrens kennt. Unregelmässigkeiten sind gemäss BPR von Amtes wegen zu beheben (Art. 79 Abs. 2 BPR), können Gegenstand einer Abstimmungsbeschwerde sein (Art. 77 Abs. 1 Bst. b BPR) und unterliegen einer bundesgerichtlichen Überprüfung. Je nach Art und Umfang kann eine Unregelmässigkeit bis hin zur Nachzählung eines Abstimmungsergebnisses (Art. 13 Abs. 3 BPR) oder zur Aufhebung der Volksabstimmung durch das Bundesgericht führen. 3¹
Die Beurteilung der Rechtmässigkeit des Abstimmungsverfahrens beziehungsweise des Abstimmungsergebnisses liegt auf Beschwerde hin auch künftig in der Kompetenz des Bundesgerichts. Entsprechend soll der Bundesrat auch bei (mutmasslich) erheblichen Unregelmässigkeiten nicht gestützt auf Artikel 10 Absatz 1ter einen Urnengang absagen oder verschieben, solange die Durchführbarkeit grundsätzlich als gegeben erachtet werden kann.
In zeitlicher Hinsicht ergeht der Anordnungsbeschluss des Bundesrates in der Praxis jeweils circa 2.5 bis 3 Monate vor dem Urnengang. Der Beschluss wird im Bundesblatt (amtlich) publiziert. Die Festlegung der Abstimmungsvorlagen gemäss Artikel 10 Absatz 1bis BPR erfolgt hingegen spätestens 4 Monate vor der Abstimmung. Der neue Absatz 1ter bezieht sich auf die angeordneten Abstimmungen und damit auf den erstgenannten Beschluss. Die Anordnung der Abstimmung erfolgt heute auch deshalb zeitlich versetzt, weil regelmässig Erlasse unter dem Vorbehalt des Zustandekommens des Referendums als Vorlagen festgelegt werden müssen. 3²
Die vorgeschlagene Regelung erlaubt es dem Bundesrat, eine Abstimmung zu verschieben oder abzusagen. Eine Verschiebung bedeutet, dass der laufende Abstimmungsprozess grundsätzlich aufrechterhalten bleibt, der Abstimmungstermin jedoch verschoben wird. Eine Verschiebung kommt dann in Frage, wenn eine schwerwiegende Störung die Durchführung der Abstimmung am ursprünglich vorgesehenen Termin verunmöglicht, die Störung aber grundsätzlich behebbar erscheint, so dass ein Abbruch des Verfahrens nicht gerechtfertigt wäre. Angesichts der Vielzahl der beteiligten Akteure und des langen Planungshorizonts ist es jedoch nicht ohne weiteres möglich, ein laufendes Abstimmungsverfahren zu verlängern. In der Praxis ist es daher wahrscheinlicher, dass eine schwere Störung zur Absage der Abstimmung führt. Auch sind eher Szenarien denkbar, in denen der gesamte Urnengang abgesagt werden muss und nicht nur die Abstimmung über eine einzelne Vorlage.
In räumlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass der Bundesrat eine Abstimmung gestützt auf Absatz 1ter stets schweizweit verschiebt oder absagt. Bei schwerwiegenden Beeinträchtigungen des Abstimmungsprozesses, die sich nur lokal oder regional auswirken, sind vorab die Kantone gefordert, entsprechende Massnahmen zu ergreifen (vgl. Art. 10 Abs. 2 und Art. 79 Abs. 2 BPR).
Absatz 1ter verzichtet darauf, das weitere Vorgehen im Falle einer Absage der Abstimmung zu regeln. Dies ist auch nicht notwendig, da der Bundesrat in diesem Fall weiterhin verpflichtet ist, die Abstimmung zu den abstimmungsreifen Vorlagen anzuordnen (Art. 58, 59 c und 75 a BPR). Auch die Abstimmungsfristen für Volksinitiativen (Art. 75 a BPR) sind zu berücksichtigen und laufen weiter. Da aber die Absage einer Abstimmung zur Überschreitung der Abstimmungsfrist für Volksinitiativen führen kann, wird eine Anpassung von Artikel 75 a BPR vorgesehen. Bei Überschreitung der Frist wäre die Abstimmung am nächstmöglichen Termin durchzuführen (siehe Ausführungen zu Art. 75 a Abs. 3ter E-BPR).
3⁰ Vgl. Glaser, Andreas / Braun Binder, Nadja: Die Verschiebung von Volkswahlen und Volksabstimmungen. Eine Analyse ausgehend von Erfahrungen im Zuge der Corona-Pandemie. In: ZBl 11/2021, S. 591 ff; hier: S. 612.
3¹ Vgl. BGE 145 I 207
3² Die Pflicht zur Anordnung der Abstimmung ist auch in den Art. 58 (obligatorische Referenden), 59 c (fakultative Referenden) und 75 a (Volksinitiativen) geregelt.
Art. 14 Sachüberschrift und Abs. 2-4
Die fortschreitende Digitalisierung hat auch Auswirkungen auf die Ermittlung, Übermittlung und Publikation der Abstimmungsergebnisse. Die aktuelle Fassung von Artikel 14 berücksichtigt diese Entwicklungen nur unzureichend. Die Absätze 2 und 3 werden redaktionell angepasst, damit auch die Verwendung elektronischer Übermittlungskanäle besser zum Ausdruck kommt. Neu wird die in der Praxis übliche Plausibilitätsprüfung als Bestandteil der Ergebnisermittlung explizit erwähnt. Die Änderungen spiegeln sich auch in einer angepassten Sachüberschrift.
Abs. 2
Im Vergleich zum geltenden Recht ist nicht mehr die Kantonsregierung, sondern der Kanton als handelnder Akteur vorgesehen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Ermittlung, Übermittlung und Publikation der Ergebnisse in der überwiegenden Mehrheit der Kantone durch die fachlich zuständigen kantonalen Dienststellen erfolgt und nicht auf Beschlüsse der Kantonsregierung zurückgeht.
Der erste Satz berücksichtigt, dass die zuständigen Amtsstellen (i.d.R. die Gemeinden) ihr Ergebnis am Abstimmungssonntag in der Regel elektronisch via ein Ergebnisermittlungssystem an die kantonale Zentralstelle übermitteln. Der Prozess der Übermittlung des vorläufigen Abstimmungsergebnisses ist in Artikel 5 Absatz 1 VPR konkretisiert. Die Norm erfasst weiterhin auch die (nachgelagerte) Übermittlung des physischen Abstimmungsprotokolls an den Kanton.
Im zweiten Satz wird die Prüfung der Plausibilität der Ergebnisse durch die Kantone als neues gesetzliches Erfordernis eingeführt. Eine entsprechende Prüfung kann frühzeitig Hinweise auf Fehler bei der Ergebnisermittlung oder auf mögliche Manipulationen der Ergebnisse geben. Solche Prüfungen werden in der Praxis verbreitet durchgeführt. Sie tragen wesentlich zur korrekten Ermittlung und zur Vertrauenswürdigkeit der Abstimmungsergebnisse bei. Eine Verankerung im Gesetz rechtfertigt sich deshalb.
Artikel 14 Absatz 2 sieht eine Plausibilitätsprüfung der Ergebnisse (der Gemeinden) durch die Kantone vor. Die angewendeten Methoden und Instrumente sind in Funktion der jeweiligen Ausgangslage (z. B. Anzahl und Struktur der Gemeinden, Stimmverhalten etc.) von den Kantonen zu bestimmen. Eine softwaregestützte Prüfung kann Hinweise auf mögliche Ungereimtheiten geben, die bei einer rein manuellen Überprüfung der Ergebnisse übersehen werden können. Umgekehrt erfordern entsprechende Befunde in der Regel eine Einordnung durch Personen mit Fachwissen. Betreffend die Pflicht zu Plausibilitätsprüfungen durch die Kantone sind aktuell keine Ausführungsbestimmungen auf Verordnungsstufe vorgesehen.
Selbstverständlich erfolgen gewisse Plausibilitätsprüfungen idealerweise bereits bei der Auszählung auf Gemeindeebene (Validität der Ergebnisse, Konsistenz zwischen den Vorlagen und mit dem Abstimmungsverhalten der Gemeinde etc.). Diesbezüglich ist es aber den Kantonen überlassen, entsprechende Vorgaben zu machen. Die in Artikel 14 Absatz 2 vorgesehene Plausibilitätsprüfung ist zudem von der Prüfung abzugrenzen, wie sie bei der elektronischen Stimmabgabe (Art. 27 i VPR) und beim Einsatz sogenannter E-Counting-Verfahren (vgl. Art. 84 Abs. 3 E-BPR) vorgesehen ist; aufgrund der vollständigen (E-Voting) beziehungsweise weitgehenden (E-Counting) Digitalisierung der Ergebnisermittlung sind hier im Zusammenhang mit der statistischen Qualitätskontrolle spezifische Massnahmen vorgesehen.
In Artikel 14 Absatz 2 wird zudem die Bundeskanzlei als Empfängerin der Abstimmungsergebnisse durch den Bund ersetzt. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Ergebnisse in der Praxis an die Bundeskanzlei und an das Bundesamt für Statistik übermittelt werden (vgl. Art. 5 Abs. 2 VPR). Die Frist für die Veröffentlichung der Ergebnisse im kantonalen Amtsblatt bleibt unverändert bei 13 Tagen, jedoch entfällt die Pflicht, im Notfall eine Sondernummer des Amtsblatts herauszugeben. Diese Bestimmung wird zunehmend obsolet, da für die Amtsblätter vermehrt das Primat der elektronischen Fassung gilt und die Publikation in der Regel laufend erfolgen kann.
Abs. 3
Die Abstimmungsprotokolle der Gemeinden sind der Bundeskanzlei analog den Stimmzetteln nur noch auf Verlangen zuzustellen. Absatz 3 sieht aber neu vor, dass die Kantone nach Ablauf der Beschwerdefrist (Art. 79 Abs. 3 BPR) der Bundeskanzlei die bereits übermittelten und veröffentlichten Abstimmungsergebnisse (Art. 14 Abs. 2 E-BPR) bestätigen. Der konkrete Mechanismus wird noch zu definieren sein.
Abs. 4
Die bisher in Artikel 14 Absatz 3 Satz 2 BPR verankerte Bestimmung, wonach die Stimmzettel nach Erwahrung des Abstimmungsergebnisses zu vernichten sind, wird nach Absatz 4 E-BPR verschoben. In Kantonen mit Einheitsstimmzetteln für alle staatlichen Ebenen (E-Counting-Kantone) ist es denkbar, dass zunächst die Erwahrung einer kantonalen oder kommunalen Volksabstimmung abgewartet werden muss, bevor die Stimmzettel vernichtet werden können. Da die Gemeindeprotokolle künftig in der Regel bei den Kantonen verbleiben, wären es nach Artikel 4 Absatz 2 des Archivierungsgesetzes vom 26. Juni 1998 3³ (BGA) grundsätzlich den Kantonen überlassen, die Aufbewahrung zu regeln. Einige Kantone sprachen sich in der Vernehmlassung für eine einheitliche Regelung des Bundes aus. Da die Ergebnisse bis Stufe Gemeinde beim Bundesamt für Statistik erhoben und aufbewahrt werden, rechtfertigt sich auch die Vernichtung der Gemeindeprotokolle nach der Erwahrung.
3³ SR 152.1
Art. 68 Abs. 1 Bst. e
Auf den Unterschriftenlisten müssen nach geltendem Recht die Mitglieder des Initiativkomitees mit Namen und Adressen angegeben werden. Diese Angaben werden nach Artikel 23 Absatz 4 VPR mit der Vorprüfungsverfügung im Bundesblatt bekannt gemacht. Die Stimmberechtigten können auf diese Weise nachvollziehen, wer formell hinter einer Volksinitiative steht und diese gegebenenfalls zurückziehen kann. Die Identifikation der Urheberinnen und Urheber einer Volksinitiative soll auch künftig gewährleistet sein. Der Zweck kann aus Sicht des Bundesrates aber mit milderen Mitteln erreicht werden. Anstelle der Adresse sollen künftig jeweils der Wohnort und das Geburtsjahr angeben werden. Die Anforderungen orientieren sich an Artikel 32 Absatz 2 BPR, der die Angaben regelt, welche die Bundeskanzlei bei der Bekanntmachung der Kandidierenden für die Nationalratswahlen veröffentlicht. Im Gegensatz zu den Nationalratswahlen müssen bei den Mitgliedern der Initiativkomitees indes weder alle Vornamen noch die Heimatorte angegeben werden. Die genaue Angabe des Geburtsdatums mit Tag und Monat, wie dies die Begründung der Mo. 24.3425 anregt, kann im Sinne des Schutzes der Personendaten ebenfalls ausbleiben und dürfte mit Blick auf die Transparenz auch keinen Mehrwert bringen. Nach Ansicht des Bundesrates sind die Identifikationsmöglichkeiten bei Angabe von Wohnort und Geburtsjahr wohl in den meisten Fällen in einem ausreichenden Mass sichergestellt.
Als Wohnort gilt der politische Wohnsitz im Sinne von Artikel 3 BPR. Falls dieser während der laufenden Unterschriftensammlung ändert, werden weder die Vorprüfungsverfügung noch die Unterschriftenlisten angepasst.
Art. 75a Abs. 3ter
Die Verschiebung oder die Absage einer Abstimmung nach Artikel 10 Absatz 1ter E-BPR kann dazu führen, dass die Abstimmungsfrist von 10 beziehungsweise 16 Monaten für eine Volksinitiative nach Artikel 75 a Absätze 1-3bis BPR überschritten wird. Zur Gewährleistung des Initiativrechts sieht der neue Absatz 3ter für diesen Fall vor, dass die Abstimmung am nächstmöglichen (ordentlichen) Abstimmungstermin durchzuführen ist. Dasselbe soll gelten, wenn die Frist überschritten wird, weil der Bundesrat die Abstimmung nicht rechtzeitig anordnen kann. Aus der Formulierung geht klar hervor, dass der Verzicht auf die Anordnung der Abstimmung nur dann zulässig ist, wenn eine schwere Störung im Sinne von Artikel 10 Absatz 1ter E-BPR vorliegt. Es gelten somit die gleichen Voraussetzungen wie für die Absage oder Verschiebung einer bereits angeordneten Abstimmung (vgl. die Erläuterungen zu Art. 10 Abs. 1ter E-BPR).
Art. 76 Abs. 1 Einleitungsteil (betrifft nur den französischen Text) und Bst c sowie Abs. 3
Einleitungsteil
Die französische Fassung des Einleitungsteils in Absatz 1 wird redaktionell korrigiert.
Abs. 1 Bst. c
Für die dritte auf dem Stimmzettel aufzuführende Frage wird in Klammern die in Artikel 139 b Absatz 2 BV verwendete Bezeichnung Stichfrage eingefügt. Auf die Stichfrage wird in der Folge in Absatz 3 E-BPR Bezug genommen.
Abs. 3
Die Entscheidungsregel beim Abstimmungsverfahren mit Volksinitiative und direktem Gegenentwurf wird dahingehend präzisiert, dass im Falle einer Annahme von Volksinitiative und Gegenentwurf diejenige Vorlage in Kraft tritt, bei welcher der prozentuale Anteil der Volksstimmen und der prozentuale Anteil der Standesstimmen in der Stichfrage die grössere Summe ergeben. Dieses sogenannte Prozentsummenmodell als Entscheidungsregel in Patt-Situationen wurde 2003 eingeführt und ist in Artikel 139 b Absatz 3 BV verankert. ³4 Vor 2003 galt, dass in einer entsprechenden - bisher rein theoretischen - Konstellation keine der beiden Vorlagen in Kraft tritt. ³5 Der aktuelle Wortlaut von Artikel 76 Absatz 3 BPR ³6 basiert noch auf der alten Regelung. Er steht zwar nicht im direkten Widerspruch zum Prozentsummenmodell gemäss Artikel 139 b Absatz 3 BV, gibt die Berechnungsmethode im Falle einer Patt-Situation bei der Stichfrage aber nur unzureichend wieder. Eine Angleichung an die Verfassungsbestimmung ist deshalb angezeigt.
³4 Vgl. AS 2003 1949
³5 AS 1987 1125 ; siehe dazu BBl 1984 II 333 .
³6 Art. 76 Abs. 3 BPR: Werden sowohl die Volksinitiative als auch der Gegenentwurf angenommen, so entscheidet das Ergebnis der dritten Frage. In Kraft tritt die Vorlage, die bei dieser Frage mehr Volks- und mehr Standesstimmen erzielt.
Art. 77 Abs. 1 Einleitungssatz und Abs. 3
Die französische Fassung des Einleitungssatzes in Absatz 1 wird redaktionell korrigiert.
Im neuen Absatz 3 wird die Zuständigkeit der Kantonsregierung für jene Fälle ausgeschlossen, die nach der neuen Fassung von Artikel 88 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer 3 E-BGG direkt dem Bundesgericht unterbreitet werden können.
Art. 80
Beschwerde an das Bundesgericht
Die Änderungen in Artikel 80 BPR beschränken sich neben redaktionellen Anpassungen darauf, in Absatz 1 Buchstabe d die Zuständigkeit des Bundesgerichts bei Beschwerden nach der neuen Bestimmung in Artikel 88 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer 3 E-BGG aufzuführen.
Art. 84 Abs. 2 und 3
Abs. 2
Wie der unveränderte Absatz 1 bezieht sich auch Absatz 2 künftig auf die Ermittlung der Wahl- und Abstimmungsergebnisse mit technischen Mitteln statt auf Wahl- und Abstimmungsverfahren mit technischen Mitteln . Diese Änderung ist terminologischer Natur. Materiell sieht Artikel 84 Absatz 2 E-BPR im Vergleich zum geltenden Recht einen Wechsel von einer generellen hin zu einer punktuellen Bewilligungspflicht für die Ermittlung der Wahl- und Abstimmungsergebnisse mit technischen Mitteln vor. Der Bundesrat soll für bestimmte Mittel auf Verordnungsstufe eine Bewilligungspflicht vorsehen können. Bei der Bestimmung der bewilligungspflichtigen Mittel kann das Kreisschreiben des Bundesrates vom 30. November 2018 ³7 an die Kantonsregierungen über die Ermittlung der Ergebnisse eidgenössischer Volksabstimmungen mit technischen Mitteln als Richtschnur dienen. Darin wird einerseits der Einsatz von Banknotenzählern und Präzisionswaagen für die Ergebnisermittlung generell als genehmigt qualifiziert. Auch die aktuell bei Volksabstimmungen im Einsatz stehenden E-Counting-Systeme gelten als genehmigt und bedürfen keiner erneuten Bewilligung durch den Bundesrat im Einzelfall. Der Einsatz entsprechender Mittel muss aber der Bundeskanzlei gemeldet werden. Eine Bewilligungspflicht besteht für den Einsatz von E-Counting-Systemen bei den Nationalratswahlen sowie für neue technische Hilfsmittel, die nicht den im Kreisschreiben definierten Mitteln entsprechen. Anzumerken ist aber, dass die elektronische Stimmabgabe, die gestützt auf Artikel 8 a BPR eigenständig geregelt ist sowie die Ergebnisermittlungs- und Übermittlungssysteme der Kantone, die auch bei eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen zum Einsatz gelangen, nicht in den Geltungsbereich von Artikel 84 BPR fallen.
Für den Einsatz gewisser technischer Hilfsmittel sollen einheitliche (Mindest-)Standards gelten. Die neue Bestimmung in Artikel 84 Absatz 2 E-BPR gibt dem Bundesrat dementsprechend ausdrücklich die Kompetenz, Vorgaben in diesem Bereich festzulegen. Dieser wird sich dabei an der geltenden Praxis gemäss Kreisschreiben von 2018 ³8 orientieren. Anforderungen mit rechtsetzendem Charakter sind auf Verordnungsstufe zu regeln.
Abs. 3 (neu)
Für sogenannte E-Counting-Systeme wird eine für die Vertrauenswürdigkeit des Verfahrens zentrale Anforderung - nämlich die Pflicht zur Prüfung der Plausibilität der elektronisch ermittelten Ergebnisse - neu auf Gesetzesstufe verankert. Eine entsprechende Anforderung findet sich heute auf Stufe Kreisschreiben. ³9
Die maschinelle und softwaregestützte Verarbeitung der Stimmzettel entzieht sich einer Überprüfung mit blossem Auge. Die korrekte Ermittlung der Ergebnisse kann beim E-Counting daher nicht ohne weiteres kontrolliert werden. Durch eine Plausibilitätsprüfung mittels statistischer Methoden kann aber die durchwegs korrekte Funktionsweise der technischen Mittel hinreichend belegt und damit die Vertrauenswürdigkeit der ermittelten Ergebnisse entscheidend gestärkt werden.
Der Einsatz statistischer Methoden bedeutet insbesondere, dass die vorgenommene Plausibilitätsprüfung personenunabhängig, nachvollziehbar und replizierbar sein muss. Das Verfahren zur Ziehung der Stichprobe muss in Abhängigkeit der jeweiligen Gegebenheiten (Zählkreise, Stimmbeteiligung etc.) festgelegt werden. Der Umfang ist dabei so zu wählen, dass die korrekte Ergebnisermittlung statistisch hinreichend, d. h. signifikant, belegt werden kann. Die Aussagekraft der vorgenommenen statistischen Qualitätskontrolle muss bekannt sein. Die methodischen Grundlagen und das praktische Vorgehen sind schriftlich festzuhalten.
³7 BBl 2018 7683
³8 Vgl. BBl 2018 7683 , Ziff.3.4
³9 Vgl. BBl 2018 7683 , Ziff. 3. 4 Bst. e
Art. 84a
Elektronische Unterschriftensammlung
Der Bundesrat soll in Umfang und Dauer beschränkte Versuche mit der elektronischen Unterschriftensammlung durchführen oder zulassen können. Der Begriff «elektronische Unterschriftensammlung» ist abstrakt zu verstehen. Er schränkt die Ausgestaltungsoptionen nicht ein und beantwortet beispielsweise noch nicht die Frage, ob eine Unterschrift im Sinne einer qualifizierten Signatur erforderlich ist. Dies muss im Rahmen der Vorarbeiten zu den Versuchen geklärt und definiert werden.
Abs. 1
Absatz 1 definiert den Geltungsbereich der Versuche. Neben Versuchen bei fakultativen Referenden (Art. 59 a ff. BPR) und bei Volksinitiativen (Art. 68 ff. BPR) sollen diese auch bei Wahlvorschlägen für die Nationalratswahlen (Art. 21 ff. BPR) grundsätzlich möglich sein. Die Versuche müssen dabei örtlich, zeitlich und allenfalls auch anteilsmässig begrenzt sein:
-
Örtlich bedeutet die Begrenzung auf bestimmte Kantone oder gegebenenfalls auch Gemeinden, in denen eine elektronische Unterschrift abgegeben werden kann.
-
Zeitlich kann z. B. bedeuten, dass zu Referenden und Volksinitiativen, die in einem bestimmten Zeitraum lanciert werden, elektronische Unterschriften gesammelt werden können.
-
Anteilsmässig bedeutet eine mengenmässige Begrenzung. Denkbar wäre es damit, den Anteil elektronischer Unterschriften am erforderlichen Unterstützungsquorum zu beschränken.
Die vorgeschlagene Regelung erlaubt es, dass der Bund ein System für die elektronische Unterschriftensammlung entwickelt und betreibt respektive dies in Auftrag gibt, d. h. die Versuche gewissermassen selbst durchführt. Der Bund kann dies aber auch den Kantonen überlassen und es zulassen, dass mit dem E-Collecting-System eines Kantons auch für eidgenössische Referenden und Volksinitiativen gesammelt werden kann, sofern dieses die bundesrechtlichen Anforderungen erfüllt.
Abs. 2
Der Zweck der Versuche besteht einerseits darin, die staatspolitischen Auswirkungen der elektronischen Unterschriftensammlung besser abschätzen zu können. Der Bundesrat legt im Bericht in Erfüllung des Postulats 21.3607 SPK-N einlässlich dar, weshalb das Sammeln praktischer Erfahrungswerte vor einer Einführung von E-Collecting sinnvoll ist. 4⁰ Ein limitierter Einsatz von E-Collecting wird es kaum ermöglichen, die Wirkung auf die Nutzung von Volksbegehren und Wahlvorschlägen abschliessend zu beurteilen, doch werden sich zumindest Hinweise für die Beantwortung dieser Fragen ableiten lassen. Damit die Analyse auf wissenschaftlicher Basis erfolgen kann, sieht Absatz 2 ausdrücklich vor, dass die Versuche wissenschaftlich zu begleiten sind.
Mit den Versuchen sollen ausserdem organisatorische und technische Fragen geklärt und die Anforderungen an die Systeme definiert werden. Dabei ist darauf zu achten, dass bei den Versuchen auch Systeme zur elektronischen Unterschriftensammlung zum Einsatz kommen, die für den Einsatz im Rahmen eines ordentlichen Sammelkanals vertretbar wären.
Abs. 3
Die Zulassungsvoraussetzungen lehnen sich an Artikel 8 a Absatz 2 BPR an, der die Bedingungen für Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe regelt. In Bezug auf das Stimmgeheimnis bestehen allerdings Unterschiede. Bei Unterschriftensammlungen für fakultative Referenden und Volksinitiativen ist das Stimmgeheimnis ebenfalls zu beachten. So können bei der Bundeskanzlei eingereichte Unterschriftenlisten z. B. weder eingesehen noch zurückgegeben werden (Art. 64 Abs. 2 und Art. 71 Abs. 2 BPR) und die für die Stimmrechtsbescheinigung zuständigen Stellen werden explizit zur Wahrung des Stimmgeheimnisses verpflichtet (Art. 19 Abs. 6 VPR). Gleichzeitig schliesst es das Stimmgeheimnis nicht aus, dass die zuständigen Behörden im Rahmen ihrer Prüfaufgaben Kenntnis von den Unterstützerinnen und Unterstützern erhalten. Ähnlich verhält es sich mit den Referendums- und Initiativkomitees, welche die Angaben über die unterstützenden Personen gegenwärtig sammeln (vgl. dazu Absatz 4). Bei Wahlvorschlägen zu Nationalratswahlen gilt das Stimmgeheimnis gemäss Artikel 26 BPR nicht.
Abs. 4
Im Rahmen der Versuchsordnung müssen die Zuständigkeiten bei der Abwicklung der Prozessschritte für die elektronische Unterschriftensammlung festgelegt werden. Absatz 4 räumt dem Bundesrat ausdrücklich die Kompetenz ein, diese Zuständigkeiten, gegebenenfalls abweichend von den gesetzlichen Bestimmungen (vgl. Absatz 6), festzulegen. Welche Stelle ein E-Collecting-System betreiben soll, muss gegenwärtig offenbleiben. Im Versuchsbetrieb soll es möglich sein, dass der Bund oder die Kantone - mit oder ohne Beizug Dritter - ein System betreiben können.
Während im analogen Prozess die Komitees respektive die Vertreter eines Wahlvorschlags die Kontrolle über die Sammlung ausüben, ist dies im elektronischen Prozess im Prinzip die betreibende Behörde. Es ist für die Urheberinnen und Urheber einer Sammlung jedoch entscheidend, über den Stand der Sammlung im Bilde zu sein. Dementsprechend sieht das Gesetz ausdrücklich die Pflicht des Bundesrates vor, die Auskunfts- respektive Einsichtsrechte der beteiligten Dritten wie namentlich der Komitees und der Vertreter des Wahlvorschlags zu regeln. Da bei fakultativen Referenden gesetzlich kein Komitee vorgeschrieben ist, ist die gesetzliche Bestimmung bewusst offen formuliert.
Abs. 5
Bei E-Collecting werden besonders schützenswerte Daten im Sinne von Artikel 5 Buchstabe c Ziffer 1 des Bundesgesetzes vom 25. September 2020 4¹ über den Datenschutz (DSG) bearbeitet. Nach Artikel 35 DSG dürfen solche Daten im Rahmen von Pilotversuchen vor dem Inkrafttreten eines Gesetzes im formellen Sinn unter bestimmten Bedingungen automatisiert bearbeitet werden. Diese Bedingungen sollen auch für die Versuche mit E-Collecting gelten. Die in Artikel 35 Absatz 4 DSG vorgesehene Frist, wonach die automatisierte Datenbearbeitung in jedem Fall abgebrochen werden muss, wenn innerhalb von fünf Jahren nach Aufnahme des Pilotversuchs kein Gesetz im formellen Sinn in Kraft getreten ist, das die erforderliche Rechtsgrundlage enthält, ist für die Versuche mit E-Collecting allerdings zu kurz bemessen. Diese zeitliche Limitierung wäre kaum vereinbar mit der Zwecksetzung von Artikel 84 a Absatz 2 E-BPR, wonach die Versuche Erkenntnisse hinsichtlich der staatspolitischen Auswirkungen ermöglichen sollen. Damit entsprechende Erkenntnisse gesammelt werden können, ist eine längere Versuchs- respektive Beobachtungsphase notwendig, zumal bereits die Sammelfrist für eine einzelne Volksinitiative 18 Monate beträgt. Aus diesem Grund soll die Frist in Abweichung von Artikel 35 Absatz 4 DSG nicht fünf, sondern zehn Jahre betragen.
Im Übrigen kommt Artikel 35 DSG nur dann zur Anwendung, wenn tatsächlich eine Bundesstelle für die Bearbeitung der besonders schützenswerten Daten verantwortlich ist. Sind die Versuche hingegen so konzipiert, dass die kantonalen und/oder kommunalen Behörden für die Bearbeitung verantwortlich sind, so ist das kantonale Datenschutzrecht massgebend.
Abs. 6
Die Einzelheiten der Versuchsordnung lassen sich erst festlegen, wenn wesentliche organisatorische und technische Voraussetzungen möglicher Lösungen bekannt sind. Daher ist der Erlass der Einzelheiten dem Bundesrat zu delegieren. Da das geltende Recht das Verfahren der Unterschriftensammlung detailliert regelt, ist es für Versuche mit der elektronischen Unterschriftensammlung notwendig, von den gesetzlichen Vorgaben abweichen zu können. Absatz 6 regelt daher ausdrücklich, von welchen Bestimmungen der Bundesrat bei den Versuchen abweichen darf. Die Aufzählung begrenzt den Umfang der delegierten Kompetenz an den Bundesrat und ausserdem muss die Durchführung der Versuche die Abweichung erfordern. Die Delegation wird überdies durch den Umstand beschränkt, dass die Versuche gemäss Absatz 1 örtlich, zeitlich und allenfalls anteilsmässig beschränkt sein müssen.
4⁰ Bericht in Erfüllung des Postulats 21.3607 SPK-N, S. 28, 40; verfügbar unter:
www.parlament.ch
> Ratsbetrieb > Curia Vista > Suche.
4¹ SR 235.1
Änderung des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht
Art. 88 Abs. 1 Einleitungssatz und Bst. b
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird Absatz 1 redaktionell neu gefasst.
Artikel 88 BGG regelt die Vorinstanzen des Bundesgerichts in Stimmrechtssachen, das heisst bei Beschwerden betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürgerinnen und Bürger sowie betreffend Volkswahlen und -abstimmungen. Mit der neuen Fassung von Absatz 1 Buchstabe b wird vorgeschlagen, für Beschwerden betreffend eidgenössische Angelegenheiten nicht mehr in jedem Fall eine Verfügung der Bundeskanzlei oder einen Beschwerdeentscheid der Kantonsregierung als Anfechtungsobjekt zu verlangen. Wirkt sich eine Unregelmässigkeit in mehreren Kantonen aus oder ist sie die Folge der Handlung einer Verwaltungsbehörde des Bundes, so kann nach der neuen Formulierung (Art. 88 Abs. 1 Bst. b Ziff. 3) direkt beim Bundesgericht Beschwerde geführt werden. Unregelmässigkeiten mit kantonsübergreifenden Auswirkungen könnten sich beispielsweise im Zusammenhang mit Interventionen interkantonaler Organe 4² oder privater Vereinigungen 4³ im Vorfeld eidgenössischer Volksabstimmungen ergeben. Die Bestimmung ordnet den Rechtsweg bei Wahl- und Abstimmungsbeschwerden in diesen Fällen neu. Sie dehnt den Rechtsschutz gegenüber heute hingegen nicht aus. Sie stellt namentlich keine Ausnahmebestimmung nach Artikel 189 Absatz 4 BV dar. Akte der Bundesversammlung und des Bundesrates im Bereich von Wahlen und Abstimmungen können nicht angefochten werden. Andere Unregelmässigkeiten im Zusammenhang mit eidgenössischen Abstimmungen oder den Nationalratswahlen sind weiterhin nach Artikel 77 BPR zuerst mit Beschwerde an die Kantonsregierung zu rügen.
4² BGE 145 I 175, 145 I 1 und 143 I 78
4³ Vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 1C_63/2015 vom 24. August 2015.
Art. 100 Abs. 3 und 4
Die Beschwerdefrist für eidgenössische Wahl- und Abstimmungsbeschwerden wird neu in Artikel 101 a E-BGG geregelt. Die bisherigen Bestimmungen in Artikel 100 BGG können daher gestrichen werden.
Art. 101a
Beschwerde betreffend eidgenössische Volksabstimmungen und die Nationalratswahlen
Bei Beschwerden nach Artikel 88 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer 3 E-BGG wird kein kantonaler Entscheid angefochten. Stattdessen kann wegen entsprechender Unregelmässigkeiten direkt das Bundesgericht angerufen werden. Da Artikel 100 BGG die Frist bei Beschwerden gegen Entscheide regelt, soll aus redaktionellen Gründen ein eigener Artikel für die Fristen bei Beschwerden betreffend eidgenössische Volksabstimmungen und die Nationalratswahlen geschaffen werden. Die bisherigen Bestimmungen in Artikel 100 Absatz 3 und Absatz 4 BGG werden entsprechend geändert respektive aufgehoben. Die bisherigen Beschwerdefristen für Abstimmungsbeschwerden (5 Tage) und Wahlbeschwerden (3 Tage) an das Bundesgericht bleiben unverändert. Bei Beschwerden, die sich gegen Verfügungen der Bundeskanzlei nach Artikel 88 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer 1 E-BGG richten oder kantonale Volkswahlen oder -abstimmungen betreffen, gilt die bisherige Beschwerdefrist von 30 Tagen (Art. 100 Abs. 1 BGG). Dasselbe gilt für Beschwerden gegen Entscheide der Kantonsregierungen über Stimmrechtsbeschwerden nach Artikel 77 Absatz 1 Buchstabe a BPR.
3 Auswirkungen
3.1 Auswirkungen auf den Bund
Die geplanten Änderungen im Bundesgesetz über die politischen Rechte werden zusätzliche personelle und finanzielle Ressourcen beanspruchen. Besonders die Durchführung von Versuchen im Bereich der elektronischen Unterschriftensammlung wird entsprechende Mittel erfordern. Nach einer ersten groben Einschätzung der Bundeskanzlei könnten für die konzeptuellen Arbeiten, fachliche Begleitung, Koordination und technische Beratung etwa vier befristete Vollzeitstellen über drei Jahre benötigt werden. Der tatsächliche Bedarf hängt wesentlich von der noch festzulegenden Ausgestaltung der Versuche ab - unter anderem ob diese zentral über ein Bundesprojekt koordiniert oder dezentral auf Kantonsebene geführt werden. Auch die Höhe der Sachausgaben kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschliessend beziffert werden. Sie wird im Rahmen der weiteren Projektkonkretisierung ermittelt und mit den Ausführungsbestimmungen zum Gesetz detailliert dargelegt. Erste Schätzungen deuten auf einen möglichen Bedarf von 900 000 Franken zur Aufgleisung der Versuche mit E-Collecting hin, wobei dieser Betrag im Rahmen der weiteren Projektentwicklung noch erhärtet werden muss. Der Bundesrat wird die genauen finanziellen und personellen Auswirkungen im Rahmen seiner Voranschläge konkretisieren, sobald die Umsetzungsmassnahmen und Zuständigkeiten eindeutig definiert sind.
Für die Herstellung und den Vertrieb von Abstimmungsschablonen werden die Kosten heute auf maximal 200 000 Franken geschätzt.
Offen ist, inwiefern die Einführung einer direkten Beschwerde an das Bundesgericht bei eidgenössischen Volksabstimmungen und den Nationalratswahlen zu einer Mehrbelastung des Bundesgerichtes führen könnte. Die Erfahrungen mit dem bisherigen Rechtsmittelweg zeigen, dass lediglich ein Teil der kantonalen Entscheide beim Bundesgericht angefochten werden. Die Anzahl der Verfahren beim Bundesgericht könnte entsprechend zunehmen. Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass im Zusammenhang mit Beschwerdeverfahren bei der Kantonsregierung grundsätzlich keine Kosten erhoben werden dürfen (Art. 86 Abs. 1 BPR), während sich die Kostenpflicht im Verfahren vor Bundesgericht nach dem Bundesgerichtsgesetz richtet (Art. 86 Abs. 2 BPR). Die mögliche Kostenauferlegung könnte auch dazu führen, dass weniger Beschwerden erhoben werden oder diese zurückgezogen werden.
3.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden
Kantone, die eigene Stimmzettel für das sogenannte E-Counting einsetzen, können in Umsetzung von Artikel 6 Absatz 2 E-BPR eigene Abstimmungsschablonen erstellen. In diesen Kantonen können aber auch andere Lösungsansätze in Betracht gezogen werden. Damit die selbstständige Stimmabgabe von blinden und sehbehinderten Stimmberechtigten erleichtert wird, könnte beispielsweise die elektronische Stimmabgabe ermöglicht werden.
Die vorgeschlagenen Rechtsänderungen könnten teilweise auch Anpassungsbedarf an kantonalen und kommunalen Rechtsgrundlagen erforderlich machen (z. B. selbstständige Stimmabgabe blinder und sehbehinderter Stimmberechtigter, E-Collecting). Die Neuordnung des Rechtsmittelweges bei Abstimmungs- und Wahlbeschwerden dürfte aber insgesamt zu einer Entlastung der kantonalen Behörden führen.
3.3 Auswirkungen auf die Gesellschaft
Die Förderung der Möglichkeiten der selbstständigen Stimmabgabe für blinde und sehbehinderte Stimmberechtigte (vgl. Kap. 3.1.2) stärkt die gleichgestellte Ausübung der politischen Rechte im Sinne von Artikel 29 des Übereinkommens vom 13. Dezember 2006 4⁴ über die Rechte von Menschen mit Behinderung und damit zumindest punktuell die politische Teilhabe von Menschen mit einer Behinderung. Ferner sollen die Versuche mit der elektronischen Unterschriftensammlung die digitale Teilhabe der Stimmberechtigten generell stärken.
4⁴ SR 0.109
4 Rechtliche Aspekte
. Verfassungsmässigkeit
Die beantragte Revision stützt sich auf Artikel 39 Absatz 1 BV, wonach der Bund die Ausübung der politischen Rechte in eidgenössischen Angelegenheiten regelt.
Die Bundesverfassung schreibt für fakultative Referenden und Volksinitiativen Fristen und Quoren vor. Sie verlangt aber nicht, dass für solche Begehren Unterschriften zwingend auf Papier gesammelt werden müssen. Die gesetzliche Regelung von elektronischen Unterschriftensammlungen ist vereinbar mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben, sofern damit das Gleichgewicht zwischen direkt-demokratischer Partizipation und ordentlicher Gesetzgebung nicht erheblich verändert wird. ⁴5 Die vorgeschlagene gesetzliche Grundlage erlaubt es, die staatspolitischen Auswirkungen von E-Collecting im Rahmen von Versuchen besser beurteilen zu können. Dies dient der Entscheidfindung, ob der elektronische Sammelkanal in ordentlicher Weise auf Gesetzesstufe eingeführt werden kann oder nicht.
⁴5 Bericht in Erfüllung des Postulats 21.3607, S. 28; verfügbar unter:
www.parlament.ch
> Ratsbetrieb > Curia Vista > Suche.
. Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz
Die Schweiz hat das Übereinkommen vom 13. Dezember 2006 ⁴6 über die Rechte von Menschen mit Behinderung ratifiziert. Artikel 29 der Konvention schützt die politischen Rechte von Bürgerinnen und Bürgern mit Behinderungen. Die neuen Bestimmungen in Artikel 6 E-BPR leisten einen Beitrag, um diesen Grundsatz zu verwirklichen.
⁴6 SR 0.109
. Erlassform
Die Vorlage enthält wichtige rechtsetzende Bestimmungen betreffend die Ausübung der politischen Rechte, die nach Artikel 164 Absatz 1 Buchstabe a BV in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen sind. Als solches untersteht das Gesetz dem fakultativen Referendum (Art. 141 Abs. 1 Bst. a BV). In Bezug auf Versuche mit E-Collecting wurde erwogen, diese gestützt auf Artikel 15 des Bundesgesetzes vom 17. März 2023 ⁴7 über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (EMBAG) durchzuführen. Die staatspolitische Tragweite des Vorhabens spricht indes für die Schaffung einer besonderen gesetzlichen Grundlage im BPR (analog Art. 8 a BPR).
⁴7 SR 172.019
. Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen
Dem Bundesrat werden in Artikel 84 a neue Rechtsetzungsbefugnisse delegiert. Im Hinblick auf die Durchführung praktischer Versuche mit der elektronischen Unterschriftensammlung muss der Bundesrat Bestimmungen auf Verordnungsstufe erlassen, die im Gegensatz zu gesetzlichen Bestimmungen über die Sammlung von Unterschriften für fakultative Referenden, Volksinitiativen und Wahlvorschlägen stehen. Die Abweichungen sind in der Regel formeller (keine Handschriftlichkeit, andere Form von Bescheinigung) oder organisatorischer Natur (andere Zuständigkeit für die Entgegenahme und Verwaltung der elektronischen Unterschriften). Sie dürfen aber nur soweit reichen, wie es die Durchführung der Versuche erfordert.
. Datenschutz
Die vorgeschlagenen Änderungen haben mit Ausnahme der gesetzlichen Grundlage für Versuche mit der elektronischen Unterschriftensammlung keine Auswirkungen auf den Datenschutz. Bei E-Collecting werden besonders schützenswerte Daten im Sinne von Artikel 5 Buchstabe c Ziffer 1 DSG bearbeitet. Ein E-Collecting-System muss daher hohe Anforderungen an die Datensicherheit und den Datenschutz erfüllen. Der Bundesrat wird im Hinblick auf die Durchführung der Versuche entsprechende Schutzmassnahmen definieren müssen. Im Übrigen gilt grundsätzlich Artikel 35 DSG. Artikel 84 a Absatz 5 E-BPR verlängert jedoch die Frist für den allfälligen Erlass der erforderlichen Rechtsgrundlagen von fünf auf zehn Jahre.
Bundesrecht
Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte
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