Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (Anpassung der Hinterlassenenrenten)
Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (Anpassung der Hinterlassenenrenten)
vom 23. Oktober 2024
Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren
Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (Anpassung der Hinterlassenenrenten).
Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben:
| 2020 | P | 20.4449 | «Ungleichbehandlung von Witwen und Witwern beheben» (N 5.5.21, Feri ) |
Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
| 23. Oktober 2024 | Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Viola Amherd Der Bundeskanzler: Viktor Rossi |
Übersicht
Die Vorlage soll die Ungleichbehandlungen von Männern und Frauen bei den AHV-Hinterlassenenrenten beseitigen und das System an die gesellschaftliche Entwicklung anpassen. Das geltende Recht gewährt Langzeit-Hinterlassenenrenten, die sich auf die Anzahl Ehejahre und das Alter der versicherten Person stützen, ohne den tatsächlichen Schutzbedarf der Begünstigten zu berücksichtigen. Die neuen Anspruchsvoraussetzungen für Hinterlassenenleistungen ermöglichen einen gezielteren Schutz, der stärker auf die Erziehungszeit ausgerichtet ist. Für Personen ohne unterhaltsberechtigte Kinder gilt eine Übergangszeit. Zudem wird der Situation von Personen, die in fortgeschrittenerem Alter verwitwen, Rechnung getragen.
Ausgangslage
Während die Witwen- und Waisenrente bereits seit der Einführung der AHV besteht, wurde die Witwerrente erst 1997 im Rahmen der 10. AHV-Reform mit restriktiveren Voraussetzungen umgesetzt. Der Bundesrat war schon damals der Auffassung, dass eine Reform der Hinterlassenenrenten notwendig sei, um die Gleichbehandlung von Mann und Frau sicherzustellen. Bisher sind jedoch sämtliche Bemühungen einer entsprechenden AHV-Reform gescheitert. Am 11. Oktober 2022 erliess der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in der Zusammensetzung der Grossen Kammer sein Urteil in der Sache Beeler gegen die Schweiz. Er kam zum Schluss, dass der Beschwerdeführer eine Ungleichbehandlung erlitten habe, die der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) zuwiderlaufe und eine Verletzung von Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 EMRK darstellt. In der Folge wurde umgehend eine Übergangsregelung eingeführt. Eine Gesetzesänderung ist notwendig, um die Gleichbehandlung sicherzustellen und die Übergangsregelung zu beenden.
Inhalt der Vorlage
Hauptziel dieser Vorlage ist es, dem Urteil des EGMR Folge zu leisten, indem die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen bei den Hinterlassenenrenten korrigiert wird. Darüber hinaus sollen die Leistungen an die gesellschaftlichen Entwicklungen, wie beispielsweise die aktive Erwerbsbeteiligung der Frauen, angepasst und neue Formen von Familienstrukturen berücksichtigt werden. Das geltende System basiert nach wie vor auf der traditionellen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau und bezweckt eine soziale Absicherung, die sehr stark auf die Dauer der Ehe ausgerichtet ist. Auch wenn Haushalte mit unterhaltsberechtigten Kindern grossmehrheitlich aus verheirateten Paaren bestehen, haben sich die Familienformen gewandelt und umfassen heute Patchworkfamilien sowie in Konsensualpartnerschaft oder getrennt lebende unverheiratete Eltern. Diesen neuen Familienmodellen muss Rechnung getragen werden, indem für Haushalte mit Kindern Hinterlassenenleistungen eingeführt werden, die unabhängig vom Zivilstand sind. Neben diesen gesellschaftlichen Aspekten sind jedoch auch der Finanzierungsbedarf der AHV und die Sparmassnahmen des Bundes, die eine Reduktion der gebundenen Ausgaben erfordern, zu berücksichtigen.
Auf die Kinderbetreuungs- und -erziehungszeit ausgerichtete Rente für den hinterlassenen Elternteil
Angesichts der zunehmenden Zahl erwerbstätiger Frauen, des sich verschärfenden Fachkräftemangels und der veränderten Rollenverteilung in Familie und Erwerbsleben sind lebenslange Witwen- und Witwerrenten nicht mehr gerechtfertigt.
Mit dieser Vorlage sollen die Hinterlassenenleistungen deshalb in erster Linie während der Erziehungszeit ausgerichtet werden. Bei einem Todesfall soll dieser Schutz allen Personen mit unterhaltsberechtigten Kindern zuteilwerden, unabhängig davon, ob sie verheiratet oder geschieden sind, im Konkubinat oder auch getrennt leben. Die Vorlage sieht die Ausrichtung einer Hinterlassenenrente vor, bis das jüngste Kind das 25. Altersjahr vollendet hat. Verwitwete Personen, die ihre erwachsenen Kinder mit Behinderungen selber betreuen, erhalten auch nach dem 25. Altersjahr eine Rente.
Übergangsrente bei Verwitwung zur Unterstützung von Hinterbliebenen ohne unterhaltsberechtigte Kinder
Für Personen, die in einer Paarbeziehung leben und somit eine Wirtschaftsgemeinschaft bilden, führt der Tod oft zu einer erheblichen Einkommenseinbusse. Wirtschaftlich gesehen hat die Verwitwung in der Regel einschneidende Auswirkungen auf das Haushaltseinkommen, allerdings nur kurzfristig. Mittelfristig ist im Allgemeinen eine Verbesserung der finanziellen Situation möglich. Der Bundesrat beantragt deshalb die Einführung einer neuen Übergangsleistung, mit der diese Anpassungsphase abgefedert und die finanziellen Auswirkungen einer Verwitwung reduziert werden sollen. Konkret erhalten Witwen und Witwer, die für keine unterhaltsberechtigten Kinder mehr aufkommen, während zwei Jahren eine Übergangsrente, sofern eine Unterhaltspflicht der verstorbenen Person vorlag.
Besonderer Schutz für ältere armutsgefährdete verwitwete Personen
Der Bundesrat beantragt einen besonderen Schutz für ältere verwitwete Personen, für die es demnach schwierig ist, den Beschäftigungsgrad zu erhöhen beziehungsweise eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder wiederaufzunehmen, um selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Anspruchsberechtigte sollen das 58. Altersjahr vollendet haben. Dabei handelt es sich um das früheste Alter für den Bezug einer Altersleistung der 2. Säule. Das Alter ist aber nicht das einzige anwendbare Kriterium. Erwerbstätige in guten finanziellen Verhältnissen sind in der Lage, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Deshalb wird eine Lösung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV vorgeschlagen, um auf individuelle Bedürfnisse einzugehen und eine auf bedürftige Personen ausgerichtete Absicherung zu schaffen.
Sozialverträgliche Anpassungen bei den bestehenden Renten
Um eine allzu grosse Diskrepanz zwischen dem geltenden System und dem neuen Recht zu vermeiden, beantragt der Bundesrat für Personen ab 55 Jahren eine Besitzstandsgarantie für bestehende Renten. Für jüngere Witwen und Witwer sollen die Renten nach einer Übergansperiode von zwei Jahren aufgehoben werden. Laufende Renten für Witwen und Witwer ab 50 Jahren, die Ergänzungsleistungen beziehen, werden beibehalten.
Botschaft
1 Ausgangslage
Am 11. Oktober 2022 fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in der Zusammensetzung der Grossen Kammer sein Urteil in der Sache Beeler gegen die Schweiz ¹ und stellte eine Ungleichbehandlung von Männern und Frauen bei den Hinterlassenenrenten fest. Seither gilt bis zur Anpassung der gesetzlichen Grundlagen eine Übergangsregelung, die sicherstellt, dass in Situationen, die mit der beurteilten Situation identisch sind, keine Ungleichbehandlung mehr erfolgt. Jedoch beseitigt die Übergangsregelung nicht alle geschlechtsspezifischen Unterschiede im Rahmen der AHV-Hinterlassenenrenten. Aus diesem Grund ist eine Gesetzesänderung notwendig.
Parallel dazu traf der Bundesrat im Februar und März 2023 Grundsatzentscheide zu den Hinterlassenenrenten, die mit den Sparmassnahmen des Bundes bei gebundenen Ausgaben zusammenhängen. Daraufhin prüfte er die Möglichkeit einer Einschränkung der Anspruchsvoraussetzungen für Hinterlassenenrenten und analysierte die Kinderrenten der AHV, um den Bundeshaushalt um 100 Millionen Franken zu entlasten. Mit der Revision der AHV-Hinterlassenenrenten sollen die Rechtsgleichheit zwischen Witwen und Witwern hergestellt, das System an die sozialen Realitäten angepasst und die Ausgaben des Bundes gesenkt werden.
Heute erhalten 187 665 Personen eine Witwen- oder Witwerrente in der Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Franken; 68 Prozent dieser Personen haben das Rentenalter bereits erreicht und die allermeisten von ihnen sind über 50 Jahre alt. Jene, die das Rentenalter noch nicht erreicht haben, beziehen Witwen- und Witwerrenten im Umfang von insgesamt 933 Millionen Franken. Weil das Sterberisiko mit dem Alter zunimmt, werden Witwen- und Witwerrenten vor allem an ältere Personen ausgerichtet. Witwen- und Witwerrenten, die nach dem Rentenalter ausbezahlt werden, betreffen insbesondere Personen im Ausland, die keinen Anspruch auf eine eigene Altersrente haben oder deren Altersrente aufgrund kurzer Beitragszeiten geringer ausfällt.
Tabelle 1-1
Bezügerinnen und Bezüger einer Witwen- bzw. Witwerrente, nach Alter, Geschlecht und Wohnort, Stand Dezember 2023
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| Alter | Männer | Frauen | Total | ||||
|---|---|---|---|---|---|---|---|
| in der Schweiz | im Ausland | Total | in der Schweiz | im Ausland | Total | Total | |
| Im Erwerbsalter | |||||||
| < 50 Jahre | 821 | 175 | 996 | 4 808 | 2 631 | 7 439 | 8 435 |
| 50-59 ans | 983 | 225 | 1 208 | 16 781 | 10 090 | 26 871 | 28 079 |
| 60-63/64 Jahre | 256 | 75 | 331 | 13 635 | 8 980 | 22 615 | 22 946 |
| Total | 2 060 | 475 | 2 535 | 35 224 | 21 701 | 56 925 | 59 460 |
| Im Rentenalter | |||||||
| > 63/64 Jahre | 55 | 826 | 881 | 11 518 | 115 806 | 127 324 | 128 205 |
| Total | 2 115 | 1 301 | 3 416 | 46 742 | 137 507 | 184 249 | 187 665 |
Quelle: Rentenregister, Stand 2023.
Insgesamt beziehen 7470 verwitwete Personen, mehrheitlich Frauen, Ergänzungsleistungen (EL), weil ihr Einkommen zur Deckung der Lebenshaltungskosten nicht ausreicht. Davon sind 3411 Personen im Erwerbsalter. Die meisten (knapp 90 %) der verwitweten Personen, die EL beziehen, haben keine unterhaltsberechtigten Kinder. Das heisst, sie haben keine finanzielle Verantwortung für Kinder, da sie entweder keine Kinder haben oder diese keinen Anspruch auf eine Waisenrente mehr haben. Somit wird davon ausgegangen, dass es sich um Personen ohne unterhaltsberechtigte Kinder handelt. 2023 wurden insgesamt 42,0 Millionen Franken EL (ohne Krankenkassenprämien) an Witwen und Witwer im Erwerbsalter ausbezahlt. Diese Zahlen sind in den folgenden Tabellen aufgeschlüsselt dargestellt.
Tabelle 1-2
Bezügerinnen und Bezüger von EL mit einer Witwen- bzw. Witwerrente der AHV, mit oder ohne unterhaltsberechtigte Kinder, Stand Dezember 2023
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| Alter | Männer | Frauen | Total | ||||
|---|---|---|---|---|---|---|---|
| ohne unterhaltsberechtigte Kinder | mit unterhaltsberechtigten Kindern | Total | ohne unterhaltsberechtigte Kinder | mit unterhaltsberechtigten Kindern | Total | Total | |
| Im Erwerbsalter | |||||||
| < 50 Jahre | 10 | 31 | 41 | 172 | 394 | 566 | 607 |
| 50-59 Jahre | 10 | 24 | 34 | 1177 | 322 | 1499 | 1533 |
| 60-63/64 Jahre | 3 | 12 | 15 | 1224 | 32 | 1256 | 1271 |
| Total | 23 | 67 | 90 | 2573 | 748 | 3321 | 3411 |
| Im Rentenalter | |||||||
| > 63/64 Jahre | 12 | 0 | 12 | 4045 | 2 | 4047 | 4059 |
| Total | 35 | 67 | 102 | 6618 | 750 | 7368 | 7470 |
Quelle: Ergänzungsleistungsregister (Fälle), Stand 2023.
Tabelle 1-3
Summe der an Witwen und Witwer mit und ohne unterhaltsberechtigte Kinder ausgerichtete EL in Millionen Franken (ohne Krankenkassenprämien), Stand 2023
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| Alter | Männer | Frauen | Total | ||||
|---|---|---|---|---|---|---|---|
| ohne unterhaltsberechtigte Kinder | mit unterhaltsberechtigten Kindern | Total | ohne unterhaltsberechtigte Kinder | mit unterhaltsberechtigten Kindern | Total | Total | |
| Im Erwerbsalter | |||||||
| < 50 Jahre | 0,3 | 0,8 | 1,0 | 1,7 | 6,6 | 8,3 | 9,3 |
| 50-59 Jahre | 0,2 | 0,5 | 0,7 | 11,5 | 4,2 | 15,7 | 16,4 |
| 60-63/64 Jahre | 0,0 | 0,3 | 0,3 | 15,4 | 0,5 | 16,0 | 16,3 |
| Total | 0,5 | 1,6 | 2,1 | 28,6 | 11,3 | 39,9 | 42,0 |
| Im Rentenalter | |||||||
| > 63/64 Jahre | 0,3 | 0,0 | 0,3 | 53,5 | 0,0 | 53,6 | 53,8 |
| Total | 0,7 | 1,6 | 2,3 | 82,1 | 11,3 | 93,5 | 95,8 |
Quelle: Ergänzungsleistungsregister (Fälle), Stand 2023.
1.1 Handlungsbedarf und Ziele
Das System der Witwenrenten hat sich seit der Einführung der AHV 1948 praktisch nicht verändert. Zweck der Witwenrente war es, den erhöhten Schutzbedarf verheirateter Frauen im Falle des Todes ihres Ehegatten abzudecken. Damals widmeten sich die Frauen vor allem dem Haushalt und der Kindererziehung, während die Männer für ihre finanzielle Absicherung sorgten. Die Witwerrente wurde 1997 im Rahmen der 10. AHV-Revision eingeführt, um der steigenden Anzahl erwerbstätiger verheirateter Frauen und der veränderten Aufgabenteilung in der Familie Rechnung zu tragen. Die Einführung der Witwerrente war zugleich ein erster Schritt in Richtung der Geschlechtergleichstellung. Der Bundesrat war damals der Auffassung, dass die «Hausmannsehe» noch relativ selten sei und dem Mann zugemutet werden könne, nach dem Wegfall seiner Betreuungspflichten wieder eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Er war zudem der Ansicht, dass das System der Hinterlassenenrenten im Rahmen einer nächsten AHV-Revision anzupassen sei. ²
Bisher sind jedoch sämtliche Bemühungen einer entsprechenden AHV-Reform gescheitert. 11. AHV-Reform ³ sah beispielsweise eine Angleichung der Anspruchsvoraussetzungen für Witwen- und Witwerrenten vor. Die Reform Altersvorsorge 2020 ⁴ wiederum wollte den Anspruch auf eine Hinterlassenenrente der AHV auf die für die Erziehungsaufgaben zuständigen Ehegattinnen bzw. Ehegatten beschränken. Im Rahmen der Reform AHV 21 ⁵ , die sich auf wesentliche Massnahmen zur finanziellen Sicherung der AHV konzentrierte, übernahm der Bundesrat diese Massnahme jedoch nicht.
Während auf nationaler Ebene über das System der Hinterlassenenrenten debattiert wurde, fällte der EGMR am 20. Oktober 2020 ein Urteil in der Sache Beeler gegen die Schweiz (Beschwerde Nr. 78630/12). Der Fall betraf die Witwerrente der AHV des Beschwerdeführers, dessen Rentenanspruch mit Erreichen der Volljährigkeit seiner jüngsten Tochter erloschen war. Der EGMR hielt fest, dass der Beschwerdeführer eine Ungleichbehandlung erlitten habe, die der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ⁶ zuwiderlaufe, weil die Witwerrente mit Erreichen der Volljährigkeit seines jüngsten Kindes aufgehoben wurde, was bei einer Witwe in der gleichen Situation nicht der Fall gewesen wäre. Der Antrag der Schweiz auf Verweisung an die Grosse Kammer wurde angenommen, worauf sich diese mit dem Fall befasste und mit Urteil vom 11. Oktober 2022 das Urteil bestätigte und eine Verletzung von Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 EMRK feststellte. Das Urteil der Grossen Kammer ist endgültig und erlangte mit der Verkündung Rechtsverbindlichkeit.
Alle Schweizer Verwaltungs- und Justizbehörden sind verpflichtet, die EMRK gemäss Auslegung der Rechtsprechung des EGMR umzusetzen. Die Schweiz musste daher umgehend die erforderlichen Massnahmen ergreifen, damit sich die vom EGMR festgestellte Rechtsverletzung nicht wiederholt. Da eine Anpassung der gesetzlichen Grundlagen unter Einhaltung des Gesetzgebungsverfahrens nicht unmittelbar erfolgen konnte, wurde per 11. Oktober 2022 mittels Weisungen des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) eine Übergangsregelung eingeführt. Die Witwerrente der AHV erlischt seither bei Erreichen der Volljährigkeit des letzten Kindes nicht mehr. Das Urteil des EGMR und die Übergangsregelung sind nicht rückwirkend anwendbar und gelten auch nicht für andere Situationen, bei denen weiterhin eine unterschiedliche Behandlung von Witwen und Witwern besteht, namentlich bei kinderlosen oder geschiedenen Personen. Diese Übergangsregelung, die in den nächsten Jahren zu einem stetigen Anstieg der Witwerrenten um 12 Millionen Franken pro Jahr führen dürfte, dauert bis zum Inkrafttreten der Änderungen des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1946 ⁷ über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) im Bereich der Hinterlassenenrenten.
1.1.1 Gleichbehandlung
Im Rahmen der Reform AHV 21 wurde das Referenzalter harmonisiert. Für Frauen und Männer gilt neu ein einheitliches Referenzalter von 65 Jahren, womit eine der beiden Ungleichbehandlungen, die beim Anspruch auf AHV-Leistungen bestanden, behoben wurde. Mit dieser Vorlage soll nun auch die Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen bei den Anspruchsvoraussetzungen für Hinterlassenenrenten beseitigt werden. In der Vergangenheit hatte der umfassendere Schutz für Frauen die finanzielle Absicherung zum Ziel, weil ihnen nicht zuzumuten war, nach dem Tod des Ehegatten eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder wiederaufzunehmen. Dieses Argument gilt heute nicht mehr in allen Fällen. Ausserdem hat sich die Rollenverteilung innerhalb der Familie so verändert, dass auch Witwer in eine prekäre Lage geraten können, wenn das Haushaltseinkommen im Wesentlichen von der verstorbenen Ehefrau erwirtschaftet wurde.
Den veränderten sozialen Realitäten sowie den Bedingungen beim Arbeitsmarktzugang und bei der Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen ist dennoch Rechnung zu tragen. Studien ⁸ zur wirtschaftlichen Situation von Hinterbliebenen zeigen namentlich, dass Witwer in der Regel finanziell bessergestellt sind als Witwen. Im Gegensatz zu den Männern gehen Frauen häufiger einer Teilzeiterwerbstätigkeit nach, insbesondere nach der Geburt eines Kindes, während die Erwerbsbeteiligung der Männer unabhängig von der Haushaltssituation hoch bleibt. ⁹ Die Auswirkungen der Verwitwung auf die wirtschaftliche Situation von Männern und Frauen ist somit unterschiedlich, wobei Witwen im Erwerbsalter häufiger einem Prekaritätsrisiko ausgesetzt sind als Witwer.
Gemäss den Daten für das Jahr 2022 arbeiten rund 86 Prozent der Männer mit Kindern unter 15 Jahren Vollzeit, während es bei den Frauen mit Kindern derselben Altersgruppe nur 22 Prozent sind. Von den 78 Prozent der Teilzeit arbeitenden Frauen mit Kindern unter 15 Jahren waren rund 42 Prozent zu weniger als 50 Prozent erwerbstätig. 1⁰ Bei einer Verwitwung kann es in solchen Konstellationen für Frauen weiterhin schwieriger sein, den Einkommensrückgang zu kompensieren.
Trotz einer höheren Erwerbsbeteiligung der Frauen gibt es bei den wirtschaftlichen Auswirkungen einer Verwitwung Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Eine Anpassung der Anspruchsvoraussetzungen für Hinterlassenenrenten muss folglich sowohl dem Schutzbedarf der versicherten Personen als auch dem Grundsatz der Gleichbehandlung Rechnung tragen.
⁸
Gabriel et al. (2022),
S. 108 ff.; Wanner und Fall (2012
),
S. 81.
⁹
Bericht Familien in der Schweiz
(
2021
),
S. 26.
1⁰
www.bfs.admin.ch
> Statistiken > Arbeit und Erwerb > Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE), 2022
1.1.2 An die gesellschaftliche Entwicklung angepasste Regelung
Neben dem Erwerbsverhalten der Frauen haben sich auch die Familienformen gewandelt. Familien bestehen heute nicht selten aus unverheirateten Eltern oder sind Patchworkfamilien. Die grosse Mehrheit der Haushalte mit Kindern unter 25 Jahren sind verheiratete Paare (72 %). Dabei handelt es sich bei 97 Prozent um Erstfamilien. 3 Prozent sind Fortsetzungsfamilien, das heisst Haushalte, bei denen mindestens ein Elternteil ein Kind aus einer früheren Beziehung in die neue Familie hineingebracht hat (Patchwork). Bei rund einem Zehntel der Haushalte mit Kindern unter 25 Jahren (11 %) leben die Eltern in einer Konsensualpartnerschaft. 1¹ Diesen neuen Familienmodellen muss Rechnung getragen werden, indem für Haushalte mit Kindern Hinterlassenenleistungen vorgesehen werden, die unabhängig vom Zivilstand sind.
Angesichts der zunehmenden Zahl erwerbstätiger Frauen, des sich verschärfenden Fachkräftemangels und der veränderten Rollenverteilung in Familie und Erwerbsleben, ist die Ausrichtung lebenslanger Witwen- und Witwerrenten ausserdem nicht mehr gerechtfertigt.
1¹
www.bfs.admin.ch
> Statistiken > Bevölkerung > BFS - Strukturerhebung (SE)
² Botschaft vom 5. März 1990 über die zehnte Revision der Alters- und Hinterlassenenversicherung, BBl 1990 II 1 S. 38.
³ Botschaft vom 2. Februar 2000 über die 11. Revision der Alters- und Hinterlassenenversicherung und die mittelfristige Finanzierung der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, BBl 2000 1865 .
⁴ Botschaft vom 19. November 2014 zur Reform der Altersvorsorge 2020, BBl 2015 1 .
⁵ Botschaft vom 28. August 2019 zur Stabilisierung der AHV (AHV 21), BBl 2019 6305 .
⁶ SR 0.101
⁷ SR 831.10
1.2 Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung
Zur Beseitigung der Ungleichbehandlung von Witwen und Witwern wurden verschiedene Alternativen geprüft.
1.2.1 Angleichung der Leistungen von Witwern an jene von Witwen
Eine Möglichkeit zur Vereinheitlichung der Hinterlassenenleistungen für Männer und Frauen wäre die Angleichung der Anspruchsvoraussetzungen für Witwerrenten an diejenigen für Witwenrenten. Ein Witwer mit Kind hätte so unabhängig vom Alter des Kindes wie eine verwitwete Frau Anspruch auf eine lebenslange Rente. Diese Lösung würde bedeuten, dass die in Folge des EGMR-Urteils zugunsten der Witwer geschaffene Übergangsregelung ins AHVG überführt würde. Zudem müsste der Leistungsanspruch auch auf geschiedene Eheleute sowie Witwer ohne Kinder, die das 45. Altersjahr vollendet haben und deren Ehe mindestens 5 Jahre gedauert hat, ausgedehnt werden.
Dieses Modell würde die Gleichbehandlung sicherstellen und entspräche einer Besitzstandswahrung für Frauen und für Personen, die unter die Übergangsregelung fallen. Allerdings würde eine solche Lösung den gesellschaftlichen Veränderungen nicht gebührend Rechnung tragen und wäre im Hinblick auf die Finanzierungsprobleme der AHV, die noch immer mit demografischen Herausforderungen konfrontiert ist, nicht tragbar. Ein lebenslanger Rentenanspruch für Männer und Frauen nach einem Todesfall ist heutzutage kaum zu rechtfertigen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Todesfalls sind in vielen Fällen vorübergehend und hängen mit der Betreuung und Erziehung von Kindern zusammen. Grundsätzlich ist ein Todesfall langfristig kein Hinderungsgrund, wieder eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, insbesondere wenn keine Ausgaben für den Unterhalt der Kinder anfallen. Eine Änderung der Anspruchsvoraussetzungen muss nicht nur den gesellschaftlichen Wandel berücksichtigen, sondern auch dafür sorgen, dass das Vorsorgesystem nicht aus dem Gleichgewicht gerät. Die gewählte Lösung muss mit sozial und politisch tragbaren Massnahmen, die langfristig auch finanzierbar sind, den Interessen aller Anspruchsgruppen gerecht werden. Darüber hinaus wäre ein solches Modell nicht zielgerichtet und könnte zu negativen Erwerbsanreizen führen.
1.2.2 Angleichung der Leistungen für Witwen an diejenigen für Witwer
Ein weiteres Modell wäre eine Harmonisierung der Anspruchsvoraussetzungen für Hinterlassenenrenten nach unten, das heisst eine Angleichung der Voraussetzungen für Witwenrenten an diejenigen für Witwer. Eine Rente würden nur Witwer und Witwen mit minderjährigen Kindern erhalten, bis das jüngste Kind das 18. Altersjahr vollendet. Dieses Modell liesse sich zwar mit der finanziellen Lage der AHV vereinbaren, wäre für die Frauen, die nicht oder Teilzeit erwerbstätig sind, aber viel zu restriktiv und würde die Unterhaltspflicht gegenüber Kindern, die nicht mit 18 Jahren endet, nicht ausreichend berücksichtigen.
Zu berücksichtigen ist ausserdem, dass mehr als 96 Prozent der Bezügerinnen einer Witwenrente heute keine unterhaltsberechtigten Kinder haben und folglich nicht mehr leistungsberechtigt wären. Für Familien mit Kindern ist eine Absicherung im Verwitwungsfall bis zur Volljährigkeit der Kinder ungenügend. Zu berücksichtigen sind auch die Erfordernisse einer beruflichen Ausbildung. Die Unterhalts- und Unterstützungspflicht der Eltern gegenüber ihren Kindern endet nämlich nicht mit deren Volljährigkeit. Im Übrigen werden die Waisenrenten der AHV und die Ausbildungszulagen längstens bis zur Vollendung des 25. Altersjahres des Kindes ausbezahlt. Eine Waisenrente allein genügt jedoch nicht zur Deckung des Lebensunterhalts, denn der Tod eines Elternteils kann im Haushalt bisweilen zu einem massiven Einkommensverlust führen. Auch wenn angesichts des Alters der Kinder eine Ausweitung der Erwerbstätigkeit gegebenenfalls zugemutet werden kann, ist es oft nicht möglich, den Einkommensrückgang zu kompensieren. Diese Lösung würde folglich dem Unterstützungsbedarf und den weiterhin bestehenden Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht ausreichend Rechnung tragen.
Einige Kategorien von Hinterbliebenen, insbesondere die Frauen, könnten mit dieser Lösung bei einer Verwitwung in eine prekäre finanzielle Situation geraten, was eine Verlagerung der Kosten auf die Kantone und die Sozialhilfe zur Folge hätte.
Die in der Volksabstimmung vom 16. Mai 2004 abgelehnte Vorlage zur 11. AHV-Revision enthielt eine solche Massnahme, die jedoch gegenüber den Frauen als zu restriktiv angesehen wurde. Frauen sind zwar immer besser in den Arbeitsmarkt integriert, im Hinblick auf ihre Situation auf dem Arbeitsmarkt wäre eine solche Nivellierung der Leistungen jedoch zu einschneidend.
1.2.3 Modell zugunsten der Waisenrenten
Ein weiterer Vorschlag, den der Bundesrat im Rahmen der Reform der Altersvorsorge 2020 vorgelegt hatte, betraf die betragsmässige Anpassung der Renten, nur an Personen ausgerichtet würden, die im Zeitpunkt der Verwitwung minderjährige Kinder haben. Die Rente würde hingegen bis ans Lebensende bezahlt. Beim Tod der Ehegattin oder des Ehegatten wäre die reduzierte Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen, die durch die Wahrnehmung von Familienpflichten entsteht. Die Höhe der Witwen- oder Witwerrente würde zum Beispiel von 80 auf 60 Prozent der entsprechenden Altersrente reduziert, während die Waisenrente von 40 auf 50 Prozent der entsprechenden Altersrente erhöht würde.
Diese Änderung würde es erlauben, eine angemessene Unterstützung von Haushalten mit mehreren Kindern zu garantieren. Ab zwei Kindern würde nämlich die Reduktion der Witwen- oder Witwerrente durch die gleichzeitige Erhöhung der Waisenrenten kompensiert. Bei allfälligen finanziellen Einbussen könnte die Senkung der Rentenhöhe ab dem Zeitpunkt, in dem der Anspruch auf die Waisenrente erlischt, durch eine Erhöhung oder Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit ausgeglichen werden.
Diese Massnahme wurde nicht übernommen, weil sie nach wie vor eine lebenslange Rente vorsah, und dies allein aufgrund des Kriteriums, dass die verwitwete Person zum Zeitpunkt des Todesfalls minderjährige Kinder hat. Ausserdem würde das Niveau der Renten für die Eltern gesenkt, was zu Problemen führen könnte, sobald das Kind nicht beim hinterbliebenen Elternteil wohnt. Im Übrigen erlaubt es die Höhe der Waisenrente bereits, die Ausgaben für die Kinder angemessen abzudecken. Eine Erhöhung des Rentenbetrags ist nicht notwendig. Die Revision bezweckt eine Anpassung der Leistungen, wobei insbesondere verwitwete Personen, die am meisten von finanzieller Prekarität bedroht sind, gleichberechtigt unterstützt werden sollen. Eine Senkung des Rentenbetrags für verwitwete Personen zugunsten einer Erhöhung der Waisenrenten würde diesem Ziel zuwiderlaufen.
1.2.4 Rente zugunsten älterer Hinterlassener
Heute ist das Kriterium des Alters in Verbindung mit der Dauer der Ehe eine wichtige Voraussetzung für den Anspruch auf eine Witwenrente. Demnach hängt der Rentenanspruch von Witwen von ihrem Alter zum Zeitpunkt des Todes ihres Ehegatten ab, unabhängig davon, ob sie Kinder haben oder nicht. Dieses Alter liegt heute bei 45 Jahren. Eine Leistung für ältere Hinterlassene ist denkbar. Personen, die wenige Jahre vor Erreichen des Rentenalters verwitwen, könnten unter Umständen Schwierigkeiten haben, ihren Beschäftigungsgrad zu erhöhen beziehungsweise eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder wiederaufzunehmen, um selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen.
Je nach Alter im Zeitpunkt des Todesfalles könnten Hinterbliebene Anspruch auf eine Leistung haben. Die in den 1950er-Jahren eingeführte Altersgrenze von 45 Jahren ist angesichts der Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und den Wiedereingliederungsmöglichkeiten nicht mehr zeitgemäss. 58 Jahre sind ein sinnvolles Alter, entspricht es doch auch jenem Alter, ab dem frühestens Altersleistungen der 2. Säule bezogen werden können, sowie dem Alter für Überbrückungsleistungen für Personen, die von der Arbeitslosenversicherung ausgesteuert wurden. Zwar werden diese Leistungen erst ab Alter 60 ausgerichtet, anspruchsberechtigt sind jedoch Personen, die ihre Stelle nach dem 58. Altersjahr verloren haben.
Konkret würde nach einem Todesfall den überlebenden oder den ehemaligen Ehegattinnen bzw. Ehegatten, denen zum Zeitpunkt des Todes ein Unterhaltsbeitrag geschuldet war, ab dem 58. Altersjahr bis höchstens zum AHV-Referenzalter eine Witwen- oder eine Witwerrente ausbezahlt. Die Dauer der Ehe ist kein massgebendes Kriterium mehr. Eine ansonsten bedingungslose Rente ist allerdings nicht auf die effektiven Bedürfnisse ausgerichtet: Zu berücksichtigen ist sowohl die finanzielle Situation als auch die Tatsache, ob eine verwitwete Person bereits ausreichend erwerbstätig ist oder über genügend finanzielle Mittel verfügt.
Ein Anspruch auf eine Hinterlassenenrente, der einzig vom Alter abhängt und nicht an unterhaltspflichtige Kinder gebunden ist, ist weder zielgerichtet noch entspricht er einem nachgewiesenen Bedürfnis. Es ist viel sinnvoller, gezielt bedürftige Personen zu unterstützen, um zu verhindern, dass diese aufgrund der Verwitwung ab einem bestimmten Alter in eine prekäre finanzielle Situation geraten. EL eignen sich besser, um Personen zu schützen, die nach dem Wegfall einer wirtschaftlichen Stütze in die Bedürftigkeit abzurutschen drohen.
1.2.5 Reduktion oder Aufhebung der Kinderrenten der AHV
Der Bundesrat hat eine Anpassung der Kinderrenten der AHV im Rahmen der Sparmassnahmen bei den gebundenen Ausgaben geprüft. Diese Frage war bereits bei der Reform AHV 21 geprüft worden. In Erfüllung des Postulats der SGK-S 16.3910 «Kinderrenten der ersten Säule vertieft analysieren» wurde zudem eine Studie durchgeführt, um aufzuzeigen, wie die wirtschaftlichen Verhältnisse der Rentenbezügerinnen und -bezüger aussehen, die nach dem 65. Altersjahr noch unterhaltsberechtigte Kinder haben. In seiner Botschaft zur AHV 21 kam der Bundesrat zum Schluss, dass die Kinderrenten erstens einen Beitrag dazu leisten, dass die rentenauslösenden Kinder nicht in einem wirtschaftlich leistungsschwächeren Umfeld leben müssen als Kinder von jüngeren Eltern, die das AHV-Rentenalter noch nicht erreicht haben. Bei Volljährigen wird dieses Ziel besser erreicht als bei Minderjährigen. Bei einem Wegfall der Kinderrenten würde sich die Armutsgefährdung der betroffenen Minderjährigen von 28 auf 41 Prozent erhöhen. ¹2 Zudem ist davon auszugehen, dass bei einem Wegfall der Kinderrenten die Chancen, eine längere Ausbildung zu absolvieren, für einen Teil der jungen Erwachsenen mit Eltern im AHV-Rentenalter sinken würden, sofern der damit einhergehende Einkommensverlust nicht durch andere Einkommensquellen kompensiert werden kann. ¹3
Die Kinderrenten der IV basieren ausserdem auf demselben System wie die Kinderrenten der AHV. Die anwendbaren Beträge sind identisch. Zweck dieser Renten ist es, dass die Rentenbeziehenden trotz Invalidität oder Alter der Unterhaltspflicht gegenüber ihren Kindern nachkommen können. Für diese Personen ist es schwierig, das Erwerbseinkommen zu Unterhaltszwecken zu erhöhen.
Der Bundesrat ist der Auffassung, dass diese Schlussfolgerungen immer noch gelten und dieser Aspekt in keinem Zusammenhang mit der Revision der Hinterlassenenrenten steht. Dennoch hat er die beiden folgenden Optionen geprüft:
Tiefere Kinderrenten der AHV
Eine Kürzung der Kinderrenten, die aktuell 40 Prozent der entsprechenden Altersrente betragen, wurde geprüft, aber verworfen. Denn ab Erreichen des Rentenalters sinkt das Einkommen der Rentenbezügerinnen und -bezüger und ihr Anspruch auf Familienzulagen für ihre Kinder erlischt. Mit den Kinderrenten sollen sowohl IV- als auch AHV-Rentnerinnen und Rentner weiterhin für den Unterhalt ihrer Kinder aufkommen können. Da die Kosten für den Unterhalt eines Kindes für die Rentnerinnen und Rentner beider Versicherungen ähnlich hoch sind, ist es nicht erstrebenswert, in der AHV und in der IV unterschiedliche Rentenbeträge vorzusehen. Das würde zu einer kaum zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung zwischen IV- und AHV-Rentnerinnen und -Rentnern und insbesondere zu einer Schlechterstellung der Kinder von AHV-Beziehenden gegenüber jenen von IV-Beziehenden führen.
Aufhebung der Kinderrenten in der AHV
Eine Aufhebung der Kinderrenten hätte erhebliche Auswirkungen auf das Einkommen von Personen mit Familienpflichten. Der Einkommensverlust liesse sich kaum kompensieren. Im Rentenalter sinkt das Einkommen stark und es kann von Rentnerinnen und Rentnern mit unterhaltsberechtigten Kindern nicht erwartet werden, dass sie eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder ihren Beschäftigungsgrad erhöhen, um für die Kinderkosten aufzukommen. Darüber hinaus haben nicht erwerbstätige Personen im Rentenalter grundsätzlich keinen Anspruch mehr auf Familienzulagen.
¹2 BBl 2019 6305 S. 6335
¹3 BBl 2019 6305 S. 6335
1.2.6 In der AHV gewählte Lösung
Um die Verwitwetenrenten in der AHV so anzupassen, dass die Gleichbehandlung von Männern und Frauen gewährleistet ist und gleichzeitig die Umstände berücksichtigt werden, bei denen weiterhin Unterschiede bestehen, beantragt der Bundesrat, den Anspruch auf eine Verwitwetenrente auf die Kinderbetreuungs- und -erziehungszeit auszurichten.
Die wichtigsten Massnahmen sind einerseits die Gewährung einer Rente für den hinterlassenen Elternteil, unabhängig vom Zivilstand oder Alter, bis das Kind das 25. Altersjahr vollendet hat, oder darüber hinaus, wenn es sich um die Betreuung eines volljährigen Kindes mit Behinderungen handelt, sowie andererseits die Einführung einer Übergangsrente während zwei Jahren für verwitwete Personen die keine unterhaltsberechtigten Kinder mehr haben. Zusätzlich zu diesen Massnahmen sieht die Vorlage bei den EL eine Regelung zugunsten von älteren Hinterbliebenen vor, die keinen Rentenanspruch der AHV haben und nach einer Verwitwung in die Bedürftigkeit abrutschen.
Zu den grössten Herausforderungen dieser Vorlage gehört es, die Anspruchsvoraussetzungen für Hinterlassenenrenten unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Veränderungen so neu auszugestalten, dass sie für die AHV finanziell tragbar bleiben. Lebenslange Renten werden durch gezielte Leistungen ersetzt. Zudem sind angemessene Übergangsbestimmungen vorgesehen, wie die Besitzstandsgarantie für laufende Witwen- und Witwerrenten von Personen, die bei Inkrafttreten der Gesetzesänderung 55 Jahre oder älter sind, sowie die Weiterführung der Rente während zwei Jahren ab Inkrafttreten der Gesetzesänderung für Personen, welche die neuen Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllen. Ältere Rentenbezügerinnen und -bezüger, die bei Inkrafttreten der Reform 50 Jahre und älter sind und EL beziehen, haben ebenfalls weiterhin Anspruch auf eine Witwen- oder Witwerrente.
1.3 Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates
Die Vorlage wurde in der Botschaft vom 24. Januar 2024 ¹4 zur Legislaturplanung 2023-2027 und im Bundesbeschluss vom 6. Juni 2024 ¹5 über die Legislaturplanung 2023-2027 angekündigt, um das Ziel 12 «Die Schweiz verfügt über nachhaltig finanzierte Sozialwerke und sichert sie für zukünftige Generationen» zu erreichen (Revision des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung [AHVG] [Hinterlassenenrenten]), namentlich um gleiche Leistungen für Witwen und Witwer in der AHV festzulegen. Die Änderungen sollen eine Anpassung des AHVG an das Urteil des EGMR vom 11. Oktober 2022 in Sachen Beeler gegen die Schweiz ermöglichen. Das System muss den heutigen gesellschaftlichen Realitäten angepasst werden.
Die Vorlage ist in der Legislaturplanung 2023-2027 aufgeführt, in der Leitlinie zur Förderung des nationalen und generationengerechten Zusammenhalts im Bereich Sozialversicherungen. Sie steht im Einklang mit der strategischen Ausrichtung des Bundesrates, die demografische Entwicklung im Sozialversicherungsbereich zu berücksichtigen. ¹6
Bezug zu anderen Geschäften
Nach dem Urteil des EGMR wurden diverse parlamentarische Vorstösse eingereicht, mit denen die Behebung der Ungleichbehandlung bei den Hinterlassenenrenten zwischen Witwen und Witwern beziehungsweise zwischen verheirateten, geschiedenen oder im Konkubinat lebenden Personen verlangt wurde, meistens durch eine Ausdehnung der Anspruchsvoraussetzungen.
Die parlamentarische Initiative 21.416 Gredig «Ungleichbehandlung bei den Hinterlassenenleistungen beseitigen» vom 16. März 2021 verlangt, die gesetzlichen Grundlagen so anzupassen, dass die Hinterlassenenleistungen in der AHV/IV im Todesfall Eltern unabhängig von Geschlecht und Zivilstand zugutekommen. Der Anspruch auf eine Rente soll bis nach der Vollendung der Erstausbildung der Kinder dauern. Für Eltern von Kindern mit einer Beeinträchtigung sei eine Sonderregelung vorzusehen. Schliesslich sollen laufende Renten unangetastet bleiben. Ziel ist es, die Ungleichbehandlung zwischen Witwen und Witwern zu beheben und gleichzeitig die Familien gezielt zu schützen, unabhängig vom Zivilstand der Familienmitglieder. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) hat der Initiative am 6. April 2022 Folge gegeben, die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S) hat ihr am 18. April 2023 zugestimmt.
Die am 13. Dezember 2021 eingereichte parlamentarische Initiative 21.511 Kamerzin «Gleichstellung von Witwen und Witwern, sobald das letzte Kind die Volljährigkeit erreicht» verlangt ebenfalls, eine tatsächliche und rechtliche Gleichstellung der Geschlechter herzustellen, indem der Rentenanspruch der Witwer an denjenigen der Witwen angeglichen wird. Die SGK-N hat der Initiative am 8. August 2022 Folge gegeben, wohingegen die SGK-S sie am 18. April 2023 abgelehnt hat. Der Nationalrat hat der parlamentarischen Initiative schliesslich am 27. Mai zugestimmt.
Die am 6. April 2022 eingereichte parlamentarische Initiative 22.426 der SGK-N «Gleichstellung von Witwen und Witwern» bezweckt eine Angleichung der gesetzlichen Grundlagen zu den Hinterlassenenleistungen für Witwen und Witwer. Die SGK-S hat sie am 18. April 2023 angenommen.
Die vom Volk am 3. März 2024 angenommene Volksinitiative 22.043 «Für ein besseres Leben im Alltag (Initiative für eine 13. AHV-Rente)» wird vom Bundesrat umgesetzt. Die entsprechende Vorlage sollte theoretisch, ebenso wie der vorliegende Entwurf, 2026 in Kraft treten. Da beide Vorlagen finanzielle Auswirkungen sowohl für den Bund als auch für die AHV haben, wird während der parlamentarischen Beratungen eine Koordination notwendig sein.
Die Volksinitiative «Ja zu fairen AHV-Renten auch für Ehepaare - Diskriminierung der Ehe endlich abschaffen!» wurde vom Bundesrat am 26. Juni 2024 abgelehnt. Derzeit wird eine Botschaft erarbeitet, die die Ablehnung der Initiative ohne direkten oder indirekten Gegenvorschlag empfiehlt.
Die Vorlage zur AHV-Reform (Reform AHV 21), deren erste Etappe am 1. Januar 2024 in Kraft getreten ist, trägt dazu bei, das finanzielle Gleichgewicht der AHV bis etwa 2033 zu wahren. Die am 30. April 2021 eingereichte Motion 21.3462 der SGK-N «Auftrag für die nächste AHV-Reform» beauftragt den Bundesrat, dem Parlament bis Ende 2026 eine Vorlage zur Stabilisierung der AHV für die Zeit von 2030 bis 2040 zu unterbreiten. Bei den anstehenden Arbeiten wird zu berücksichtigen sein, dass die Reform der Hinterlassenenrenten enorme finanzielle Auswirkungen mit sich bringt.
¹4 BBl 2024 525
¹5 BB 2024 1440
¹6 BBl 2024 525 ; die Botschaft kann abgerufen werden unter: www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2024/525 > Allgemeine Informationen > Umfang der Veröffentlichung > Veröffentlichung durch Verweis, S. 80 und 81 .
1.4 Abschreibung von parlamentarischen Vorstössen
Am 5. Mai 2021 hat der Nationalrat das am 10. Dezember 2020 eingereichte Postulat 20.4449 Feri «Ungleichbehandlung von Witwen und Witwern beheben» angenommen. Das Postulat beauftrag den Bundesrat, in einem Bericht aufzuzeigen, wie die Ungleichbehandlung von Witwen und Witwern in der AHV und der Unfallversicherung behoben werden können und wie gleichzeitig eine angemessene Existenzsicherung für Hinterbliebene unabhängig von ihren Familienmodellen und Lebensformen gewährleistet werden kann. Die Vorlage erfüllt dieses Postulat vollständig und verfolgt die gleichen Ziele. Der Bundesrat hat überdies noch andere Alternativen in der AHV (siehe Ziff. 1.2 «Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung») und der Unfallversicherung (siehe Ziff. 4.1.6 «Koordination mit der Unfallversicherung») geprüft.
¹ Beschwerde Nr. 78630/12; das Urteil ist abrufbar unter:
https://hudoc.echr.coe.int/
> Search > Beeler.
2 Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren
2.1 Hinterlassenenrenten der AHV: historischer Abriss
Seit der Einführung der AHV 1948 ist eine Rente für verwitwete Frauen vorgesehen. Diese erweiterte soziale Absicherung für Witwen wurde mit der hohen wirtschaftlichen Abhängigkeit der Frau von ihrem Ehemann begründet, aber auch mit den Schwierigkeiten der Frauen beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Zweck der Witwenrente war somit die Existenzsicherung der hinterbliebenen Frau. Leitgedanke bei der Einführung der Witwenrente war die Zumutbarkeit der Aufnahme beziehungsweise Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit. Die Anspruchsvoraussetzungen für eine Witwenrente gehen auf das Einführungsjahr der AHV zurück und wurden seither wenig verändert (vgl. Botschaft zur Reform der Altersvorsorge 2020 ¹7 ).
Für Witwen ohne Anspruch auf eine Witwenrente sah die AHV ausserdem eine einmalige Witwenabfindung vor. Diese einmalige Abfindung wurde Witwen ohne Kinder gewährt, die beim Tod ihres Ehemannes jünger als 30 Jahre waren oder deren Ehe weniger als fünf Jahre gedauert hatte (vgl. Botschaft des Bundesrates zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung ¹8 ).
Mit Inkrafttreten der 10. AHV-Revision per 1. Januar 1997 wurden bei den Hinterlassenenrenten verschiedene Änderungen eingeführt, darunter die Abschaffung der einmaligen Witwenabfindung oder die Anpassung der Anspruchsvoraussetzungen für geschiedene Frauen. Die bedeutendste Änderung war die Einführung der Witwerrente als Antwort auf die Veränderungen bei der Aufgabenteilung innerhalb der Familien und als Schritt in Richtung Gleichbehandlung der Geschlechter. Eine vollständige Angleichung dieser neuen Leistung an die Witwenrenten kam namentlich aus finanziellen Gründen nicht in Betracht, schien aber angesichts des damals nach wie vor verbreiteten traditionellen Rollenverständnisses auch nicht gerechtfertigt (vgl. Botschaft zur Reform der Altersvorsorge 2020 ¹9 ).
Die für Witwerrenten geltende Regelung war abgesehen vom Rentenalter die letzte Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen in der AHV. Da sich die Situation der Frauen in vielen Bereichen verbessert hatte, sollten mit dem ersten Versuch der 11. AHV-Revision insbesondere diese Unterschiede behoben werden. Geplant war, die Anspruchsvoraussetzungen für eine Witwenrente an diejenige für eine Witwerrente anzugleichen, wobei die Angleichung durch Übergangsregelungen begleitet werden sollte (vgl. Botschaft vom 2. Februar 2000 über die 11. Revision der Alters- und Hinterlassenenversicherung und die mittelfristige Finanzierung der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung 2⁰ ). Allerdings wurde die Vorlage in der Volksabstimmung von 67,9 Prozent der Stimmenden abgelehnt. 2¹
In seiner Botschaft zur Reform der Altersvorsorge 2020 2² beantragte der Bundesrat, die gesellschaftlichen Veränderungen zu berücksichtigen und nur Frauen eine Witwenrente zu gewähren, die beim Tod des Ehemannes ein waisenrentenberechtigtes oder pflegebedürftiges Kind haben. Ausserdem sah der Entwurf vor, die Höhe der Witwenrente von 80 auf 60 Prozent einer Altersrente zu senken und im Gegenzug die Waisenrente von 40 auf 50 Prozent einer Altersrente anzuheben. Laufende Witwen- und Waisenrenten waren von diesen Änderungen nicht betroffen. Für Frauen über 50 Jahren war zudem eine Übergangsregelung vorgesehen. ²3 Das Parlament hatte diese Massnahmen allerdings nicht in die Abstimmungsvorlage aufgenommen, die schliesslich von 52,7 Prozent der Stimmenden abgelehnt wurde. ²4
In der letzten AHV-Reform (AHV 21) konzentrierte sich der Bundesrat auf die zentralen und dringenden Elemente im Hinblick auf die Sicherung des finanziellen Gleichgewichts der AHV (vgl. Botschaft zur Stabilisierung der AHV ²5 ).
In ihrem Urteil vom 11. Oktober 2022 bestätigte die Grosse Kammer des EGMR das Urteil der III. Kammer vom 20. Oktober 2020 in der Sache Beeler gegen die Schweiz . Der EGMR hielt fest, dass der Beschwerdeführer eine Ungleichbehandlung erlitten habe, die der EKMR zuwiderlaufe, weil die Witwerrente mit Erreichen der Volljährigkeit seines jüngsten Kindes aufgehoben wurde, was bei einer Witwe in der gleichen Situation nicht der Fall gewesen wäre. Die Schweiz musste dem Urteil Folge leisten und die festgestellte Rechtsverletzung mit Rechtskraft per 11. Oktober 2022 beenden. Bis zur Anpassung der gesetzlichen Grundlagen gilt eine Übergangsregelung, mit der die vom EGMR festgestellte Rechtsverletzung unverzüglich beseitigt wurde.
¹7 Botschaft vom 19. November 2014 zur Reform der Altersvorsorge 2020, BBI 2015 1 S. 87.
¹8 Botschaft vom 24. Mai 1946 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung, BBl 1946 II 365 S. 520.
¹9 BBl 2015 1 S. 88
2⁰ BBl 2000 1865 S. 1900
2¹ www.bk.admin.ch > Politische Rechte > Volksabstimmungen > Chronologie Volksabstimmungen > 2001 - 2010 > Volksabstimmung vom 16. Mai 2004
2² BBl 2015 1
²3 BBl 2015 1 S. 5
²4 www.bk.admin.ch > Politische Rechte > Volksabstimmungen > Chronologie Volksabstimmungen > 2011 - 2020 > Volksabstimmung vom 24. September 2017
²5 Botschaft vom 29. August 2019 zur Stabilisierung der AHV (AHV 21), BBl 2019 6305 S. 6321.
2.2 Vorarbeiten
Studie Wanner und Fall 2012
In Erfüllung des Postulats 08.3235 «Witwen- und Witwerrenten» der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) wurde eine umfassende Studie zur wirtschaftlichen Lage der Witwen und Witwer durchgeführt. Gestützt auf Steuerdaten aus neun Kantonen (abgeglichen mit den Daten aus dem Rentenregister der AHV) untersuchte die Studie ²6 die wirtschaftliche Situation von Personen vor und nach der Verwitwung. Sie kam zum Schluss, dass der Einkommensverlust aufgrund einer Verwitwung gut abgesichert ist. Scheidungen oder Trennungen haben vergleichsweise gravierendere finanzielle Folgen.
Bezügerinnen und Bezüger von Hinterlassenenrenten sind im Allgemeinen finanziell gut gestellt, wie die Analyse des Gesamteinkommens ergab. Ihr Einkommen liegt über dem Medianeinkommen von nicht verwitweten Personen in einer vergleichbaren Situation (Zivilstand, Altersgruppe, mit oder ohne Kinder): Mit rund 80 000 Franken verfügt eine Witwenrentenbezügerin mit Kind über nahezu 20 000 Franken mehr als eine alleinerziehende Frau. Auch das Medianeinkommen eines Witwerrentenbezügers in der gleichen Situation liegt mit rund 100 000 Franken 30 000 Franken über dem Einkommen eines alleinerziehenden Mannes.
Witwen erhalten bis zum Bezug der AHV-Altersrente eine Hinterlassenenrente, während Witwer nur bis zum 18. Geburtstag des jüngsten Kindes Anspruch haben. Dieser Unterschied führte dazu, dass Witwen viel häufiger eine Hinterlassenenrente der 1. Säule beziehen (88 % der Witwen und 13 % der Witwer). Die Studie zeigt auch, dass rund 66 Prozent der Witwen, die eine Rente der 1. Säule beziehen, erwerbstätig sind, gegenüber 90 Prozent der Witwer. Dieser Anteil ist tiefer als bei den nicht verwitweten, alleinlebenden Frauen, aber höher als bei verheirateten Frauen.
Aufgrund dieser Studie kam der Bundesrat zum Schluss, dass die Zunahme der erwerbstätigen Frauen und die geänderte Rollenverteilung in Familie und Erwerbsleben eine gezieltere Absicherung im Todesfall erfordern. Im Rahmen der Reform der Altersvorsorge 2020 plante er deshalb - mit einer langen Übergangsfrist - die Aufhebung der Witwenrente für kinderlose Frauen. Hingegen sollten die Anspruchsvoraussetzungen für eine Witwerrente nur leicht angepasst werden, wobei der Rentenanspruch gemäss der damaligen Regelung mit Vollenden des 18. Altersjahrs des jüngsten Kindes erloschen wäre.
Studie Gabriel/Wanner 2022
Um den Wissensstand aus der Studie Wanner und Fall von 2012 über die Situation der Hinterbliebenen in der Schweiz zu aktualisieren, wurde bei der Universität Genf und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) eine neue Studie ²7 in Auftrag gegeben. Anhand aktuellerer Daten sollten mögliche Risikogruppen identifiziert werden, die sich aufgrund einer Verwitwung in besonders prekären Verhältnissen befinden.
Die in der Studie präsentierten Ergebnisse bieten eine umfassende Beschreibung der aktuellen Situation der Hinterbliebenen in der Schweiz. Sie liefert detaillierte Informationen über die Haushaltszusammensetzung und ermöglicht es insbesondere, Hinterbliebene, die im Konkubinat leben, zu untersuchen. Die finanziellen Konsequenzen einer Verwitwung konnten so präziser erfasst werden. Die Studie verglich die Hinterlassenenrenten, die in der Schweiz von der AHV ausbezahlt werden, mit den Unterstützungsleistungen an Hinterbliebene in anderen Ländern.
Die neue Studie bestätigte das Fazit der vorherigen Studie. Sie kommt zum Schluss, dass Haushalte, deren Mitglieder eine Hinterlassenenrente beziehen und im erwerbsfähigen Alter sind, sich in der gleichen oder sogar einer leicht besseren Situation befinden als Vergleichshaushalte, die nicht von einer Verwitwung betroffen sind.
Beide Studien legen starke Geschlechterunterschiede offen. So hat bei Männern eine Verwitwung praktisch keinen Einfluss auf die finanzielle Situation. Einerseits ist die wirtschaftliche Situation bei Frauen mit einer Rente der 1. Säule und jenen ohne Rente sehr unterschiedlich. Andererseits bestehen Unterschiede bei der Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen.
Grundsätzlich entspricht das System der sozialen Sicherheit den sozialpolitischen Bedürfnissen und erfüllt weitgehend die Funktion der finanziellen Absicherung von Hinterbliebenen mit geringen und sehr geringen finanziellen Mitteln.
Die in der Schweiz ausbezahlten Hinterlassenenleistungen sind im internationalen Vergleich eher grosszügig, sowohl in Bezug auf die Höhe der Rente als auch in Bezug auf den Kreis der Anspruchsberechtigten, der in der AHV auch die Ehegattinnen und Ehegatten von Nichterwerbstätigen und Selbstständigerwerbenden berücksichtigt. Die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen im AHVG macht die Schweiz zu einem Sonderfall.
²6 Wanner und Fall (2012)
²7
Gabriel
e
t al.
(2022)
2.3 Eidgenössische AHV/IV-Kommission
Die Eidgenössische AHV/IV-Kommission wurde am 6. November 2023 über die wichtigsten Elemente der Vorlage informiert, bevor diese in die Vernehmlassung geschickt wurde. Dabei wurden ihr die verschiedenen Massnahmen und die Übergangsbestimmungen der Vorlage erläutert.
2.4 Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens
Am 8. Dezember 2023 hat der Bundesrat das Vernehmlassungsverfahren eröffnet, das bis zum 29. März 2024 dauerte. Die Kantone, die in der Bundesversammlung vertretenen politischen Parteien, die Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete, die Dachverbände der Wirtschaft sowie weitere Organisationen und Durchführungsstellen wurden zur Stellungnahme eingeladen.
Es gingen 81 Stellungnahmen ein, darunter 34 von Organisationen und Personen, die nicht direkt zur Stellungnahme aufgefordert worden waren.
Der vollständige Vernehmlassungsbericht ist im Internet verfügbar. ²8 Die hauptsächlichen Tendenzen der Antworten lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Grundsätzliche Zustimmung zu den vorgeschlagenen Änderungen und zum Revisionsbedarf
Die Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden unterstützt die vorgeschlagenen Änderungen insgesamt. Sie erkennen den Handlungsbedarf und begrüssen den Willen, neue Familienstrukturen zu berücksichtigen. Das Vorhaben, eine Gleichbehandlung zwischen Männern und Frauen herbeizuführen und die Leistungen der gesellschaftlichen Entwicklung anzupassen, wird weitgehend begrüsst. Manche Teilnehmenden erachten es insbesondere als sinnvoll, dass die Leistungen auf die Erziehungszeit und die Zeit nach dem Versterben der Partnerin oder des Partners ausgerichtet sind. Eine Minderheit der Kantone, politischen Parteien, Dachverbände der Wirtschaft und Organisationen lehnen die allgemeinen Stossrichtungen jedoch ab und kritisieren insbesondere die Tatsache, dass die Vorlage zu einer Verringerung der Leistungen zu Ungunsten der Frauen führt. Die Verbesserung der Finanzen der AHV durch die Revisionsvorlage ist unbestritten, einige befürchten aber, dass die Kosten auf die Kantone und die übrigen Versicherungen abgewälzt werden.
Annahme der Einführung einer Rente für den hinterlassenen Elternteil
Der Vorschlag, die Anspruchsberechtigung auf die Betreuungs- und Erziehungszeit auszurichten, wird begrüsst. Eine Mehrheit befürwortet die Verbesserung des Schutzes von unverheirateten Paaren mit Kindern durch die Gewährung einer zivilstandsunabhängigen Rente. Eine politische Partei und eine Organisation sind jedoch der Ansicht, dass der Rentenanspruch bei einer Wiederheirat erlöschen sollte. Die in der Revisionsvorlage festgesetzte Altersgrenze von 25 Jahren wird zwar mehrheitlich unterstützt, einige Teilnehmende fordern indessen, dass die Rente für den hinterlassenen Elternteil über dieses Alter hinaus beibehalten wird, während andere eine Aufhebung der lebenslangen Renten ausdrücklich ablehnen. Eine Minderheit schlug zudem vor, die Altersgrenze zu senken oder den Begriff der Ausbildung als Kriterium für die Gewährung der Rente zu verwenden. Die Verlängerung des Rentenanspruchs, wenn der hinterlassene Elternteil für ein erwachsenes Kind mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen sorgt und dafür Betreuungsgutschriften erhält, wird befürwortet und von niemandem in Frage gestellt.
Annahme der Einführung einer Übergangsrente bei Verwitwung
Die Vernehmlassung hat einige gegensätzliche Meinungen betreffend die Dauer der Übergangsrente zutage gefördert. Eine Minderheit lehnt die Beschränkung der Ausrichtung von Hinterlassenenrenten auf zwei Jahre nach Erreichen des 25. Altersjahres des jüngsten Kindes gänzlich ab. Demgegenüber verlangen mehrere Kantone, politische Parteien, Dachverbände der Wirtschaft und Organisationen, dass die Dauer der Übergangsrente bei Verwitwung verlängert wird. Manche Teilnehmenden stimmen jedoch der in der Vorlage vorgesehenen Dauer von zwei Jahren und der Einführung einer zeitlich beschränkten Rente zu. Verschiedene Teilnehmende verlangen die Ausrichtung von Übergangsrenten an Paare ohne Kinder sowie Konkubinatspaare mit Kindern. Auch hier plädieren eine politische Partei und eine Organisation dafür, dass der Rentenanspruch bei einer Wiederheirat erlischt.
Zustimmung zur Übernahme von Härtefällen durch die Ergänzungsleistungen
Die vorgeschlagene Regelung der Härtefälle über die EL wird grundsätzlich unterstützt, eine Minderheit spricht sich aber für eine tiefere Altersgrenze aus. Einige Teilnehmende bringen vor, dass die Bestimmung über den Bezug einer Ergänzungsleistung «ohne Rente» nicht der Systematik des Gesetzes entspricht, das den Zugang zu EL nur über den Bezug einer AHV/IV-Rente vorsieht.
Annahme der Übergangsbestimmungen
Manche Teilnehmenden befürworten die Beibehaltung laufender Renten für Witwen und Witwer ab 55 Jahren. Zwei Kantone, eine politische Partei, ein Dachverband der Wirtschaft und eine Organisation fordern jedoch eine tiefere Altersgrenze. Zudem wurden auch längere Übergangsphasen und die Beibehaltung des Anspruchs während 24 Monaten nach Inkrafttreten der Änderung für Leistungen nach altem Recht vorgeschlagen. Verschiedene Teilnehmende sind der Ansicht, dass die Übergangsbestimmungen über 55-jährige Witwer gegenüber gleichaltrigen Witwen benachteiligen. Die Übergangsbestimmung zu den Renten für Witwen und Witwer ab 50 Jahren, die EL beziehen, hat kaum Reaktionen ausgelöst. Manche Kantone und Organisationen bedauern allerdings die Ungleichbehandlung zwischen Personen, die sowohl Anspruch auf EL als auch auf eine Hinterlassenenrente haben, und jenen, die nur Anspruch auf eine Hinterlassenenrente haben.
Koordination mit der beruflichen Vorsorge, der Unfall- und der Militärversicherung
Mehrere Vernehmlassungsteilnehmende kritisieren die fehlende Koordination zwischen den neuen Hinterlassenenleistungen der AHV und jenen der beruflichen Vorsorge. Eine Minderheit bedauert zudem die mangelnde Vereinheitlichung zwischen den Hinterlassenenrenten der Unfallversicherung, der Militärversicherung und der AHV.
²8 Das Dossier ist abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2023 > EDI.
3 Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht
Ein Rechtsvergleich von Leistungen im Bereich der sozialen Sicherheit ist immer heikel, weil die Systeme der sozialen Sicherheit komplexe Gebilde sind, die in einem spezifischen nationalen Kontext verankert sind. Eine erschöpfende Betrachtung der wirtschaftlichen Situation von Hinterbliebenen ist deshalb schwierig. Abgesehen vom rein rechtlichen Rahmen sind auch die sozialen Realitäten von Land zu Land sehr unterschiedlich, insbesondere, wenn es um die Rollenverteilung bei Ehepaaren geht. Die Tatsache, dass sich erwerbstätige Mütter oft in einer Teilzeitanstellung befinden, ist eine Besonderheit der Schweiz, die für Frauen im Falle einer Verwitwung einen besonderen Risikofaktor darstellt.
Die Studie Gabriel/Wanner 2022 ²9 (vgl. Ziff. 1.7) enthält eine vergleichende Analyse verschiedener Hinterlassenenleistungen, die als Teil der staatlichen Grundrentensysteme ausgerichtet werden (d. h. Leistungen, die am ehesten der 1. Säule entsprechen). Auch wenn die Ergebnisse der Analyse vor dem Hintergrund der genannten Einschränkungen zu betrachten sind, liefern sie dennoch interessante Hinweise zur Art und Weise, wie die untersuchten Länder das finanzielle Risiko einer Verwitwung absichern. Im Rahmen dieses Forschungsprojekts wurden die in den Referenzländern Deutschland, Frankreich, Niederlande, Österreich, Schweden und Vereinigtes Königreich eingeführten rechtlichen Lösungen eingehend untersucht. Der folgende Abschnitt enthält eine Zusammenfassung, die auf der Grundlage der für 2023 verfügbaren Daten aktualisiert wurde. 3⁰
Die untersuchten Staaten haben heute de facto alle Ungleichheiten zwischen Witwern und Witwen beseitigt.
In Bezug auf den Kreis der Anspruchsberechtigten haben die Niederlande und Schweden die Eigenheit, dass auch Konkubinatspaare im Falle einer Verwitwung durch eine Ehegattenrente abgesichert sind. Voraussetzung für den Rentenanspruch ist dabei das Vorhandensein eines unterhaltsberechtigten Kindes oder das ununterbrochene Zusammenleben mit der verstorbenen Person während mindestens fünf Jahren (nur Schweden). In allen untersuchten Staaten werden grundsätzlich auch an Geschiedene Leistungen ausgerichtet. Der Rentenbezug ist in gewissen Fällen auch ohne unterhaltsberechtigte Kinder möglich (ausgenommen insbesondere die Niederlande), wobei der Anspruch in der Regel im Gegensatz zu den Bezügerinnen und Bezügern mit Familie oft zeitlich befristet ist (vgl. unten). In Frankreich schliesslich besteht der Anspruch auf eine Hinterlassenenrente nur, wenn die hinterbliebene Person mindestens 55 Jahre alt ist (pension de réversion). Jüngere Hinterbliebene, die sich nachweislich in einer prekären finanziellen Situation befinden, können eine Witwenstandshilfe beantragen (allocation de veuvage).
Die Laufzeit der Leistungen ist in einigen Ländern (Österreich, Deutschland, Schweden) zeitlich begrenzt (30 Monate in Österreich, 24 Monate für die «kleine» Rente in Deutschland, 12 Monate in Schweden). Manchmal ist auch die Höhe der Leistung begrenzt (z. B. Deutschland). Das Alter der hinterbliebenen Person und das Vorhandensein eines unterhaltsberechtigten Kindes sind dabei die wichtigsten Voraussetzungen. In Deutschland wird nur eine «kleine» Rente gewährt, wenn die hinterbliebene Person das 47. Altersjahr noch nicht vollendet hat und kein Kind unter 18 Jahren erzieht. Diese letzte Altersgrenze gilt nicht, wenn das Kind behindert und hilfsbedürftig ist. In Österreich ist der Rentenanspruch einer hinterbliebenen Person ohne Kind, die jünger als 35 Jahre ist, in der Regel auf 30 Monate befristet, während die Rente für andere Hinterbliebene zeitlich nicht begrenzt ist. Im schwedischen System wiederum beträgt die Regellaufzeit für Hinterbliebenenrenten, die an Personen unter 66 Jahren ausbezahlt werden, lediglich 12 Monate. Bei Personen, die Kinder im Alter von über 12, aber unter 18 Jahren betreuen, kann die Regellaufzeit um 12 Monate verlängert werden. Die Rente kann hingegen so lange bezogen werden, bis das jüngste Kind 12 Jahre alt wird. Die genannten Länder gehen davon aus, dass die hinterbliebenen Personen nach Ablauf der Anspruchsberechtigung in der Lage sein müssen, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen. Eine weitere Besonderheit bei der Höhe der Leistungen ist, dass Frankreich die Rente von Personen, die mindestens drei Kinder grossgezogen haben, um 10 Prozent erhöht. Unterhält eine Witwe oder ein Witwer mindestens ein minderjähriges Kind, wird zudem eine Zulage gewährt.
In Deutschland und Österreich erlischt wie in vielen Vergleichsländern der Rentenanspruch im Falle einer Wiederheirat. Die hinterbliebene Person erhält jedoch eine Starthilfe für die neue Ehe in der Höhe des 24-fachen der Hinterbliebenenrente oder eine einmalige Auszahlung in der Höhe von 35 Monatsbeträgen der Rente.
Schliesslich weist die Studie darauf hin, dass die Hinterlassenenrente in den untersuchten nationalen Grundsystemen reduziert oder gestrichen wird, sobald das Einkommen der hinterbliebenen Person eine gewisse Schwelle überschreitet.
²9 Gabriel et al.
(2022),
Kap. 4
3⁰ Die Daten stützen sich (mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs) auf das Informationssystems MISSOC ( Mutual Information System on Social Protection ), Stand 1. Januar 2023 (www.missoc.org).
4 Grundzüge der Vorlage
4.1 Die beantragte Neuregelung
4.1.1 Auf die Kinderbetreuungs- und -erziehungszeit ausgerichtete Rente für den hinterlassenen Elternteil
| - Der Anspruch auf eine Rente für den hinterlassenen Elternteil erlischt, sobald das jüngste Kind das 25. Altersjahr vollendet, und ist unabhängig vom Zivilstand der Eltern.- Es besteht ein Anspruch auf eine Rente für den hinterlassenen Elternteil, wenn die hinterbliebene Person für ein erwachsenes Kind mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen sorgt und dafür Betreuungsgutschriften der AHV erhält. |
Heute ist eine Witwe rentenberechtigt, wenn sie beim Tod des Ehegatten für den Unterhalt eines Kindes aufkommt. Das Alter des Kindes ist nicht massgebend. Ein Witwer hat nur Anspruch auf eine Witwerrente, wenn er ein Kind unter 18 Jahren hat, bis zur Volljährigkeit. Eine Witwe ohne Kinder ist ebenfalls rentenberechtigt, wenn sie das 45. Altersjahr vollendet hat und mindestens fünf Jahre verheiratet war. Während eine Witwe in der Regel lebenslang rentenberechtigt ist, erlischt der Rentenanspruch eines Witwers, sobald das letzte Kind des Witwers das 18. Altersjahr vollendet hat. Besondere Bestimmungen gelten für Geschiedene: Sie sind entweder aufgrund ihres Alters, der Ehedauer (Ehejahre aus früheren Ehen werden zusammengezählt) oder eines unterhaltsberechtigten Kindes rentenberechtigt. Unverheiratete mit unterhaltsberechtigten Kindern haben beim Tod eines Elternteils keinen Anspruch auf eine Rente. Im Konkubinat lebende Personen und Personen mit ausserehelichen Kindern haben keinen Anspruch auf eine Hinterlassenenrente.
Der Bundesrat anerkannte bereits bei der Einführung der Witwerrente 1997 sowie bei späteren Reformvorlagen, dass das System der Hinterlassenenrenten angepasst werden muss 3¹ , nicht nur im Hinblick auf die Gleichbehandlung von Männern und Frauen, sondern auch, weil die geltenden Bestimmungen nicht mehr den gesellschaftlichen Realitäten entsprechen. Namentlich haben sich die Situation der Frauen auf dem Arbeitsmarkt und die Rollenverteilung in Familie und Berufsleben geändert. Mit den verschiedenen Vorlagen zur AHV-Reform sollten die Hinterlassenenleistungen der AHV angepasst und Personen mit unterhaltsberechtigten Kindern abgesichert werden. Tatsächlich sind immer mehr Frauen erwerbstätig, nur wenige widmen sich noch ausschliesslich den häuslichen Aufgaben oder der Kindererziehung. Dieser Entwicklung stehen allerdings Lohnunterschiede gegenüber, und es sind immer noch mehrheitlich die Frauen, die Teilzeit arbeiten.
Die Ausrichtung lebenslanger Hinterlassenenrenten bei Verwitwung ist nicht mehr gerechtfertigt. Der Rentenanspruch muss zeitlich begrenzt und auf Personen ausgerichtet werden, die für den Unterhalt ihrer Kinder aufkommen müssen. Der Anspruch ist auf die Kinderbetreuungs- und -erziehungszeit auszurichten, sodass Hinterbliebene dann rentenberechtigt sind, wenn sie verpflichtet sind, den Lebensunterhalt eines Kindes zu finanzieren. Die Unterhaltspflicht kann bis zum 25. Geburtstag des Kindes dauern. Dies entspricht dem Alter, bis zu dem der Anspruch auf eine Kinderrente, eine Waisenrente oder Zulagen aus anderen Sozialversicherungen längstens besteht. 3² Ein kürzerer Rentenanspruch würde der Unterhaltspflicht der Eltern nicht angemessen Rechnung tragen, die in der Regel bis zum Abschluss der Erstausbildung oder zur Vollendung des 25. Altersjahres dauert. Tatsächlich sind junge Erwachsene oft auch nach Abschluss einer Berufsausbildung finanziell von ihren Eltern abhängig, bis sie eine erste Stelle gefunden haben. Wäre der Rentenanspruch an die Dauer der Ausbildung des Kindes geknüpft, ergäben sich zudem erhebliche Schwelleneffekte. Nicht selten wird eine Ausbildung abgebrochen, und das Kind beginnt erst nach einer gewissen Zeit eine andere Ausbildung oder tritt eine Lehrstelle an. Die Rente soll dem hinterbliebenen Elternteil finanzielle Sicherheit geben und darf nicht von unvorhersehbaren Entwicklungen bei der Ausbildung der Kinder abhängig gemacht werden. Der Rentenanspruch muss auch nach der Vollendung des 25. Altersjahres des jüngsten Kindes gelten, wenn die hinterbliebene Person mit einem volljährigen Kind mit einer Behinderung zusammenlebt und dafür Betreuungsgutschriften der AHV erhält.
Auch den neuen Familienmodellen muss Genüge getan werden, indem für Haushalte mit Kindern Hinterlassenenleistungen vorgesehen werden, die unabhängig vom Zivilstand sind. Angesichts der Entwicklung der Familienformen 3³ braucht es eine Hinterlassenenrente der AHV für Personen mit Kindern, die unabhängig von Zivilstand oder Geschlecht ausgerichtet wird. Dasselbe Prinzip gilt bereits für die Betreuung von gesundheitlich schwer beeinträchtigten Kindern. So wurde per 1. Juli 2021 eine Betreuungsentschädigung eingeführt, die unabhängig vom Zivilstand der Eltern ausgerichtet wird (Art. 329 i des Obligationenrechts [OR] ³4 ; Art. 16 n des Erwerbsersatzgesetzes vom 25. September 1952 ³5 [EOG]). Die parlamentarische Initiative 21.416 Gredig, der sowohl die SGK-N als auch die SGK-S Folge gegeben haben, geht in dieselbe Richtung.
Anspruchsberechtigte
Der Anspruch auf die Hinterlassenenrente ist für Eltern vorgesehen, deren Kinder das 25. Altersjahr noch nicht vollendet haben. Anknüpfungspunkt für das Eltern-Kind-Verhältnis bildet dabei das Kindesverhältnis nach Artikel 252 des Zivilgesetzbuches (ZGB) ³6 . Ist ein solches Kindesverhältnis gegeben, spielt der Zivilstand der Eltern keine Rolle. Den vielfältigen Familienkonstellationen soll möglichst umfassend Rechnung getragen werden, damit keine hinterbliebene Person mit unterhaltsberechtigtem Kind aufgrund der Familiensituation benachteiligt wird. Der Schutz bei einem Todesfall gilt somit für alle Eltern mit Kindern unter 25 Jahren, unabhängig davon, ob sie verheiratet, geschieden oder ledig sind oder im Konkubinat leben.
i)
Rentenauslösendes Kind
Ein Elternteil hat Anspruch auf eine Hinterlassenenrente, wenn ein Kind im Sinne von Artikel 252 ZGB oder ein Pflegekind im Sinne von Artikel 25 Absatz 3 AHVG (in Verbindung mit Art. 46 Abs. 2 der Verordnung vom 31. Oktober 1947 ³7 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung) vorhanden ist, gegenüber dem er unterhaltspflichtig ist.
Eine Rente für den hinterlassenen Elternteil wird wie heute auch dann gewährt, wenn das Kind der verstorbenen Person von der überlebenden Ehegattin oder vom überlebenden Ehegatten im Pflegeverhältnis betreut oder wenn das Pflegekind von der überlebenden Ehegattin oder vom überlebenden Ehegatten adoptiert wird. Anspruchsberechtigt sind nur Personen, die im Zeitpunkt des Todes verheiratet waren und als Zivilstand verwitwet haben.
Ob das Kind Alimentenzahlungen erhält und ob es eine Ausbildung absolviert oder nicht, ist dabei nicht massgebend. Die Dauer der Rente des hinterlassenen Elternteils darf nicht durch den manchmal unvorhersehbaren Ausbildungsverlauf der Kinder beeinflusst werden. Dies gilt umso mehr, als die Unterhaltspflicht des Elternteils gegenüber seinem Kind auch dann gilt, wenn dieses (noch) nicht in Ausbildung ist. Es genügt, dass der hinterbliebene Elternteil ein Kind hat, das beim Tod des anderen Elternteils das 25. Altersjahr noch nicht vollendet hat; Voraussetzungen in Bezug auf die Betreuung oder das Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt gelten keine. Solche Voraussetzungen sind - wie unter dem aktuellen Recht - nicht gerechtfertigt und könnten auch nicht allen Konstellationen von Betreuung und Unterhalt Rechnung tragen. Ausserdem wäre es unmöglich, diesbezügliche Regeln zu kontrollieren. Hingegen ist der Bundesrat befugt, besondere Bestimmungen über die Auszahlung der Rente vorzusehen, die eine zweckmässige Verwendung der Rente gewährleisten, wenn der hinterbliebene Elternteil seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind vernachlässigt. Dadurch soll beispielsweise vermieden werden, dass in Fällen, in denen der leibliche Elternteil faktisch keine Beziehung zum Kind hat, Hinterlassenenleistungen ausgezahlt werden.
ii)
Kind löst Anspruch auf Betreuungsgutschriften aus
Wenn Eltern regelmässig ihr eigenes behindertes Kind pflegen, ist eine Ausrichtung der Rente für den hinterlassenen Elternteil über das 25. Altersjahr des Kindes hinaus unter gewissen Voraussetzungen gerechtfertigt. Die Pflegebedürftigkeit lässt sich relativ leicht gemäss der Anspruchsberechtigung auf Betreuungsgutschriften der AHV definieren. Diese Gutschrift wird versicherten Personen gewährt, die pflegebedürftige nahe Verwandte betreuen, wenn sie mit der betreuten Person im gleichen Haushalt leben oder diese für die Betreuung leicht erreichen können. Betreuungsgutschriften werden angerechnet, wenn ein anerkannter Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der IV, der obligatorischen Unfallversicherung oder der Militärversicherung besteht.
Erfüllt der hinterbliebene Elternteil, der ein eigenes Kind über 25 Jahren betreut, die Voraussetzungen für die Anrechnung der Betreuungsgutschrift, wird die Hinterlassenenrente so lange ausgerichtet, wie die Voraussetzungen bestehen und der hinterbliebene Elternteil mit dem Kind zusammenlebt. Diese Massnahme war bereits in der Botschaft zur Reform der Altersvorsorge 2020 enthalten. ³8
Erlöschen des Anspruchs
Der Anspruch auf eine Rente für den hinterlassenen Elternteil erlischt, sobald das jüngste rentenauslösende Kind das 25. Altersjahr vollendet hat. Löst ein Kind einen Anspruch auf Betreuungsgutschriften aus, erlischt der Rentenanspruch, sobald die Voraussetzungen für die Anrechnung der Betreuungsgutschriften nicht mehr erfüllt sind. Weil der Rentenanspruch auf die Kinderbetreuungs- und -erziehungszeit ausgerichtet ist, erlischt er mit der Wiederheirat des Elternteils nicht. Der Anspruch erlischt ausserdem mit dem Tod des Elternteils oder des rentenauslösenden Kindes.
Der Anspruch auf eine Rente für den hinterlassenen Elternteil erlischt in jedem Fall spätestens mit dem Erreichen des AHV-Referenzalters, das heisst nach Vollendung des 65. Altersjahres, oder beim Vorbezug eines Teils oder der ganzen AHV-Altersrente.
3¹ BBl 2000 1865 S. 1993; BBl 2015 1 S. 88
3² Art. 22ter Abs. 1 AHVG; Art. 25 Abs. 5 AHVG; Art. 3 Abs. 1 des Familienzulagengesetzes vom 24. März 2026 ( SR 836.2 ).
3³
Bericht Familien in der Schweiz
(
2021
), S. 9
³4 SR 220
³5 SR 834.1
³6 SR 210
³7 SR 831.101
³8 BBl 2015 1 S. 90
4.1.2 Übergangsrente bei Verwitwung
| - Verwitwete Personen, die keine unterhaltsberechtigten Kinder mehr haben, erhalten während zwei Jahren eine Übergangsrente.- Anspruch auf eine Übergangsrente bei Verwitwung haben verheiratete Personen sowie geschiedene Personen, die zum Zeitpunkt des Todes Anspruch auf nachehelichen Unterhalt haben. |
Notwendigkeit der Leistung
Eine Verwitwung führt bei Personen, die in einer wirtschaftlichen Gemeinschaft leben, oft zu einem Einkommensrückgang. Die Todesfallleistungen der Sozialversicherungen sollen diese finanzielle Einbusse kompensieren. Wirtschaftlich gesehen hat der Tod in der Regel einschneidende Auswirkungen für die Haushalte, allerdings nur kurzfristig. Mittelfristig ist je nach Alter eine Verbesserung der Situation möglich. ³9 Der Bundesrat beantragt deshalb für Personen ohne unterhaltsberechtigte Kinder, das heisst, wenn die Kinder zum Zeitpunkt des Todes mindestens 25 Jahre alt sind, eine Übergangsleistung, statt wie heute eine lebenslange Rente auszurichten. Kinderlose Personen sind somit nicht betroffen. Während der Erziehungszeit müssen die Betroffenen ihre Lebensweise umstellen, um die Weiterführung der Erwerbstätigkeit und das Familienleben unter einen Hut bringen zu können. Sobald die Kinder ihre Ausbildung abgeschlossen haben, kann davon ausgegangen werden, dass die verwitwete Person je nach Alter in der Lage ist, für ihren Lebensunterhalt aufzukommen oder ihre Lebenshaltungskosten nach einer gewissen Zeit einzuschränken.
Aktuell richtet sich der Anspruch von Frauen ohne Kinder auf eine Witwenrente ausschliesslich nach dem Kriterium der Anzahl Ehejahre oder des Alters der hinterlassenen Person. Von dieser Sichtweise gilt es wegzukommen. Anspruch auf die Übergangsrente bei Verwitwung hätten nur verheiratete Personen, die gegenseitig unterhaltspflichtig sind, sowie geschiedene Personen, wenn eine Unterhaltspflicht der verstorbenen Person vorliegt. Die Leistung beruht folglich im Wesentlichen auf der gesetzlichen Verpflichtung zum Ehegattenunterhalt. Die Unterhaltspflicht ergibt sich aus dem in Artikel 163 ZGB geregelten Unterhalt der Familie oder dem nachehelichen Unterhalt, der gemäss Artikel 125 ZGB im Scheidungsurteil festgelegt wird. Der Anspruch auf diese Leistung hängt weder von der Dauer der Ehe noch vom Alter der hinterbliebenen Person oder von der Höhe des nachehelichen Unterhaltsbeitrags, auf den die Ex-Ehegattin oder der Ex-Ehegatte beim Tod Anspruch gehabt hätte, ab.
Die Höhe des nachehelichen Unterhaltsbeitrags wird entsprechend den finanziellen Möglichkeiten der Ex-Eheleute festgelegt. Es ist nicht Aufgabe der AHV beziehungsweise der Übergangsrente bei Verwitwung, sich der vom Scheidungsgericht festgesetzten Höhe des nachehelichen Unterhaltsbetrags anzupassen. Der Betrag der Übergangsrente bei Verwitwung muss sich auf die AHV-Beiträge abstützen, unabhängig vom Betrag des nachehelichen Unterhaltsbeitrags.
Im Konkubinat lebende Personen haben keinen Anspruch auf die Übergangsrente bei Verwitwung, da für sie keine gesetzliche Unterhaltspflicht im Sinne des ZGB gilt. Im Übrigen ist die Leistung Personen mit Kindern vorbehalten, weil diese Versicherten im Gegensatz zu verheirateten Paaren ohne Kinder gezwungen waren, sich beruflich so zu organisieren, dass sie Familie und Arbeit vereinbaren können.
Ab dem Zeitpunkt des Todes wird eine auf zwei Jahre begrenzte Rente ausgerichtet. Sie soll die Auswirkungen der Verwitwung vorübergehend abfedern und es der verwitweten Person ermöglichen, sich der neuen Situation anzupassen. Die zeitlich befristete Übergangsleistung soll den hinterbliebenen Personen vorübergehend helfen, ihre Einnahmen und Ausgaben unter den neuen Umständen in Einklang zu bringen, indem sie beispielsweise ihre Erwerbstätigkeit ausweiten oder die Wohnung wechseln.
Anspruchsberechtigte
Verheiratete Männer und Frauen, deren Kinder zum Zeitpunkt des Todes mindestens 25 Jahre alt sind, haben Anspruch auf die Leistung.
Eine Übergangsrente bei Verwitwung erhalten auch geschiedene Männer und Frauen mit Kindern von mindestens 25 Jahren, wenn die verstorbene Person gemäss Scheidungsurteil zur Zahlung eines nachehelichen Unterhalts verpflichtet war (Art. 125 ZGB).
Erlöschen des Anspruchs
Der Anspruch auf eine Übergangsrente bei Verwitwung erlischt zwei Jahre nach dem Todesfall oder mit dem Tod der Bezügerin oder des Bezügers. Bei Wiederheirat erlischt der Anspruch nicht.
³9 Gabriel et al.
(2022)
, S. 112
4.1.3 Übernahme von Härtefällen durch die Ergänzungsleistungen
| - Unterstützung im Rahmen der EL für Witwen und Witwer, die im Zeitpunkt der Verwitwung das 58. Altersjahr vollendet und keine unterhaltsberechtigten Kinder mehr haben, sofern der Tod einen Armutsfaktor darstellt;- Anspruch auf Unterstützung haben verheiratete Personen sowie geschiedene Personen, die Anspruch auf nachehelichen Unterhalt haben. |
Aufrechterhaltung des Schutzes, wenn der Tod für ältere Witwen und Witwer einen Armutsfaktor darstellt
Ohne zielführende Massnahmen besteht für Hinterbliebene ab einem bestimmten Alter ein Armutsrisiko. Da keine lebenslangen Renten mehr ausgezahlt werden, müssen für verwitwete Personen ab einem bestimmten Alter besondere Leistungen vorgesehen werden, da es für ältere Hinterbliebene schwierig ist, den Beschäftigungsgrad zu erhöhen beziehungsweise wieder eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Um Härtefälle zu vermeiden, sollen insbesondere ältere Hinterbliebene, die kurz vor dem AHV-Referenzalter stehen und keine unterhaltsberechtigten Kinder mehr haben, deshalb abgesichert werden.
Die grundlegen Frage, die sich diesbezüglich stellt, ist die Festlegung einer möglichen Altersgrenze für diese Härtefälle. Derzeit besteht für Witwen, die im Zeitpunkt der Verwitwung das 45. Altersjahr vollendet haben und mindestens fünf Jahre verheiratet waren, Anspruch auf eine Witwenrente. Das Alter von 45 Jahren ist nicht mehr zeitgemäss, da in diesem Alter die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit oder eine Erhöhung des Beschäftigungsgrads durchaus möglich ist. Die Altersgrenze von 58 Jahren scheint insofern angemessen, als sie auch jenem Alter entspricht, ab dem frühestens Altersleistungen der 2. Säule bezogen werden können, sowie dem Alter für Überbrückungsleistungen für Personen ab 60 Jahren, die ihre Stelle nach dem 58. Altersjahr verloren haben.
Der Schutz beruht jedoch nicht allein auf dem Kriterium des Alters der hinterbliebenen Person im Zeitpunkt des Todes. Denn viele ältere Hinterbliebene sind bereits erwerbstätig, und die Verwitwung bedeutet nicht immer, dass sie Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben werden. Der Schutz sollte daher auf Personen ausgerichtet sein, die durch einen Todesfall in eine Notlage geraten. Die AHV ist jedoch nicht die richtige Versicherung, um individuelle bedarfsabhängige Leistungen auszurichten. Deshalb wird eine Absicherung über die Ergänzungsleistungen vorgeschlagen. Dadurch kommt der Schutz gezielt Personen zugute, die durch den Verlust der wirtschaftlichen Unterstützung in Existenznot geraten würden.
Diese Lösung ist Personen mit Anspruch auf eine Übergangsrente bei Verwitwung vorbehalten, also Personen mit Kindern, die gezwungen waren, sich beruflich so zu organisieren, dass sie Familie und Arbeit in Einklang bringen können. Ohne Kinder gibt es keinen objektiven Grund, der die versicherte Person dazu zwingt, ihr Arbeitspensum gegebenenfalls zu reduzieren.
Anspruchsberechtigte
Über die Ergänzungsleistungen sollen bedürftige ältere Hinterbliebene unterstützt werden, die eine AHV-Übergangsrente bei Verwitwung beziehen und im Zeitpunkt der Verwitwung 58 Jahre oder älter waren. Grundsätzlich ermöglicht die Übergangsrente den Zugang zu EL, wobei der Anspruch über den Zeitraum von zwei Jahren hinweg aufrechterhalten werden kann. Allerdings müssen auch die für EL geltenden wirtschaftlichen und persönlichen Voraussetzungen erfüllt sein.
Erlöschen des Anspruchs
Der gemäss Vorlage vorgesehene EL-Anspruch von Hinterlassenen erlischt spätestens mit dem Erreichen des AHV-Referenzalters, das heisst mit Vollendung des 65. Altersjahres, oder beim Vorbezug eines Teils oder der ganzen AHV-Altersrente. Verstirbt die versicherte Person, endet der Anspruch auf EL ebenfalls. Mit der Wiederheirat erlischt der Anspruch auf EL nicht, wenn die wirtschaftlichen Anspruchsvoraussetzungen für EL noch erfüllt sind. Zudem hindert diese Regelung Betroffene nicht daran, EL im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a ELG zu beantragen, sobald sie eine AHV-Altersrente beziehen.
4.1.4 Übergangsbestimmungen
Die überarbeitete Regelung ist eine grundlegende Neuausrichtung in Bezug auf die Anspruchsberechtigungen für Hinterlassenenleistungen bei Verwitwung. Das neue Recht gilt für Neurenten bei Todesfällen nach Inkrafttreten des Gesetzes. Für laufende Renten, die in der Regel lebenslang ausgerichtet werden, gelten die Übergangsbestimmungen.
Es braucht ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Besitzstandsgarantie für besonders vulnerable Personenkategorien und der Kohärenz im neuen System, damit zwischen den heutigen Rentenbeziehenden und den Neurentnerinnen und Neurentnern keine allzu grossen Unterschiede bestehen. Sind keine unterhaltsberechtigten Kinder vorhanden und liegen keine altersbedingten Probleme vor, kann von den betroffenen Personen erwartet werden, dass sie wieder eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder ihren Beschäftigungsgrad erhöhen. Damit sich die betroffenen Personen auf eine solche Veränderung vorbereiten können, braucht es eine Übergangszeit.
Beibehaltung laufender Renten für Witwen und Witwer ab 55 Jahren ohne unterhaltsberechtigte Kinder
Die Vorlage sieht eine Besitzstandsgarantie für Personen vor, die bei Inkrafttreten der Reform 55 Jahre oder älter sind. Dies gilt nicht nur für Witwen- und Witwerrenten, die vor dem Referenzalter ausgerichtet werden, sondern auch für Rentenbezüge danach. Diese Kategorie von Witwen und Witwern (rund 170 000 Personen im Jahr 2023, was rund 90 % der hinterbliebenen Rentner/-innen der AHV entspricht) sind von den Gesetzesänderungen nicht betroffen; ihre Rente wird weiterhin nach altem Recht ausgerichtet, und es wird weiterhin die höhere Rente gemäss Artikel 24 b des aktuellen AHVG ausbezahlt.
Für Personen, die bei Inkrafttreten der vorliegenden Änderung jünger als 55 Jahre alt sind, ist eine Übergangszeit von 24 Monaten vorgesehen. Nach dieser Übergangszeit werden die Verwitwetenrenten aufgehoben. Eine Ausnahme ist jedoch für Personen vorgesehen, deren jüngstes rentenauslösendes Kind den Rentenanspruch nach altem Recht begründet und bei Inkrafttreten der Reform jünger als 25 Jahre alt ist: Diese Personen haben auch nach Ablauf der 24 Monate weiterhin Anspruch auf die Rente, bis das jüngste rentenauslösende Kind das 25. Altersjahr vollendet hat. Schätzungen zufolge sind von der Aufhebung des Rentenanspruchs nach der Übergangszeit von 24 Monaten rund 6700 Personen betroffen, davon fast 6600 Witwen und etwa 100 Witwer. Die Renten aus der 2. Säule sind von der Reform nicht betroffen und werden weiterhin an diese Personen ausgerichtet.
Beibehaltung der laufenden Renten für Witwen und Witwer ab 50 Jahren, die Ergänzungsleistungen der AHV beziehen
Hinterlassenenrenten für Personen ab 50 Jahren, die bei Inkrafttreten dieser Änderung eine jährliche Ergänzungsleistung beziehen oder Anspruch darauf haben, fallen ebenfalls unter das alte Recht, wobei weiterhin die höhere Rente gemäss Artikel 24 b des geltenden AHVG ausbezahlt wird. Schätzungen zufolge betrifft diese Besitzstandsgarantie rund 810 Rentenbezügerinnen und -bezüger (rund 780 Frauen und etwa 30 Männer).
4.1.5 Koordination mit dem BVG
In der beruflichen Vorsorge gibt es bei den Hinterlassenenleistungen keine Unterscheidung zwischen Männern und Frauen. Die Witwerrente wurde mit der 1. Revision des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1982 4⁰ über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) auf den 1. Januar 2005 eingeführt. Seither wird die Witwerrente in der obligatorischen beruflichen Vorsorge unter den gleichen Voraussetzungen gewährt wie die Witwenrente: Die hinterbliebene Person hat Anspruch auf eine Rente der obligatorischen beruflichen Vorsorge, wenn sie für den Unterhalt mindestens eines Kindes aufkommen muss oder wenn sie älter als 45 Jahre ist und die Ehe mindestens fünf Jahre gedauert hat (Art. 19 Abs. 1 BVG). Die geschiedene überlebende Ehegattin oder der geschiedene überlebende Ehegatte haben Anspruch auf Hinterlassenenleistungen der obligatorischen beruflichen Vorsorge, wenn die Ehe mindestens zehn Jahre gedauert hat und der geschiedenen Ehegattin oder dem geschiedenen Ehegatten bei der Scheidung eine Unterhaltsrente zugesprochen wurde (Art. 19 Abs. 3 BVG i. V. m. Art. 20 der Verordnung vom 18. April 1984 4¹ über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVV 2]). Der Anspruch auf die Witwen- oder Witwerrente endet mit der Wiederverheiratung oder mit dem Tod der Witwe oder des Witwers (Art. 22 Abs. 2 BVG). Sind die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt, besteht ein Anspruch auf eine einmalige Kapitalabfindung in Höhe von drei Jahresrenten (Art. 19 Abs. 2 BVG). Diese Bestimmungen gelten für den überlebenden eingetragenen Partner oder die überlebende eingetragene Partnerin sinngemäss (Art. 19 a BVG).
Das BVG enthält nur Mindestvorschriften. Die Vorsorgeeinrichtungen sehen in ihren Reglementen für überlebende Eheleute oftmals grosszügigere Leistungen oder weniger strenge Voraussetzungen für den Leistungsanspruch vor. So können z. B. kinderlose Witwen und Witwer eine Rente erhalten, selbst wenn sie jünger als 45 Jahre sind oder wenn die Ehe beim Tod einer Ehegattin oder eines Ehegatten weniger als fünf Jahre gedauert hat.
Im Reglement können die Vorsorgeeinrichtungen zudem weitere überobligatorische Leistungen an verschiedene Hinterbliebenenkategorien vorsehen: Begünstigt werden können insbesondere Konkubinatspartnerinnen und -partner, sofern sie mit der verstorbenen Person in den letzten fünf Jahren bis zum Tod ununterbrochen eine Lebensgemeinschaft geführt haben. Mögliche Begünstigte sind weiter Personen, die von der verstorbenen Person in erheblichem Mass unterstützt wurden, oder Personen, die für den Unterhalt eines oder mehrerer gemeinsamer Kinder aufkommen müssen (Art. 20 a Abs. 1 Bst. a BVG). Sind Kinder vorhanden, bedarf es somit keiner Mindestdauer der Lebensgemeinschaft. Diese reglementarischen Leistungen erlauben es, den heutigen Formen des Zusammenlebens Rechnung zu tragen. Viele Vorsorgeeinrichtungen sehen Hinterlassenenleistungen in Form von Renten oder Kapitalleistungen an Konkubinatspartnerinnen und -partner und an den überlebenden Elternteil in ihren Reglementen vor.
Eine Regelung wie jene, die in der AHV vorgesehen ist - also eine Abschaffung oder Kürzung von Hinterlassenenleistungen an die Witwe oder den Witwer - rechtfertigt sich für die berufliche Vorsorge aus mehreren Gründen nicht:
Bei verheirateten Paaren orientiert sich die berufliche Vorsorge im Gegensatz zur 1. Säule am Grundsatz der Wirtschaftsgemeinschaft. Während der Ehe oder im Todesfall gibt es keinen Ausgleich in Form eines Einkommenssplittings. Eine Teilung des Vorsorgevermögens erfolgt nur bei Scheidung. Mit dem Tod der versicherten Person fällt der bisher durch sie finanzierte Anteil am Haushaltseinkommen weg und es entsteht bei der hinterbliebenen Person ein Versorgerschaden. Ziel der beruflichen Vorsorge ist es, diesen Schaden aufzufangen. Die Hinterlassenenleistungen sind in diesem Fall die einzige Möglichkeit für einen wirtschaftlichen Ausgleich, da - wie erwähnt - in der 2. Säule die Vorsorgeguthaben im Todesfall nicht aufgeteilt werden. Ohne Hinterlassenenrente der beruflichen Vorsorge würden die hinterbliebenen Ehegattinnen und Ehegatten im Todesfall eine beträchtliche Einkommenseinbusse erleiden. Ist die hinterbliebene Ehegattin oder der hinterbliebene Ehegatte nicht selber berufstätig und damit in der beruflichen Vorsorge nicht versichert, erhält er oder sie auch bei Erreichen des Referenzalters keine Leistungen aus der zweiten Säule. Hat bei einem bereits im Rentenalter stehenden Ehepaar nur eine Ehegattin oder ein Ehegatte Anspruch auf eine Altersrente und verstirbt diese Person, fällt das Einkommen aus der 2. Säule ersatzlos weg. Folglich hat die hinterbliebene Ehegattin oder der hinterbliebene Ehegatte nur noch die Altersrente aus der 1. Säule und allenfalls Ergänzungsleistungen.
Gegen die Einschränkung des Anspruchs auf Hinterlassenenleistungen aus der 2. Säule spricht weiter, dass die berufliche Vorsorge anders als die AHV im Kapitaldeckungsverfahren finanziert wird. Das Altersguthaben der Versicherten setzt sich somit aus den Beiträgen, die sie selber und ihre Arbeitgeber geleistet haben, sowie den Zinsen zusammen. Die Versicherten sparen somit ihr jeweils individuelles Vorsorgeguthaben an. Entsprechend besteht die Erwartung, dass das Vorsorgeguthaben bei Eintritt des Vorsorgefalls (Alter, Tod oder Invalidität) vollumfänglich dem Versicherten zukommt. Einschränkungen bezüglich Hinterlassenenrente in der beruflichen Vorsorge - etwa für kinderlose Eheleute - hätten so zur Folge, dass das freiwerdende Vorsorgekapital, das die verstorbene Person aufgebaut hat, vollständig der Vorsorgeeinrichtung zufällt, wenn weder obligatorische noch überobligatorische Leistungen fällig werden.
Die Frage, ob auch in der obligatorischen beruflichen Vorsorge zusätzlich zivilstandsunabhängige Hinterlassenenleistungen erbracht werden sollten, wenn Kinder vorhanden sind, ist zum jetzigen Zeitpunkt ebenfalls zu verneinen. Die Vorsorgeeinrichtungen haben im Rahmen der überobligatorischen Vorsorge heute bereits die Möglichkeit, solche Leistungen vorzusehen, und viele machen davon in ihren Reglementen Gebrauch. Welche Auswirkungen eine obligatorische Leistungserweiterung auf die Vorsorgeeinrichtungen hätte, müsste eingehend untersucht werden. Das sollte aber nicht im Rahmen dieser Reform erfolgen.
Durch die Revision der Hinterlassenenleistungen in der AHV werden die Anspruchsvoraussetzungen nicht mehr immer die gleichen sein wie in der beruflichen Vorsorge. Es wird somit vorkommen, dass nur die Voraussetzungen für eine Hinterlassenenrente der AHV erfüllt sind (z. B. bei unverheirateten Paaren mit Kindern, wenn das Reglement der Vorsorgeeinrichtung keine Leistungen vorsieht) oder nur die Voraussetzungen für eine Witwen- oder Witwerrente der beruflichen Vorsorge (z. B. kinderlose Ehepaare). Aufgrund der oben dargelegten ganz anderen Behandlung der während der Ehe erworbenen Vorsorgeansprüche rechtfertigt es sich aber, die Änderungen in der beruflichen Vorsorge nicht zu übernehmen, damit das Vorsorgeguthaben in erster Linie der wirtschaftlichen Sicherheit der Hinterbliebenen dient.
4⁰ SR 831.40 ; Botschaft vom 1. März 2000 zur Revision des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) ( 1. BVG-Revision), BBl 2000 2637 S. 2661.
4¹ SR 831.441.1
4.1.6 Koordination mit der Unfallversicherung
Die Unfallversicherung sieht beim Tod einer versicherten Person in Folge eines Unfalls Hinterlassenenleistungen vor. Die überlebenden Ehegattinnen und Ehegatten haben Anspruch auf eine Rente, wenn sie bei der Verwitwung eigene rentenberechtigte Kinder haben oder mit andern durch den Tod der Ehegattin oder des Ehegatten rentenberechtigt gewordenen Kindern in gemeinsamem Haushalt leben oder wenn sie mindestens zu zwei Dritteln invalid sind oder es binnen zwei Jahren ab dem Tode der Ehegattin oder des Ehegatten werden. Die Witwe hat zudem Anspruch auf eine Rente, wenn sie bei der Verwitwung Kinder hat, die nicht mehr rentenberechtigt sind, oder wenn sie das 45. Altersjahr zurückgelegt hat (Art. 29 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 20. März 1981
4²
über die Unfallversicherung [UVG]). Witwer haben keinen solchen Anspruch, was eine Ungleichbehandlung darstellt.
Auch wenn das Urteil des EGMR vom 11. Oktober 2022 in der
Sache Beeler gegen die Schweiz
die AHV-Gesetzgebung betrifft, müssen konsequenterweise auch geschlechterspezifische Ungleichbehandlungen in der Gesetzgebung über die Unfallversicherung behoben werden.
Die einfachste und pragmatischste Lösung für die Gleichbehandlung von Männern und Frauen wäre es, den Witwern dieselben Ansprüche wie den Witwen zu gewähren. Die Gewährung dieser Leistung an Männer verursacht nur geringe Kosten und steht im Einklang mit der Gesetzgebung über die Unfallversicherung. Historisch löste die Unfallversicherung die Haftpflicht des Arbeitgebers ab. Auch wenn sie im Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 4³ über den Allgemeinen Teil der Sozialversicherung (ATSG) geregelt ist, weist sie einige Besonderheiten auf, die namentlich auf ihren Bezug zur Arbeitswelt zurückzuführen sind. Einige Unterschiede zum AHVG reichen weit zurück. Sie sind ebenso vertretbar wie die Lösung, die gefunden wurde, um die vom EGMR aufgezeigte Ungleichbehandlung zu beheben.
Eine Frau, die ihren Mann durch einen Unfall oder eine Berufskrankheit verloren hat, muss auch künftig eine UVG-Rente erhalten können, auch wenn sie Kinder hat, die keinen Rentenanspruch mehr haben, oder wenn sie das 45. Altersjahr erreicht hat. In diesen Fällen ist eine künftige Rückkehr an den Arbeitsplatz für die Frauen keinesfalls gesichert. Die Aufhebung der vom EGMR festgestellten Ungleichbehandlung darf nicht zu einer Verschlechterung der Situation der Frauen führen. Deshalb wurde die Option einer Aufhebung der Witwenrente in genau diesen Fällen verworfen. Um die gewünschte Gleichbehandlung zu erreichen, muss daher Witwern das gleiche Recht eingeräumt werden wie Witwen, umso mehr, als die finanziellen Auswirkungen auf die Unfallversicherung minim sind (siehe Ziff. 6.1.4).
Das Postulat 20.4449 Feri «Ungleichbehandlung von Witwen und Witwern beheben» verlangte,
dass die AHV und die Unfallversicherung die wirtschaftlichen Folgen des Todes der Lebenspartnerin bzw. des Lebenspartners oder des Ehemannes bzw. der Ehefrau unabhängig vom Geschlecht der verstorbenen Person durch eine angemessene Kompensation der Erwerbseinbussen abfedern und Betroffene vor Armut bewahren. Die geplante Anpassung des UVG trägt ebenfalls zur Kompensation der Ungleichbehandlung - unabhängig vom Geschlecht - bei.
4² SR 832.20
4³ SR 830.1
4.1.7 Koordination mit der Militärversicherung
Im Bundesgesetz vom 19. Juni 1992 4⁴ über die Militärversicherung (MVG) gibt es keine Unterscheidung zwischen den Geschlechtern. Es besteht somit keine Notwendigkeit einer Revision. Sobald die invalide versicherte Person das Rentenalter erreicht hat, wird die auf unbestimmte Zeit zugesprochene Invalidenrente als Altersrente auf der Hälfte des Jahresverdienstes ausgerichtet, welcher der Rente zugrunde liegt (Art. 47 MVG). Gemäss Artikel 77 MVG erfolgt beim Zusammentreffen von Altersrenten für Invalide und von AHV-Renten in Abweichung von Artikel 69 ATSG keine Kürzung wegen Überentschädigung. Es kann keine Überentschädigung eintreten, da die Altersrente der Militärversicherung lediglich der Hälfte der vorgängig zugesprochenen Invalidenrente entspricht (Art. 47 und Art. 77 MVG). In diesem Fall hat eine Senkung (oder Erhöhung) der AHV-Renten keine Auswirkungen auf die Militärversicherung.
Anders verhält es sich bei Personen, die eine auf unbestimmte Zeit zugesprochene Invalidenrente der Militärversicherung beziehen und die das Rentenalter noch nicht erreicht haben. Bei der Berechnung der Überentschädigung gemäss Artikel 69 ATSG werden die mit den Renten der Militärversicherung zusammenfallenden Renten der AHV, der IV und der UV voll angerechnet (Art. 32 Abs. 1 Bst. a der Verordnung vom 10. November 1993 ⁴5 über die Militärversicherung, MVV). Eine allfällige Reduktion der AHV-Rente wird somit durch eine Erhöhung der Renten aus der Militärversicherung kompensiert.
4⁴ SR 833.1
⁴5 SR 833.11
4.1.8 Koordination mit der Arbeitslosenversicherung
Gemäss Artikel 14 Absatz 2 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1982 ⁴6 über die Arbeitslosenversicherung (AVIG) sind insbesondere Personen, die wegen des Todes der Ehegattin oder des Ehegatten oder aus ähnlichen Gründen gezwungen sind, eine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder zu erweitern, von der Erfüllung der Beitragszeit befreit. Die Regel gilt nur dann, wenn das betreffende Ereignis nicht mehr als ein Jahr zurückliegt und die betroffene Person beim Eintritt dieses Ereignisses ihren Wohnsitz in der Schweiz hatte. Die betroffenen Personen müssen somit die Voraussetzungen bezüglich Beitragszeit für einen - beschränkten - Anspruch auf eine Arbeitslosenentschädigung nicht erfüllen.
Diese Befreiungsgründe erfassen Personen, die nicht auf die Aufnahme oder Erweiterung einer Erwerbstätigkeit vorbereitet sind und aus wirtschaftlicher Notwendigkeit auf die veränderte Situation reagieren müssen. Eine Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit ist somit nur möglich, wenn zwischen dem geltend gemachten Grund und der Notwendigkeit der Aufnahme oder Erweiterung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit ein Kausalzusammenhang gegeben ist. ⁴7
Bei der Prüfung der wirtschaftlichen Notwendigkeit der Aufnahme oder Erweiterung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit ist die Ausrichtung einer Witwen- oder Witwerrente der AHV ein massgebendes Kriterium. Es besteht kein Anlass, das zu ändern.
⁴6 SR 837.0
⁴7 AVIG-Praxis ALE, Staatssekretariat für Wirtschaft, Stand: 1. Juli 2023, B192
4.2 Abstimmung von Aufgaben und Finanzen
Die Vorlage enthält keine neuen Aufgaben, die dem Bund durch Erlass des Gesetzes entstehen. Die finanziellen Auswirkungen der Vorlage auf den Bund gehen hauptsächlich auf die Entwicklung der AHV-Gesamtausgaben zurück, da der Bund 20,2 Prozent dieser Ausgaben übernimmt. Mit der Vorlage sollen die Rechtsgleichheit zwischen Witwern und Witwen wiederhergestellt, das System an die sozialen Realitäten angepasst und die Ausgaben des Bundes gemäss Bundesratsvorgaben gesenkt werden. Detaillierte Angaben zu den finanziellen Auswirkungen sind in Anhang 1 aufgeführt.
4.3 Umsetzung
Für die Auszahlung der AHV-Leistungen sind nach wie vor die Verbands- und kantonalen Ausgleichskassen zuständig. In Anbetracht der tiefgreifenden Änderungen, die die Vorlage verursacht, ist mit Kosten für die Umsetzung und Anpassung der IT-Systeme zu rechnen, die jedoch nicht beziffert werden können. Mit der Einschränkung des Anspruchs auf Hinterlassenenleistungen wird bei den Ergänzungsleistungen ein Rückgang beim Bestand erwartet. Die Unterstützung von Härtefällen ab einem bestimmten Alter erfordert bei der Umsetzung des Systems jedoch geringfügige Anpassungen.
5 Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen
5.1 Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung
Art. 15 Abs. 2
Der vorliegende Entwurf bietet die Gelegenheit, einige Änderungen vorzunehmen, die nicht mit den Hinterlassenenrenten der AHV zusammenhängen.
Abs. 2. Artikel 43 Ziffer 1 des Bundesgesetzes vom 11. April 1889 ⁴8 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) wurde durch das Bundesgesetz vom 18. März 2022 ⁴9 über die Bekämpfung des missbräuchlichen Konkurses aufgehoben. Demnach sind der Konkursbetreibung unterliegende Schuldnerinnen und Schuldner künftig auch bei öffentlichen Schuldforderungen (z. B. Sozialversicherungsbeiträge) über diesen Weg zu betreiben. Entsprechend ist Artikel 15 Absatz 2 AHVG, der eine Ausnahme von der Konkursbetreibung vorsieht und gleichzeitig auf Artikel 43 SchKG verweist, hinfällig.
Art. 16 Abs. 2 letzter Satz
Der vorliegende Entwurf bietet die Gelegenheit, einige Änderungen vorzunehmen, die nicht mit den Hinterlassenenrenten der AHV zusammenhängen.
Abs. 2. Im Rahmen der 10. AHV-Revision 5⁰ wurde Artikel 20 Absatz 3 AHVG aufgehoben. Seither stimmt der in Artikel 16 Absatz 2 enthaltene Verweis auf Artikel 20 Absatz 3 nicht mehr. Stattdessen müsste auf Artikel 20 Absatz 2 AHVG verwiesen werden. Materiell ändert sich nichts.
Gliederungstitel vor Art. 23
Aufgrund der geänderten Terminologie muss der Titel des Abschnitts vor Artikel 23 E-AHVG angepasst werden. Es wird nicht mehr auf die Witwen- und Witwerrente Bezug genommen, sondern auf die Rente des hinterlassenen Elternteils, auf die Übergangsrente bei Verwitwung und auf die Waisenrente.
Art. 23
Rente für den hinterlassenen Elternteil
Die Sachüberschrift des Artikels wird geändert: Der Begriff «Witwen- und Witwerrente» wird durch «Rente für den hinterlassenen Elternteil» ersetzt, da künftig auch unverheiratete Eltern abgedeckt sind.
Abs. 1. Die Anspruchsberechtigung des überlebenden Elternteils setzt ein Kindesverhältnis nach Artikel 252 ZGB 5¹ voraus. Die Anspruchsvoraussetzungen der Eltern mit unterhaltsberechtigten Kindern sind unabhängig von Zivilstand und Geschlecht der Eltern. Personen in eingetragener Partnerschaft sind gemäss Artikel 13 a ATSG Witwern gleichgestellt und gehören zum Begünstigtenkreis, sofern sie beim Tod der Partnerin oder des Partners eines oder mehrere Kinder haben.
Abs. 2. Anspruch auf eine Hinterlassenenrente können auch andere Kinder als jene begründen, mit denen im Zeitpunkt des Todes ein Kindesverhältnis besteht (Abs. 1), so wie es heute bei der Regelung für Witwen- und Witwerrenten der Fall ist. Aufgrund der «Pflichten der Ehegatten» (Art. 159 ZGB) ist dieser Anspruch überlebenden Ehegattinnen und Ehegatten vorbehalten, die im Zeitpunkt des Todes mit der verstorbenen Person verheiratet waren. Überlebende Ehegattinnen und Ehegatten können auch Anspruch auf eine Hinterlassenenrente haben, wenn sie die Rolle als Pflege- oder Adoptiveltern übernehmen. Somit werden keine materiellen Änderungen am geltenden Recht vorgenommen.
Abs. 3 . Der Begriff «des Ehemannes oder der Ehefrau» wird aus den in den Erläuterungen zu Absatz 1 dargelegten Gründen durch «des anderen Elternteils» ersetzt.
Abs. 4 (neu). Wenn das jüngste anspruchsbegründende Kind gemäss den Absätzen1 und 2 das 25. Altersjahr bereits vollendet hat, wird keine Rente für den hinterlassenen Elternteil gewährt. Zudem haben Personen ohne Kinder keinen Anspruch auf eine Rente für den hinterlassenen Elternteil.
Abs. 5. In Absatz 5 werden die Gründe für das Erlöschen des Anspruchs auf eine Rente für den hinterlassenen Elternteil präzisiert. Der Anspruch auf die Hinterlassenenrente erlischt, wenn das jüngste anspruchsbegründende Kind das 25. Altersjahr vollendet, und zwar unabhängig von dessen Bildungsniveau (Bst. a). Anders als in der heutigen Regelung hat der Zivilstand keinen Einfluss auf den Rentenanspruch. Die Hinterlassenenrente wird somit auch im Falle einer Wiederverheiratung ausgerichtet. Ausserdem erlischt der Rentenanspruch, wenn der Elternteil seine Altersrente der AHV - ganz oder teilweise - vorbezieht oder das Referenzalter von 65 Jahren erreicht (Bst. b), und zwar auch dann, wenn das jüngste Kind das 25. Altersjahr noch nicht vollendet hat. In diesen Fällen wird die Hinterlassenenrente durch eine Altersrente abgelöst. Der Anspruch auf die Hinterlassenenrente erlischt zudem beim Tod des rentenberechtigten Elternteils (Bst. c) oder sechs Monate nach dem Tod des anspruchsbegründenden Kindes (Bst. d). Die um sechs Monate längere Ausrichtung soll ein abruptes, unvorhersehbares Ende der Rentenzahlung verhindern. Allerdings kann die Rentenzahlung höchstens bis zum Zeitpunkt verlängert werden, in dem das jüngste Kind das 25. Altersjahr vollendet. Begründen nach dem Tod des Kindes noch ein oder mehrere Kinder unter 25 Jahren einen Anspruch auf Hinterlassenenrente, bleibt der Anspruch bis zum vollendeten 25. Altersjahr des jüngsten Kindes bestehen.
Abs. 6. Betreut der Elternteil ein erwachsenes Kind mit Behinderung, wird die Rente für den hinterlassenen Elternteil über das 25. Altersjahr des Kindes hinaus ausgerichtet, sofern der Elternteil für die Betreuung Anspruch auf Betreuungsgutschriften der AHV gemäss Artikel 29 septies AHVG hat und mit dem erwachsenen Kind, das er betreut, zusammenwohnt. Der Anspruch auf Betreuungsgutschriften setzt voraus, dass das Kind eine Hilflosenentschädigung der IV, der obligatorischen Unfallversicherung oder der Militärversicherung bezieht. Zudem setzt der Anspruch auf Betreuungsgutschriften eine regelmässige Betreuung während mindestens 180 Tagen pro Jahr 5² und eine jährliche Anmeldung voraus. Der Anspruch auf die Hinterlassenenrente kann allerdings nicht nach dem vollendeten 25. Altersjahr des erwachsenen Kindes entstehen (Abs. 4) und endet spätestens mit Erreichen des Referenzalters gemäss Artikel 21.
Abs. 7 (neu). Der Bundesrat regelt den Anspruch auf die Rente für den hinterlassenen Elternteil von Frauen, die beim Tod des anderen Elternteils schwanger sind.
Abs. 8 (neu). Ausschlaggebend ist somit nicht allein die Elternschaft. Das Hauptziel der Rente für den hinterlassenen Elternteil besteht darin, den Elternteil bei seiner Unterhaltspflicht gegenüber seinem Kind finanziell zu unterstützen. In offensichtlich missbräuchlichen Ausnahmefällen muss der Anspruch auf Rentenzahlung widerrufen werden können, wenn der überlebende Elternteil in keiner Weise für das Kind sorgt. Der Bundesrat erhält daher die Kompetenz, gemäss Artikel 20 ATSG besondere Bestimmungen für die Ausrichtung der Rente in solchen Fällen zu erlassen.
Art. 24
Übergangsrente bei Verwitwung
Dieser neue Artikel ersetzt den bisherigen Artikel 24 «Besondere Bestimmungen». Der Anspruch von Witwen, die im Zeitpunkt der Verwitwung mindestens 45 Jahre alt und mindestens fünf Jahre verheiratet gewesen sind, auf eine Witwenrente wird aufgehoben. Auf das Alter der hinterlassenen Person sowie auf die Ehedauer wird nicht mehr direkt Bezug genommen. Die besondere Bestimmung, wonach der Anspruch auf die Witwerrente mit Vollenden des 18. Altersjahres des jüngsten Kindes erlischt, wird ebenfalls aufgehoben. Denn die Rente kann künftig bis zum vollendeten 25. Altersjahres des jüngsten Kindes ausgerichtet werden.
Abs. 1 . Dieser Absatz führt den Anspruch auf eine zweijährige Übergangsrente bei Verwitwung ein. Die Leistung ist Personen vorbehalten, die im Zeitpunkt der Verwitwung verheiratet waren und anspruchsbegründende Kinder im Sinne von Artikel 23 hatten, jedoch keinen Anspruch auf eine Rente für den hinterlassenen Elternteil haben, weil die Kinder im Zeitpunkt der Verwitwung das 25. Altersjahr bereits vollendet haben. Der generische Begriff «Ehegatte» umfasst sowohl Männer als auch Frauen. Grundlage für den Anspruch auf die Übergangsrente bei Verwitwung bildet die Pflicht der Ehegatten gemäss Artikel 163 ZGB, während der Ehe für den gebührenden Unterhalt der Familie zu sorgen.
Abs. 2 . Dieser Absatz erweitert den Anspruch auf die Übergangsrente bei Verwitwung auf geschiedene Personen, die Kinder im Sinne von Artikel 23 hatten, die jedoch keinen Anspruch auf Hinterlassenenrente begründen, weil sie im Zeitpunkt der Verwitwung das 25. Altersjahr bereits vollendet haben. Die Übergangsrente ist auf zwei Jahre begrenzt und wird nur gewährt, wenn der verstorbene Ex-Ehegatte einen scheidungsrechtlich begründeten Unterhaltsbeitrag nach Artikel 125 ZGB erhielt. Der generische Begriff «Ex-Ehegatte» umfasst sowohl Männer als auch Frauen.
Abs. 3 (neu). Dieser Absatz regelt den Beginn des Anspruchs auf eine Übergangsrente bei Verwitwung, der am ersten Tag des dem Tod des Ehegatten oder des geschiedenen Ehegatten folgenden Monats entsteht.
Abs. 4 (neu). Dieser Absatz hält die Gründe für das Erlöschen des Anspruchs auf die Übergangsrente bei Verwitwung fest. Der Anspruch erlischt 24 Monate nach dem Tod, der den Anspruch begründet hat (Bst. a) . Zudem erlischt er bei Vorbezug der Altersrente der AHV oder spätestens bei Erreichen des Referenzalters gemäss Artikel 21 (Bst. b) . Ein weiterer Grund für das Erlöschen der Rente ist der Tod der anspruchsberechtigten Person.
Art. 24a
Zusammentreffen von Rente für den hinterlassenen Elternteil mit Übergangsrente bei Verwitwung
Dieser neue Artikel ersetzt den bisherigen Artikel 24 a «Geschiedene Ehegatten». Der Anspruch von geschiedenen Personen auf Hinterlassenenrenten wird neu in den Artikeln 23 und 24 geregelt.
Abs. 1. Dieser Artikel präzisiert, welche Rente bei einem Zusammentreffen von Renten für den hinterlassenen Elternteil im Sinne von Artikel 23 mit Übergangsrenten bei Verwitwung im Sinne von Artikel 24 zur Anwendung gelangt. Erfüllt eine Person die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente für den hinterlassenen Elternteil im Sinne von Artikel 23, während der Anspruch auf die Übergangsrente bei Verwitwung länger besteht, wird einzig die Übergangsrente bei Verwitwung ausgerichtet. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn das jüngste Kind beim Tod des anderen Elternteils 24 Jahre alt ist. In diesem Fall würde die Rente für den hinterlassenen Elternteil gemäss Artikel 23 bis zum vollendeten 25. Altersjahr des jüngsten Kindes ausgerichtet. Da die Anspruchsdauer der zweijährigen Übergangsrente bei Verwitwung für die versicherte Person vorteilhafter ist, wird dem überlebenden Elternteil anstelle der Rente für den hinterlassenen Elternteil gemäss Artikel 23 die Übergangsrente bei Verwitwung gewährt.
Abs. 2 . Dem Bundesrat wird die Kompetenz erteilt, das Zusammentreffen mehrerer Hinterlassenenleistungen im Sinne von Artikel 23 zu regeln. Betroffen wären vor allem Fälle, in denen Elternteile gleichzeitig oder kurz hintereinander sterben und in denen mehrere Kinder mehrere Ansprüche auf eine Hinterlassenenrente begründen. Wie bereits heute soll in solchen Fällen auch künftig einzig die höhere Rente gewährt werden.
Art. 24b
Zusammentreffen von Rente für den hinterlassenen Elternteil oder Übergangsrente bei Verwitwung mit Invalidenrente
Der gleichzeitige Bezug einer Rente für den hinterlassenen Elternteil nach Artikel 23 oder einer Übergangsrente bei Verwitwung nach Artikel 24 und einer Altersrente der AHV ist ausgeschlossen. Der Anspruch auf eine Hinterlassenenrente erlischt zwingend, sobald die Altersrente vorbezogen wird oder spätestens bei Erreichen des Referenzalters gemäss Artikel 21.
Gemäss geltendem Artikel 24 b AHVG wird beim Zusammentreffern der beiden Risiken Tod und Invalidität einzig die höhere Rente ausbezahlt. Da die Rente für den hinterlassenen Elternteil und die Übergangsrente bei Verwitwung jeweils für eine begrenzte Anspruchsdauer ausgerichtet werden, erlischt mit ihrem Anspruchsende auch der Grundsatz der Ausrichtung der höheren Rente. In diesem Fall bleibt einzig der Anspruch auf die IV-Rente bestehen.
Gliederungstitel vor Art. 25
Der IV. Abschnitt vor Artikel 25 AHVG muss aufgrund der geänderten Terminologie im Gliederungstitel des III. Abschnitts vor Artikel 23 E-AHVG aufgehoben werden. Da die Waisenrente zum Abschnitt Hinterlassenenrente des AHVG gehört, ist sie nicht mehr Gegenstand eines separaten Abschnitts und der IV. Abschnitt somit aufzuheben.
Art. 28bis erster Satz
Die Terminologie wird an die neuen Hinterlassenenrenten angepasst. Der Begriff «Witwen- oder Witwerrente» wird durch «Rente für den hinterlassenen Elternteil» und «Übergangsrente bei Verwitwung» ersetzt. Allerdings ist das Zusammentreffen einer Waisenrente und einer Übergangsrente bei Verwitwung ausgeschlossen, da der Anspruch auf eine Waisenrente spätestens mit der Vollendung des 25. Altersjahrs erlischt (Art. 25 Abs. 4 und 5 AHVG) und Anspruchsberechtigte für den Anspruch auf die Übergangsrente keine Kinder unter 25 Jahren mehr haben dürfen (Art. 24 Abs. 1 E-AHVG).
Art. 29quinquies Abs. 3 Bst. b
Die Terminologie wird angepasst, damit sie mit der Terminologie im Erlass übereinstimmt. Künftig wird der Begriff «verwitwete Person» und nicht mehr «Witwe und Witwer» verwendet.
Art. 33 Abs. 1 erster Satz
Der Titel des Artikels wird nicht angepasst, der Begriff «Hinterlassenenrente» umfasst die Rente für den hinterlassenen Elternteil im Sinne von Artikel 23, die Übergangsrente bei Verwitwung im Sinne von Artikel 24 sowie die Waisenrente im Sinne von Artikel 25.
Abs. 1. Die Terminologie wir an die neuen Hinterlassenenrenten angepasst: Der Begriff «Witwen- oder Witwerrente» wird durch «Rente für den hinterlassenen Elternteil» und «Übergangsrente bei Verwitwung» ersetzt.
Art. 35 Abs. 1 Bst. c
Diese neue Bestimmung führt für Ehepaare, bei denen eine Ehegattin oder ein Ehegatte Anspruch auf eine Hinterlassenenrente oder eine Übergangsrente bei Verwitwung und die andere Person Anspruch auf eine Altersrente oder einen Prozentsatz davon hat, einen Höchstbetrag von 150 Prozent für die Summe der beiden Renten ein. Die Plafonierung gilt auch, wenn beide Eheleute Anspruch auf eine Hinterlassenenrente oder eine Übergangsrente bei Verwitwung haben.
Art. 35bis Sachüberschrift und erster Satz
Die Sachüberschrift des Artikels und der erste Satz der Bestimmung werden in der französischen und italienischen Fassung angepasst, damit sie der im Erlass verwendeten Terminologie entsprechen. Materiell ändert sich in diesem Artikel nichts.
Art. 36
Rente für den hinterlassenen Elternteil oder Übergangsrente bei Verwitwung
Die Terminologie wird an die neuen Hinterlassenenrenten angepasst. Der Begriff «Witwen- oder Witwerrente» wird durch «Rente für den hinterlassenen Elternteil oder Übergangsrente bei Verwitwung» ersetzt. Die Hinterlassenenrente oder Übergangsrente bei Verwitwung beträgt stets 80 Prozent der dem massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommen entsprechenden Altersrente.
Art. 40 Abs. 3
Dieser Artikel schliesst das Zusammentreffen einer Altersrente mit einer Rente für den hinterlassenen Elternteil oder Übergangsrente bei Verwitwung aus. Bei einem Vorbezug der ganzen Altersrente oder eines Anteils davon erlischt der Anspruch auf die Hinterlassenenrente.
Art. 50a Abs. 1 Bst. e Ziff. 9
Seit dem Inkrafttreten der Verordnung vom 6. Dezember 2019 5³ über die Inkassohilfe bei familienrechtlichen Unterhaltsansprüchen (InkHV) per 1. Januar 2022 sieht Artikel 7 InkHV die Möglichkeit vor, dass Fachstellen, die für die Inkassohilfe bei familienrechtlichen Unterhaltsansprüchen zuständig sind, von anderen kommunalen, kantonalen oder Bundesbehörden kostenlos Informationen erhalten können, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe benötigen. Das Einholen von Informationen erfordert ein schriftliches und begründetes Gesuch. Artikel 50 a AHVG wurde nicht entsprechend angepasst.
Gemäss Artikel 33 AHVG sind die Organe der AHV an die Schweigepflicht gebunden. Nur die in Artikel 50 a AHVG vorgesehenen Fälle erlauben die Bekanntgabe von Daten. Um die Anwendung von Artikel 7 InkHV und die Informationsweitergabe zu ermöglichen, muss Artikel 50 a Absatz 1 Buchstabe e AHVG mit der Ziffer 9 ergänzt werden.
Art. 101bis Sachüberschrift
Die vorliegende Teilrevision des AHVG bietet die Gelegenheit, die deutsche Sachüberschrift dieser Bestimmung zu korrigieren. Die französische und die italienische Sachüberschrift enthalten den Begriff «subventions» bzw. «sussidi». Um die Terminologie zu vereinheitlichen, wird in der deutschen Sachüberschrift «Beiträge» durch «Subventionen» ersetzt. Neu lautet die Sachüberschrift «Subventionen zur Förderung der Altershilfe».
Übergangsbestimmungen zur Änderung vom …
Die neuen Leistungen für überlebende Eltern, die Übergangsrente bei Verwitwung und die Leistungen im Rahmen der EL gelten ausschliesslich für Todesfälle, die nach Inkrafttreten der Vorlage eintreten.
Abs. 1. Dieser Absatz sieht vor, dass die laufenden Renten von Witwen und Witwern, die das 55. Altersjahr vollendet haben, weiter nach geltendem Recht ausgerichtet werden. Dies gilt auch für Witwerrenten nach Interpretation gemäss Mitteilungen des BSV Nr. 460 vom 21. Oktober 2022 5⁴ . Der Rentenanspruch von Personen, die das 55. Altersjahr bei Inkrafttreten der vorliegenden Vorlage bereits vollendet haben, bleibt nach altem Recht bestehen, wobei weiterhin der Grundsatz der höheren Rente gemäss aktuellem Artikel 24 b AHVG gilt. Bei diesen Personen wird bei Erreichen des Referenzalters eine Vergleichsrechnung zwischen der Witwen- oder Witwerrente und der Altersrente vorgenommen und gemäss altem Recht nur die höhere Rente ausbezahlt. Wenn sie die Voraussetzungen dafür erfüllen, haben diese Personen ausserdem Anspruch auf Ergänzungsleistungen.
Abs. 2. Bei Inkrafttreten der Vorlage bereits laufende Witwen- und Witwerrenten, deren Anspruch aufgrund eines Todesfalls vor dem Inkrafttreten der Revision nach altem Recht entstanden ist, werden unter Berücksichtigung des Kriteriums Alter geprüft. Der Rentenanspruch von Personen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorlage unter 55 Jahre alt sind, erlischt 24 Monate nach diesem Datum. Haben diese Personen nach dieser Frist noch rentenauslösende Kinder unter 25 Jahren, wird die Rente so lange weiter ausgerichtet, bis das jüngste rentenauslösende Kind das 25. Altersjahr erreicht hat.
Abs. 3. Dieser Absatz sieht die Weiterausrichtung der laufenden Renten von Witwen und Witwern vor, die das 50. Altersjahr vollendet haben und Ergänzungsleistungen (EL) beziehen oder Anspruch darauf haben. Dies gilt auch für Witwerrenten nach Interpretation gemäss Mitteilungen des BSV Nr. 460.
Gemäss den Absätzen 1 und 2 haben Personen, die bei Inkrafttreten dieser Vorlage das 55. Altersjahr noch nicht vollendet und keine Kinder unter 25 Jahren (mehr) haben, zwei Jahre nach Inkrafttreten der Vorlage keinen Anspruch auf eine Hinterlassenenrente der AHV mehr. Für Personen, die bei Inkrafttreten der Vorlage das 50. Altersjahr vollendet haben und EL beziehen oder die Anspruchsvoraussetzungen für den EL-Bezug erfüllen, ist eine Ausnahmeregelung vorgesehen. Da diese Rentnerkategorie ihren Lebensbedarf ohne EL nicht decken kann und deshalb ein Armutsrisiko aufweist, bleibt der Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente für diese Personen nach altem Recht bestehen. Allerdings muss der EL-Anspruch bei Inkrafttreten der Vorlage anerkannt sein. Bei diesen Personen wird bei Erreichen des Referenzalters eine Vergleichsrechnung zwischen der Witwen- oder Witwerrente und der Altersrente vorgenommen, wobei gemäss altem Recht (Art. 24 b AHVG) weiterhin der Grundsatz der höheren Rente gilt. Diese Personen behalten ihren Anspruch auf Ergänzungsleistungen, wenn sie die Voraussetzungen dafür erfüllen.
⁴8 SR 281.1
⁴9 BBl 2022 702
5⁰ AS 1996 2466
5¹ SR 210
5² BSV, Kreisschreiben über die Betreuungsgutschriften , Bern, 2020, Rz. 3015, abrufbar unter: https://sozialversicherungen.admin.ch > AHV > Grundlagen AHV > Weisungen Renten > KSBGS.
5³ SR 211.214.32
5⁴ Das Dokument ist auf der Website des BSV abrufbar unter: www.bsv.admin.ch > Publikationen & Services > Weisungen, Kreisschreiben etc. > Vollzug Sozialversicherungen > AHV > Mitteilungen > AHV / EL Mitteilungen Nr. 460.
5.2 Änderung anderer Erlasse
5.2.1 Bundesgesetz über die Invalidenversicherung
Art. 43 Abs. 1 erster Satz und 3
Abs. 1 . Bei Zusammenfallen einer Hinterlassenenrente der AHV (Waisenrente, Rente für den hinterlassenen Elternteil im Sinne von Art. 23 E-AHVG oder Übergangsrente bei Verwitwung im Sinne von Artikel 24 E-AHVG) mit einer IV-Rente haben Versicherte mit dem Zivilstand «verwitwet» wie bereits heute Anspruch auf eine ganze Invalidenrente. Anhand einer Vergleichsrechnung zwischen der ganzen Invalidenrente und der Hinterlassenenrente der AHV wird ermittelt, welche Rente höher ausfällt. Die Auszahlung der höheren Rente ist nur gegeben, solange die versicherte Person Anspruch auf eine Hinterlassenenrente der AHV hat. Da die Rente für den hinterlassenen Elternteil und die Übergangsrente bei Verwitwung jeweils für eine begrenzte Anspruchsdauer ausgerichtet werden, erlischt mit ihrem Anspruchsende auch der Grundsatz der Ausrichtung der höheren Rente. In diesem Fall bleibt einzig der Anspruch auf die IV-Rente bestehen.
Abs. 3 . Dieser Absatz erteilt dem Bundesrat die Kompetenz, die notwendigen Bestimmungen zu erlassen, um die Auswirkungen des Erlöschens einer zeitlich begrenzten Hinterlassenenrente der AHV zu regeln. Dabei geht es insbesondere um den Übergang zurück zur IV-Rente, nachdem der Anspruch auf die Rente für den hinterlassenen Elternteil der AHV oder die Übergangsrente bei Verwitwung der AHV erloschen ist.
5.2.2 Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG)
Art. 4 Abs. 1 Bst. abis, ater, aquinquies, asexies und b Ziff. 2 sowie c
Bst. a bis . Die Terminologie in diesem Buchstaben wird dahingehend angepasst, dass bei Todesfällen, die ab Inkrafttreten der Vorlage eintreten, die Rente für den hinterlassenen Elternteil nach Artikel 23 E-AHVG den Anspruch auf EL begründet. Der Begriff «Witwen- oder Witwerrente der AHV» wird durch «Rente für den hinterlassenen Elternteil der AHV» ersetzt. Bei Hinterlassenenrenten der AHV bleibt der Anspruch auf EL gemäss den Übergangsbestimmungen der Vorlage bestehen.
Bst. a ter . Invalide Personen, die anstelle ihrer IV-Rente eine Rente für den hinterlassenen Elternteil im Sinne von Artikel 23 E-AHVG oder eine Übergangsrente bei Verwitwung im Sinne von Artikel 24 E-AHVG beziehen, haben gemäss Artikel 24 b E-AHVG Anspruch auf Ergänzungsleistungen zur AHV.
Bst. a quinquies (neu). Mit dieser Bestimmung wird der EL-Anspruch von Personen verankert, die eine Übergangsrente bei Verwitwung im Sinne von Artikel 24 E-AHVG beziehen. Der Anspruch auf Ergänzungsleistungen wird bei allen Personen, die ab Inkrafttreten der Vorlage neu eine solche Übergangsrente beziehen, anerkannt.
Bst. a sexies (neu). Diese Bestimmung führt einen zusätzlichen Schutz in Härtefällen ein, der für alle Todesfälle gilt, die nach dem Inkrafttreten der Vorlage eintreten. Personen mit Anspruch auf eine Übergangsrente bei Verwitwung im Sinne von Artikel 24 E-AHVG, die im Zeitpunkt der Verwitwung das 58. Altersjahr vollendet haben, haben auch nach Erlöschen der Übergangsrente weiter Anspruch auf EL. Dieser Anspruch bleibt bis zum Erreichen des Referenzalters der AHV bestehen, unabhängig von der Ausrichtungsdauer der Übergangsrente. Die Unterstützung durch die EL endet spätestens mit Erreichen des Referenzalters der AHV. Selbstverständlich müssen die Anspruchsvoraussetzungen für die EL erfüllt sein. Da EL nur an Personen mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz ausgerichtet werden, haben ältere Hinterbliebene, die im Ausland leben, keinen Anspruch auf diese Massnahme.
Bst. b Ziff. 2 . Der Begriff «die verwitwete Person» wird durch «die hinterlassene Person» ersetzt, um den Bezügerinnen und Bezügern der Rente für den hinterlassenen Elternteil nach Artikel 23 E-AHVG Rechnung zu tragen, deren Zivilstand möglicherweise nicht verwitwet lautet. Der Begriff umfasst auch die Bezügerinnen und Bezüger einer Übergangsrente bei Verwitwung im Sinne von Artikel 24 E-AHVG.
Bst c. Da die Abkürzung für die Invalidenversicherung («IV») in Buchstabe ater eingeführt wurde, kann in diesem Absatz die Abkürzung verwendet werden.
Art. 9 Abs. 5 Bst. c
Im bisherigen Absatz 5 Buchstabe c wurde ausschliesslich auf teilinvalide Personen und Witwen ohne minderjährige Kinder Bezug genommen. Das hypothetische Einkommen, das für EL-Bezügerinnen und -Bezüger gilt, wird künftig vom Bundesrat geregelt. Dazu gehören überlebende Eltern, deren Zivilstand nicht verwitwet lautet, sowie Eheleute allgemein, und zwar unabhängig von ihrem Gesundheitszustand.
Geregelt wird in diesem Rahmen nicht nur das hypothetische Einkommen, das für teilinvalide Personen gilt, sondern auch jenes für nicht invalide Eheleute. Zudem wird beim hypothetischen Einkommen nicht mehr nach minderjährigen und volljährigen Kindern unterschieden, da die Unterscheidung für die Bestimmung des anwendbaren hypothetischen Einkommens unzureichend war. Dafür wird sich der Bundesrat bei der Bestimmung des hypothetischen Einkommens für die EL-Berechnung stärker auf das Alter des Kindes stützen.
Art. 14 Abs. 3 Bst. a Ziff. 1
Die Terminologie in diesem Absatz wird vereinfacht, damit nur noch auf «alleinstehende Personen» Bezug genommen wird. Materiell ändert sich damit nichts, da verwitwete und hinterbliebene Personen bereits als alleinstehende Personen behandelt werden. Der Begriff «alleinstehende Personen» umfasst sowohl Personen, die eine Hinterlassenenrente im Sinne von Artikel 23 E-AHVG beziehen, als auch Bezügerinnen und Bezüger einer Übergangsrente bei Verwitwung im Sinne von Artikel 24 E-AHVG sowie die Härtefalle, die über Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe asexies E-ELG abgedeckt sind.
Art. 17 Sachüberschrift und Abs. 1 Bst. a und c, 4 und 5
Durch strengere Anspruchsvoraussetzungen für die Hinterlassenenrenten wird die Zahl der Bezügerinnen und Bezüger von Hinterlassenenleistungen der AHV begrenzt. Per 1. Januar 2024 hat die Schweizer Stiftung Pro Senectute die subventionierten Tätigkeiten übernommen, die bis dahin gemäss einer Vereinbarung zwischen den beiden Parteien und dem BSV von der Schweizer Stiftung Pro Juventute ausgeführt wurden. Deshalb werden die Bundesbeiträge im Rahmen von Artikel 17 an Pro Juventute für individuelle Finanzhilfen an Hinterbliebene aufgehoben.
Abs. 1 Bst. a und c . Abs. 1 Bst. a und c. Die 2,7 Millionen Franken, die bisher an Pro Juventute gingen, werden neu an die schweizerische Stiftung Pro Senectute gezahlt. Gestützt auf die Artikel 17 ELG und 101bis AHVG erhielt Pro Senectute vom Bund bereits zuvor einen Betrag von maximal 16,5 Millionen Franken pro Jahr. Künftig wird dieser Höchstbetrag bei 19,2 Millionen Franken pro Jahr liegen. Er kann im Sinne von Artikel 18 ELG zur Unterstützung von Betagten oder Hinterlassenen verwendet werden. Die Verweise auf Pro Juventute werden aus dem Artikel gestrichen.
Abs. 4. Der Name der schweizerischen Stiftung Pro Juventute wird gestrichen.
Abs. 5 . Der Bundesrat erhält die Kompetenz, die Einzelheiten der Beitragsgewährung zu regeln. Um zu verhindern, dass eine Organisation ihre Tätigkeit aufgibt und die Finanzhilfen ungenutzt bleiben, verfügt der Bundesrat über die Kompetenz, die Beiträge anderen gesamtschweizerisch tätigen Organisationen, die die Interessen von älteren, hinterlassenen oder invaliden Personen vertreten, zuzusprechen.
Die französische und die italienische Sachüberschrift von Artikel 17 ELG verwenden den Begriff «subventions» bzw. «sussidi». Die Anpassung von Artikel 17 bietet die Gelegenheit, die Terminologie zu vereinheitlichen und in der deutschen Sachüberschrift ebenfalls den Begriff «Subventionen» zu verwenden. Auch die deutsche Sachüberschrift von Artikel 101 bis AHVG wurde in dieser Hinsicht angepasst.
Art. 18 Abs. 1 Bst. a-c
Die Terminologie wird angepasst, damit die Zulagen an «hinterlassene» Personen im Sinne des AHVG ausgezahlt werden können, unabhängig davon, ob die Person verwitwet, verwaist, geschieden oder ledig ist.
5.2.3 Bundesgesetz über die Unfallversicherung
Art. 29 Abs. 3 zweiter Satz und 4
Aktuell
haben überlebende Eheleute Anspruch auf eine Rente, wenn sie bei der Verwitwung rentenberechtigte Kinder haben oder mit anderen Kindern, die durch den Tod der Ehegattin oder des Ehegatten rentenberechtigt werden, in einem gemeinsamen Haushalt leben. Anspruch haben sie zudem, wenn sie mindestens zu zwei Dritteln invalid sind oder es binnen zwei Jahren seit dem Tode der Ehegattin oder des Ehegatten werden. Gemäss bisherigem Recht haben zudem Witwen Anspruch auf eine Rente,
wenn sie bei der Verwitwung Kinder haben, die nicht mehr rentenberechtigt sind, oder wenn sie das 45. Altersjahr vollendet haben. Für Witwer besteht derzeit kein entsprechender Anspruch.
Abs. 3 . Die neue Fassung von Artikel 29 Absatz 3 UVG stellt die Gleichbehandlung zwischen Frauen und Männern beim Anspruch der Ehegattin bzw. des Ehegatten auf die Hinterlassenenrente sicher. Damit wird die vom EGMR festgestellte Ungleichbehandlung beseitigt. Der neue Artikel 29 Absatz 3 beseitigt diese Ungleichbehandlung, indem Männern der gleiche Anspruch wie Frauen gewährt wird.
Abs. 4 . Die Terminologie in diesem Absatz wird angepasst, damit sie mit der Terminologie des Artikels übereinstimmt, in dem nicht mehr von «Witwe» und «Witwer» die Rede ist. Verwendet wird der Begriff «überlebender Ehegatte».
Art. 32 Einleitungssatz
Nach bisherigem Recht haben Witwen, die die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente nicht erfüllen (Art. 29 Abs. 1), Anspruch auf eine Abfindung. Artikel 32 legt die Höhe der Abfindung fest. Da durch Artikel 29 künftig auch Witwer, die die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente nicht erfüllen, Anspruch auf eine Abfindung haben, präzisiert Artikel 32, dass die Abfindung überlebenden und geschiedenen Ehegattinnen und Ehegatten zusteht.
6 Auswirkungen
6.1 Finanzielle Auswirkungen auf die Sozialversicherungen
6.1.1 Auswirkungen auf die AHV
Generell hat der vorliegende Entwurf zur Folge, dass lebenslange Renten, die verheirateten oder geschiedenen Personen mit oder ohne Kinder gewährt werden, aufgehoben werden. Um die Auswirkungen der Verwitwung abzufedern, werden die Leistungen nun gezielt auf die Betreuungs- und Erziehungszeit ausgerichtet oder übergangsweise gewährt. Somit löst eine Verwitwung nach Inkrafttreten der Reform im Vergleich zum geltenden Recht seltener einen Rentenanspruch aus, und die neuen Renten werden weniger lange ausgerichtet. Die Leistungen für Witwer werden auch an unverheiratete Personen ausgerichtet. Ein Teil der vorgeschlagenen Änderungen führt zu Mehrausgaben in der AHV, insgesamt wird die Vorlage die AHV-Ausgaben aber senken. Mit Blick auf die Übergangsbestimmungen, die darauf abzielen, laufende Renten aufrechtzuerhalten, wird die Ausgabensenkung schrittweise erfolgen.
Die Ausweitung des Anspruchs auf unverheiratete Eltern mit Kindern unter 25 Jahren wird Mehrausgaben verursachen, auch wenn nur mit wenigen Fällen zu rechnen ist. Zwischen 2017 und 2021 gab es in der Schweiz im Jahresdurchschnitt etwas weniger als 600 unverheiratete Eltern, deren jüngstes Kind unter 25 Jahre alt war und bei denen der andere Elternteil verstorben ist.
Es muss betont werden, dass die 2022 im Nachgang des Urteils der Grossen Kammer des EGMR eingeführte Übergangsregelung 5⁵ aktuell dazu führt, dass die Witwerrenten jedes Jahr um schätzungsweise rund 12 Millionen Franken zunehmen.
Die finanziellen Auswirkungen der beschriebenen Massnahmen sind in der folgenden Tabelle ausgewiesen, wobei davon ausgegangen wurde, dass die Neuerungen per 1. Januar 2026 in Kraft treten.
Tabelle 6-1
Auswirkungen der Reformmassnahmen auf die Rentenausgaben der AHV
Beträge in Millionen Franken, zu Preisen von 2023
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| Jahr | Einschränkung des Anspruchs auf verwitwete Personen mit Kindern unter 25 Jahren | Hinterlassenenrenten für unverheiratete Eltern mit Kindern unter 25 Jahren | Zweijährige Übergangsrente für verwitwete Personen mit Kindern über 25 Jahren | Übergangsbestimmungen* | Total |
|---|---|---|---|---|---|
| 2026 | -35 | 6 | 24 | 0 | -6 |
| 2027 | -117 | 16 | 66 | 0 | -34 |
| 2028 | -200 | 26 | 87 | -106 | -193 |
| 2029 | -287 | 35 | 88 | -112 | -276 |
| 2030 | -363 | 41 | 86 | -116 | -352 |
| 2031 | -448 | 49 | 87 | -125 | -437 |
| 2032 | -516 | 54 | 85 | -132 | -510 |
| 2033 | -597 | 60 | 85 | -148 | -600 |
| 2034 | -660 | 60 | 80 | -160 | -680 |
| 2035 | -740 | 70 | 80 | -180 | -770 |
Wegen der Rundung kann das Total geringfügig von der Summe der Einzelpositionen abweichen.
* Laufende Renten von Personen, die beim Inkrafttreten jünger als 55 Jahre sind, werden ins neue Recht überführt bzw. nach 2 Jahren aufgehoben, wenn die Personen dann keine Kinder unter 25 Jahre haben. Laufende Renten von Personen, die beim Inkrafttreten mindestens 50 Jahre alt sind und die EL beziehen, werden nicht aufgehoben.
5⁵ Mitteilungen an die AHV-Ausgleichskassen und EL-Durchführungsstellen, Nr. 460; abrufbar unter: https://sozialversicherungen.admin.ch > Dokumente > AHV > Mitteilungen > AHV/EL Mitteilungen Nr. 460.
6.1.2 Auswirkungen auf die Ergänzungsleistungen
Mit der vorliegenden Reform werden langfristig weniger Personen eine Hinterlassenenrente der AHV erhalten, was auch die Zahl der Anspruchsberechtigten auf EL reduziert. Die finanziellen Auswirkungen auf die EL werden jedoch gering sein, da nur wenige Bezügerinnen und Bezüger einer Hinterlassenenrente auf EL angewiesen sind: 2023 bezogen insgesamt 15 Prozent der Bezügerinnen und Bezüger einer Hinterlassenenrente in der Schweiz EL; das entspricht 7470 Personen, davon 6650 ohne unterhaltsberechtigte Kinder.
In der Regel endet der Anspruch auf EL, wenn die Hinterlassenenrente der AHV nicht durch eine andere Rente der 1. Säule abgelöst wird. Im Jahr 2030 ist mit 300 bis 400 Fällen zu rechnen, in denen die EL mit dem Ausbleiben einer Witwen- und Witwerrente wegfällt. Eine Ausnahme dieser Regel schafft die Härtefallbestimmung, mit der Personen, die kurz vor dem Rentenalter verwitwen, nicht vom EL-Bezug ausgeschlossen werden, auch wenn sie nach einer Frist von zwei Jahren keine Rente der 1. Säule mehr beziehen. Schätzungen zufolge könnten im Jahr 2030 zwischen 100 und 200 Personen in den Genuss dieser neuen Regelung kommen.
Der Einfluss der Reform auf die EL ist aufgrund der verschiedenen Auswirkungen für die unterschiedlichen betroffenen Gruppen komplex. Zunächst wird der Rückgang der EL-Ausgaben aufgrund der niedrigeren Anzahl Hinterlassenenrenten marginal sein, da die Übergangsbestimmungen der Vorlage dazu führen, dass die meisten laufenden AHV-Hinterlassenenrenten während der Übergangszeit von 24 Monaten beibehalten werden, auch jene von jüngeren Personen. Zudem entstehen aufgrund der neuen, künftig geltenden Bestimmungen geringe Mehrausgaben. Künftig werden Hinterlassenenrenten nicht mehr über das Referenzalter hinaus ausgerichtet, wenn die Altersrente niedriger ist als die Hinterlassenenrente. Bei EL-Bezügerinnen und -Bezügern dieser Alterskategorie wird die Differenz durch die EL ausgeglichen. Acht bis zehn Jahre nach Inkrafttreten wird die Reform einen Rückgang der EL-Ausgaben zur Folge haben, da weniger Personen Anspruch auf eine Hinterlassenenrente der AHV haben werden.
Insgesamt werden die Auswirkungen der Reform auf die Ausgaben der EL marginal sein. Schätzungen zufolge ist langfristig gesehen mit einer Abnahme der EL-Ausgaben von rund 2 bis 4 Millionen Franken zu rechnen. Dabei handelt es sich allerdings nur um eine Schätzung, die auf aktuellen Daten basiert, da die finanzielle Situation der künftigen Generationen von Bezügerinnen und Bezügern von Hinterlassenenleistungen, die EL in Anspruch nehmen, noch nicht bekannt ist.
6.1.3 Auswirkungen auf die berufliche Vorsorge
Die Hinterlassenenleistungen der beruflichen Vorsorge werden mit den Leistungen anderer Sozialversicherungen koordiniert und können gekürzt werden, wenn sie zusammen mit deren Leistungen 90 Prozent des mutmasslich entgangenen Verdienstes übersteigen (Art. 34 a Abs. 1 BVG). Artikel 66 ATSG ist anwendbar. Gemäss Absatz 2 dieser Bestimmung werden Renten in folgender Reihenfolge gewährt: zunächst Renten der AHV, dann Renten der Militär- und Unfallversicherung und danach erst Renten der beruflichen Vorsorge. Hat die versicherte Person gleichzeitig Anspruch auf Entschädigungen der Unfallversicherung und auf Leistungen der beruflichen Vorsorge, gleicht in erster Linie die Unfallversicherung die fehlenden AHV-Leistungen aus. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass die Anpassung der Leistungen an verwitwete Personen in der AHV nur in ganz wenigen Fällen eine Verschiebung von AHV-Leistungen in die 2. Säule zur Folge haben dürfte. Eine Kürzung der Hinterlassenenleistungen der beruflichen Vorsorge kann es zudem bei gleichzeitigem Anspruch auf Waisenrenten geben. Mit der vorliegenden Reform werden jedoch mehr Hinterbliebene mit waisenrentenberechtigten Kindern eine Rente der AHV erhalten. Eine Leistungsverschiebung zulasten der beruflichen Vorsorge wird in diesen Fällen deshalb ebenfalls nicht vorkommen. Es ist also nicht davon auszugehen, dass die Vorsorgeeinrichtungen durch die Revision höhere Leistungen erbringen müssen.
6.1.4 Auswirkungen auf die Unfallversicherung
Die Behebung der vom EGMR
festgestellten Ungleichbehandlung durch die Ausweitung der Anspruchsberechtigung auf Witwer ohne unterhaltsberechtigte Kinder ist im
UVG möglich, da die Unfallversicherung
finanziell
gut dasteht. Die Änderung des UVG hat zur Folge, dass rund 500 zusätzliche Witwerrenten gezahlt werden müssen. Die
Prämien werden von den Arbeitgebern und den Arbeitnehmenden getragen. Gemäss Schätzungen der Koordinationsgruppe für die Statistik der Unfallversicherung (KSUV) dürften sich die Zusatzkosten auf eine Spannbreite von
5 bis 8 Millionen Franken pro Jahr belaufen. Dieser Betrag wird durch eine
geringfügige Prämienerhöhung ausgeglichen, die weniger als 0,15 Prozent betragen dürfte. 2020 betrug das Bruttoprämienvolumen 6,4 Milliarden Franken.
Aufgrund der Bestimmungen betreffend die Überentschädigung wirkt sich die Reform der AHV im Übrigen auch auf die Unfallversicherung aus. Haben nämlich
die Hinterlassenen Anspruch auf Renten der AHV oder der IV, so wird ihnen von der Unfallversicherung eine Komplementärrente gewährt. Diese entspricht der Differenz zwischen 90 Prozent des versicherten Verdiensts und den Renten der AHV oder der IV, höchstens aber 40 Prozent des versicherten Verdiensts für Witwen und Witwer (Art. 31 UVG). Werden die
AHV- oder IV-Renten aufgrund einer Änderung der Berechnungsgrundlage erhöht oder gesenkt, wird auch die UVG-Komplementärrente angepasst.
Wird die AHV- oder IV-Rente reduziert, müssten die UVG-Versicherer diese Reduktion folglich im Umfang der genannten Differenz ausgleichen.
Wird die AHV- oder IV-Rente gestrichen, kann die UVG-Komplementärrente in eine ordentliche UVG-Rente umgewandelt werden. Für die UVG-Versicherer sind die
finanziellen
Auswirkungen der AHV-Reform allerdings gering, da die UVG-Versicherer nur wenige Komplementärrenten an Witwen zahlen, die möglicherweise von der AHV-Reform betroffen wären.
6.2 Auswirkungen auf den Bundeshaushalt
Die finanziellen Auswirkungen der Vorlage auf den Bund gehen auf die Entwicklung der AHV-Gesamtausgaben zurück, da der Bund 20,2 Prozent dieser Ausgaben übernimmt. Insgesamt wird sich der Bundesbeitrag im Jahr 2028 mit der Reform um 39 Millionen Franken verringern. Danach werden die Einsparungen beim Bundesbeitrag kontinuierlich zunehmen und sich im Jahr 2032 auf 103 Millionen belaufen.
Wird der Beitrag des Bundes im Rahmen der Umsetzung der 13. Altersrente auf 19,5 Prozent der Ausgaben gesenkt, würde die Bundesbeteiligung im Jahr 2028 um 37 Millionen Franken sinken und 2032 bei 100 Millionen Franken liegen.
Da die Reform keinen signifikanten Einfluss auf die EL-Ausgaben hat, hat sie auch nur marginale Auswirkungen auf den Bundeshaushalt. Langfristig ist auf Bundesebene mit Einsparungen von 1 bis 3 Millionen Franken pro Jahr zu rechnen, die auf den erwarteten jährlichen Rückgang der EL-Ausgaben in der Höhe von 2 bis 4 Millionen Franken zurückzuführen sind.
Die Änderung der Gesetzgebung der Unfallversicherung hat nur indirekte Auswirkungen auf den Bund, der sich nicht an der Finanzierung der Unfallversicherung beteiligt und deshalb nur in seiner Rolle als Arbeitgeber betroffen ist. Der Bund bezahlt für seine Mitarbeitenden jährlich Versicherungsprämien im Umfang von rund 21,2 Millionen Franken. Die erwartete Prämienerhöhung dürfte somit jährliche Mehrkosten von 32 000 Franken verursachen.
6.3 Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete
Die Reform hat keinen signifikanten Einfluss auf die EL-Ausgaben. Langfristig ist für die Kantone mit Einsparungen von schätzungsweise 1 bis 2 Millionen Franken zu rechnen, die auf den erwarteten jährlichen Rückgang der EL-Ausgaben in der Höhe von 2 bis 4 Millionen Franken zurückzuführen sind.
Allerdings werden unter dem Strich weniger Personen eine Hinterlassenenrente erhalten als unter dem geltenden Recht. Ohne anderes Einkommen oder Vermögensreserve könnten von einem Todesfall betroffene Personen künftig auf Sozialhilfe angewiesen sein. Zwar lassen sich die Zahl der Betroffenen oder die genauen Auswirkungen auf die Sozialhilfe nicht bestimmen, aber der Effekt dürfte gering ausfallen. Denn hierbei handelt es sich um eine Bevölkerungsgruppe im Erwerbsalter, die später gegebenenfalls Leistungen der 2. Säule erhalten wird.
6.4 Auswirkungen auf die Wirtschaft
6.4.1 Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
Die Arbeitsmarktbeteiligung hinterbliebener Erwachsener unter 65 Jahren hängt von zahlreichen Faktoren ab. Die finanziellen Aspekte sind zwar wichtig, aber nicht alleine ausschlaggebend. Eine Rolle spielen zum Beispiel die berufliche Situation der hinterbliebenen Person vor dem Tod der Ehegattin oder des Ehegatten, das Alter und die berufliche Qualifikation, die Haushaltszusammensetzung oder das lokale Angebot für die Kinderbetreuung. Die durchgeführten Untersuchungen ⁵6 liefern keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob die Hinterbliebenenrenten ein wesentlicher Einflussfaktor für die Arbeitsmarktbeteiligung der begünstigten Personen sind. Die Analyse wird dadurch erschwert, dass sich die Vorlage nur auf die AHV-Leistungen bezieht. Die Leistungen der 2. Säule beim Tod der versicherten Person bleiben unverändert. Für die Hinterbliebenen sind diese Leistungen jedoch von grosser Bedeutung. Die erwartete Wirkung der Vorlage auf das künftige Verhalten der Hinterbliebenen auf dem Arbeitsmarkt wird somit geschmälert.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht möglich, die Auswirkungen der Vorlage auf die Entwicklung der Beschäftigung in der Schweiz genau zu quantifizieren. Basierend auf Annahmen kann jedoch eine Grössenordnung berechnet werden. Anhand der Merkmale der wichtigsten von der Änderung betroffenen Haushaltsgruppen geht man dabei von einem geschätzten Bestand und von einer möglichen Anpassung der Arbeitsmarktbeteiligung aus.
Bei den Gruppen, die von der AHV-Änderung betroffen sind, dürften die Witwen, die keinen Anspruch mehr auf eine Witwenrente der AHV haben werden, am ehesten ihre Erwerbstätigkeit erhöhen. Es handelt sich dabei um kinderlose Witwen, die im Zeitpunkt der Verwitwung älter als 45 Jahre sind und seit mindestens fünf Jahren verheiratet oder vor der Scheidung mindestens zehn Jahre verheiratet waren, sowie Witwen mit Kindern, die verheiratet sind oder vor der Scheidung mindestens zehn Jahre verheiratet waren, und deren jüngstes Kind das 25. Altersjahr vollendet hat. Für das Jahr 2035 wird die Zahl der betroffenen Witwen auf rund 10 000 geschätzt, wobei unter diesen die zuletzt genannte Gruppe etwas weniger als die Hälfte (etwa 45 %) ausmacht. (Nicht berücksichtigt werden hier mögliche Auswirkungen der Massnahmen zugunsten des überlebenden Elternteils für die Betreuung eines Kindes mit Behinderungen, das älter als 25 Jahre ist, oder zur Vermeidung der Prekarität, wenn der überlebende Elternteil mindestens 58 Jahre alt ist). ⁵7
Die Arbeitsmarktbeteiligung dieser Witwen dürfte sich jener der Frauen annähern, die im vergleichbarem Alter sind (50 bis 63 Jahre) und in Einpersonenhaushalten leben (Referenzgruppe). ⁵8 2015 erzielten letztere ein Nettoeinkommen von 48 000 Franken, das im Durchschnitt rund 21 000 über jenem der Frauen lag, die im Zeitpunkt der Verwitwung verheiratet waren und danach alleine im Haushalt lebten (27 000 Franken). ⁵9 Diese Differenz entspricht rund einem Drittel des Lohns bezogen auf eine Vollzeitstelle (VZÄ). 6⁰ Das Nettoeinkommen geschiedener Witwen mit einer Hinterlassenenrente der AHV (41 000 Franken) lag näher bei jenem der Frauen in der Referenzgruppe. Diese Abweichung lässt sich durch eine stärkere Arbeitsmarktintegration nach der Scheidung erklären, die unter Umständen bereits lange vor der Verwitwung stattfand.
Die Situation innerhalb der einzelnen Gruppen ist sehr heterogen und die verfügbaren Daten sind deshalb mit Vorsicht auszulegen. Zu berücksichtigen ist beispielsweise die Tatsache, dass die Verwitwung von Frauen vor dem Rentenalter generell in fortgeschrittenem Alter eintritt (Medianalter nahe bei 60 6¹ ) und dass Witwen mit Kindern während zweier Jahre Anspruch auf Witwenleistungen haben, wenn die Verwitwung nach dem 25. Geburtstag des jüngsten Kindes erfolgt. Um das 60. Altersjahr nimmt die Arbeitsmarktbeteiligung in den meisten Bevölkerungsgruppen ohne unterhaltsberechtigte Kinder tendenziell ab. 6² Dabei spielen persönliche Entscheidungen mit, aber auch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Für Witwen, die sich für die Kindererziehung teilweise aus dem Arbeitsmarkt zurückgezogen haben, dürfte es aufgrund fehlender Berufserfahrung in den vorangegangenen Jahren schwieriger sein, sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, auch wenn die Kinder bereits ausgezogen sind. Geht man im Zeitpunkt, in dem das jüngste Kind das 25. Altersjahr vollendet, von einem tieferen Beschäftigungsniveau aus, könnte ein erfolgreicher Wiedereintritt zu mehr Vollzeitäquivalenten (VZÄ) führen.
Aus diesen Gründen und weil die meisten Witwen ohne Kinder im Haushalt bereits Teilzeit erwerbstätig sind, wird das zusätzliche Beschäftigungsvolumen in VZÄ, das sich aus der Anpassung der AHV ergibt, klar unter der Zahl der im Jahr 2035 betroffenen Personen liegen (10 000). Es ist schwierig, den potenziellen Zuwachs der Beschäftigung zu bestimmen. Unter bestimmten Annahmen könnte er 3300 VZÄ erreichen (Grössenordnung).
Wird der Kreis der Anspruchsberechtigten auf Hinterlassenenleistungen auf nicht verheiratete oder geschiedene Paare mit Kindern unter 25 Jahren ausgedehnt, könnte das einen gegenteiligen Effekt auf den Arbeitsmarkt haben, das heisst, die Arbeitsmarktbeteiligung des hinterbliebenen Elternteils könnte sinken, weil er künftig weniger auf ein Erwerbseinkommen angewiesen ist. Diese Massnahme betrifft deutlich weniger Personen. Schätzungen zufolge werden im Jahr 2035 rund 2200 Witwen und 900 Witwer eine AHV-Zusatzrente beziehen. Die empirischen Daten zeigen, dass Männer, selbst wenn sie Hinterlassenenleistungen erhalten, ihre Arbeitsmarktbeteiligung beim Tod des anderen Elternteils kaum ändern. Es kann deshalb angenommen werden, dass sich die Anpassung der AHV nicht auf die Beschäftigungssituation der Witwer auswirkt. Wie sich das neue Recht auf die Arbeitsmarktbeteiligung unverheirateter und nicht geschiedener Witwen mit Kindern unter 25 Jahren auswirkt, ist ungewiss. Selbst wenn sie ihre Arbeitsmarktbeteiligung auf das empirisch bei Witwenhaushalten mit Kindern beobachtete Niveau reduzieren, ist die Wirkung auf die Gesamtbeschäftigung im Jahr 2035 nicht signifikant.
⁵6 Gabriel et al. (2022)
⁵7 Schätzungen des BFS anhand zu erwartender Todesfälle in der Schweiz.
⁵8 Vgl. Gabriel et al. (2022), S. 64-85, mit ausführlichen Zahlen und Kommentaren zur Einkommenssituation der verschiedenen Gruppen von Hinterbliebenen.
⁵9 Gabriel et al. (2022), Abbildung 8, S. 65. Angaben in Franken durch die Autoren.
6⁰ Gemäss der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung des BFS betrug der Medianlohn einer vollzeitbeschäftigten Frau im Jahr 2016 jährlich 63 924 Franken netto (keine Daten für 2015). Die Differenz von 21 000 Franken entspricht einem Drittel dieses Betrags.
6¹ Gabriel et al. (2022), Tabelle 5, S. 34-35
6² Gabriel et al. (2022), S. 76
6.4.2 Auswirkungen des reduzierten Finanzierungsbedarfs der AHV
Die Simulationen (siehe Ziff. 6.1.1) zeigen, dass die Reform eine schrittweise Senkung der AHV-Ausgaben ermöglichen sollte. Schätzungen zufolge beläuft sich die Ausgabensenkung im Jahr 2035 auf 770 Millionen Franken. Allerdings steht die AHV weiterhin vor den Herausforderungen des demografischen Wandels und weist, aufgrund der Einführung der 13. Altersrente, einen zusätzlichen Finanzierungsbedarf von rund 5 bis 6 Milliarden Franken auf. Die Vorlage hat somit kaum Einfluss auf den Finanzierungsbedarf, auch wenn sie das Ausgabenwachstum im Bereich der Hinterlassenenrenten etwas zu bremsen vermag.
6.4.3 Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft
Die Reduktion der AHV-Transfers an Hinterbliebenenhaushalte dürfte keine Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft haben, etwa durch eine Abschwächung der Gesamtnachfrage (Konsumrückgang). Die gezielte Kürzung der Hinterlassenenleistungen der AHV dürften die betroffenen Personen weitgehend durch einen Anstieg ihres Erwerbseinkommens oder über andere soziale Transferleistungen, namentlich Ergänzungsleistungen und Sozialhilfe, kompensieren können. Ein beträchtlicher Teil der Einsparungen bei der AHV wird sich im Übrigen nicht auf das Einkommensniveau in der Schweiz auswirken, da dieser Teil (im Jahr 2035 etwas mehr als die Hälfte 6³ ) die Reduktion von ins Ausland ausgezahlte Leistungen betrifft (namentlich als Witwenrenten an über 65-jährige Frauen, die nur noch Anspruch auf eine sehr bescheidene Altersrente der AHV haben dürften).
Die wirtschaftlichen Auswirkungen der AHV-Änderung auf den Arbeitsmarkt und die Einkünfte von Unternehmen und Arbeitnehmenden sind für die Beschäftigung und das Wirtschaftswachstum grundsätzlich vorteilhaft. Allerdings dürften sich die gesamtwirtschaftlichen Effekte im Rahmen halten. Denn erstens hat die Änderung der AHV keinen Einfluss auf die Hinterlassenenleistungen der 2. Säule. Diese bleiben unverändert und spielen im Haushaltsbudget der Hinterbliebenen insgesamt eine ebenso wichtige Rolle wie die Leistungen der AHV. 6⁴ Zweitens könnte ein Teil des steigenden, vorläufig aber geringen Arbeitsangebots von Hinterbliebenen, die keine Hinterlassenenleistungen mehr erhalten, durch einen Rückgang der Zuwanderung kompensiert werden. Die Gesamtbeschäftigung würde unverändert bleiben. Drittens sind die makroökonomischen Auswirkungen im Zusammenhang mit dem reduzierten Finanzierungsbedarf der AHV zu relativieren. Die langfristigen Perspektiven bleiben düster und der Finanzierungsbedarf dürfte demografiebedingt weiter steigen. Dank den Massnahmen dieser Vorlage dürfte der Finanzierungsbedarf jedoch etwas geringer ausfallen.
6³ Schätzungen des BSV
6⁴ Gabriel et al. (2022), Abbildung 8, S. 65
6.5 Auswirkungen auf die Gesellschaft
6.5.1 Anspruch aller Eltern mit Kindern unter 25 Jahren und Streichung lebenslanger Renten
Zu den sozialen Konsequenzen der Reform der Hinterlassenenrente gehören vor allem die möglichen Effekte auf die finanzielle Situation verschiedener Haushalte. Eine zentrale soziale Folge der Vorlage ist, dass zwar lebenslange Hinterlassenenrenten und Renten für Kinderlose prinzipiell entfallen, dafür jedoch neu alle Hinterbliebenen mit Kindern unter 25 Jahren - und zwar unabhängig vom Zivilstand - in den Kreis der Anspruchsberechtigten eingeschlossen werden. 6⁵ Wie die Studie von Gabriel et al. (2022) zuletzt zeigte, verfügen unter den alleinerziehenden Witwen, die weder eine Hinterlassenenrente noch andere Leistungen aus der 1. Säule beziehen 6⁶ , rund 42 Prozent über geringe oder sehr geringe finanzielle Mittel (weniger als 60 % des Medianeinkommens), gegenüber 26 Prozent bei alleinerziehenden Frauen, die nicht verwitwet sind und 12 Prozent bei alleinerziehenden Witwen mit Hinterlassenenrenten. Dank der Reform werden alle Hinterbliebenenhaushalte mit Kindern von einer besseren Absicherung profitieren können.
Dank der Rente für den hinterlassenen Elternteil der AHV wird ein Grossteil der Witwen und Witwer mit unterhaltsberechtigten Kindern künftig finanziell etwas bessergestellt sein als die jeweiligen Vergleichsgruppen in der Bevölkerung. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass dem manchmal etwas höheren Einkommen spezifische Kosten gegenüberstehen können, etwa für die Kinderbetreuung während der Erwerbstätigkeit des überlebenden Elternteils. Insgesamt kann also davon ausgegangen werden, dass zwischen Bezügerinnen und Bezügern von Hinterlassenenrenten und Witwen und Witwern ohne Kinder unter 25 Jahren, die keinen Anspruch mehr auf Leistungen haben, eine relative soziale Gleichbehandlung besteht.
6⁵ Im Datensatz WiSiER umfasste sie 171 Haushalte gegenüber 4927 Haushalten mit Leistungen aus der 1. Säule, was nur gut 3 Prozent aller Haushalte von alleinerziehenden Witwen ausmacht (vgl. Gabriel et al. [2022], Tabelle 5, S. 34-35).
6⁶ Gabriel et al. (2022), S. 60
6.5.2 Verbesserung der Situation von verwitweten Vätern
Für verwitwete Väter bringt die Reform einige Änderungen mit sich, aber auch einen geringeren Schutz als mit der Übergangsregelung, die sowohl für verwitwete Männer als auch für verwitwete Frauen lebenslange Renten vorsieht. Neu werden unverheiratete Väter während der Kinderbetreuungsphase und der Ausbildungsphase der Kinder unterstützt. Im Gegensatz zur Übergangslösung nach dem Urteil des EGMR erhalten verheiratete bzw. geschiedene Witwer jedoch keine lebenslange Rente mehr.
Die im Jahr 2022 durchgeführte Studie von Rainer Gabriel et al. hat allerdings gezeigt, dass eine Verwitwung für die meisten Männer im Erwerbsalter keinen wesentlichen Einfluss auf die finanzielle Situation hat, weil damit sehr viel seltener das Haupteinkommen des Haushalts wegfällt. Dennoch bedeutet die Hinterlassenenrente für einige eine wichtige Unterstützung: Durch sie waren im Jahr 2015 alleinerziehende Witwer seltener in einer Einkommenssituation mit geringen oder sehr geringen Mitteln (weniger als 60 % des Medianeinkommens) als jene ohne Rentenanspruch (10,8 % gegenüber 16,4 %). ⁶7
Generell erhalten unverheiratete Väter durch die Reform bessere Möglichkeiten, während der Kinderbetreuungsphase und der Ausbildungsphase der Kinder die Erwerbsarbeit zu reduzieren bzw. die Kosten für externe Kinderbetreuung zu decken und nach der Volljährigkeit des jüngsten Kindes allenfalls ihr Erwerbspensum wieder zu steigern.
⁶7 Gabriel et al. (2022), S. 58
6.5.3 Hinterbliebene Eltern erhalten unabhängig von ihrem Zivilstand Leistungen
Wichtige soziale Auswirkungen hat die Reform auf unverheiratete und nicht geschiedene Witwen und Witwer mit Kindern. Unverheiratete Paare mit einem Kind unter 25 Jahren machen heute noch eine relative Minderheit von rund einem Zehntel aller Haushalte mit Kindern unter 25 Jahren aus. Ihr Anteil ist jedoch fast doppelt so hoch wie im Jahr 2010. ⁶8 Es gibt zudem Hinweise, dass dieser Anteil weiter zunehmen wird: So befinden sich laut Bundesamt für Statistik (BFS) unter den Jüngeren (25-34 Jahre) anteilsmässig bereits deutlich mehr unverheiratete Paare mit mindestens einem Kind (14 %) als dies in älteren Generationen der Fall ist (1,3 % bei den 55- bis 80-Jährigen). ⁶9
Eine Studie zur wirtschaftlichen Situation von Familien in der Schweiz hat aufgezeigt, dass der Rückgang des Haushaltseinkommens von Paaren nach der Geburt des ersten Kindes nicht vom Zivilstand abhängt. Diese Einkommensveränderung wiederum ist die Folge eines angepassten Erwerbsverhaltens vor allem der Mütter. Der Anteil der Haushalte, in denen die Frau weniger als 10 Prozent zum Erwerbseinkommen beisteuert, steigt nach einer Geburt von 10 auf 27 Prozent. Das Erwerbseinkommen der Frauen ist in der überwiegenden Zahl der Familienhaushalte (86 %) kleiner oder sogar deutlich kleiner als das der Männer. Dagegen ist die Aufteilung des Erwerbseinkommens bei (verheirateten und unverheirateten) kinderlosen Paaren fast ausgeglichen. Letztere können dadurch ihr Haushaltseinkommen in der Regel während des gesamten Erwerbslebens weiter steigern. 7⁰
Mit der Reform der AHV-Hinterlassenenrenten werden im Jahr 2035 schätzungsweise 2220 unverheiratete Mütter und 900 unverheiratete Väter eine Rente beziehen. 7¹ Gesamtgesellschaftlich fällt diese Erweiterung der Anspruchsgruppe eher wenig ins Gewicht. Individuell kann ein Rentenbezug je nach Einkommens- und Haushaltssituation jedoch von grosser Bedeutung sein.
⁶8 BFS, Strukturerhebung
⁶9
Bericht Familien in der Schweiz
(
2021
), S. 16
7⁰ Bischof et al. (2023), S. 32-33, 55 -59
7¹ Schätzungen des BSV anhand zu erwartender Todesfälle in der Schweiz. Diese Schätzung berücksichtigt nicht die Tatsache, dass die Änderung der AHV die Heiratsprävalenz unter den Eltern verringern könnte.
6.5.4 Höheres Prekaritätsrisiko für ältere Hinterbliebene, die keine AHV-Leistungen mehr erhalten
Wie schon erwähnt verlieren einige Gruppen mit der Reform ihren Anspruch auf eine AHV-Hinterlassenenrente. Betroffen sind insbesondere ältere Hinterbliebene im Erwerbsalter ohne Kinder unter 25 Jahren. Teilweise dürfte sich für sie das Risiko erhöhen, in eine prekäre finanzielle Situation zu geraten, wenn eine Wiederaufnahme oder Steigerung der Erwerbstätigkeit nach Ableben des Partners nicht in ausreichendem Masse gelingt, um selbstständig für den eigenen Lebensunterhalt aufzukommen. Frauen sind hiervon besonders betroffen. Dies hängt eng mit der ungleichen Aufteilung der Erwerbstätigkeit in den Familien zusammen: Frauen sind weniger auf dem Arbeitsmarkt tätig und arbeiten viel häufiger Teilzeit, sodass Mütter gegenüber Vätern längerfristig eine Einkommenseinbusse von 67 Prozent zu verzeichnen haben. 7² Bei einer Verwitwung entfällt für diese Frauen somit ein wesentlich bedeutenderer Teil des Haushaltseinkommens. 7³
Diese Gruppe wird sich im Jahre 2035 zahlenmässig auf mehr als 10 000 Personen belaufen. Insbesondere für die alleinlebenden Witwen stellen Hinterlassenenrenten ein wichtiges Element ihrer finanziellen Absicherung dar. Im Vergleich zu Witwen mit Hinterlassenenrente (13 % verfügen über weniger als 60 % des Medianeinkommens) haben Witwen ohne jegliche Leistungen aus der 1. Säule (24 %) wie auch alleinlebende nicht verwitwete Frauen über 50 Jahren (21 %) ein stark erhöhtes Risiko finanzieller Prekarität. 7⁴
Entsprechend sind hinterbliebene Mütter ohne Hinterlassenenrente als Risikogruppen für finanzielle Prekarität aufgrund einer Verwitwung identifiziert worden. 7⁵ Dieses Risiko gilt generell für alle Personen (auch Väter), die nach der Geburt des ersten Kindes vermehrt Betreuungsaufgaben übernehmen und dafür ihre Erwerbstätigkeit reduzieren.
Ob und inwieweit das Erwerbsleben wieder aufgenommen oder intensiviert werden kann, wenn bei oder nach Ableben des Partners oder der Partnerin das jüngste Kind das 25 Lebensjahr überschritten hat, hängt dabei von diversen Faktoren ab (vgl. Ziff. 6.3.1). Feststeht, dass eine starke Reduktion der Erwerbstätigkeit nach der Geburt des ersten Kindes sich auch langfristig auf die Erwerbsverläufe auswirkt: Die Er-werbseinkommen von Müttern erhöhen sich auch nach der Kinderbetreuungsphase kaum wieder. 7⁶ Dabei ist allerdings nicht abschliessend geklärt, inwieweit der Verzicht auf Erwerbstätigkeit der Mütter von den Elternpaaren gewünscht ist oder die (stärkere) Integration in den Arbeitsmarkt trotz dahingehender Ambitionen nicht gelingt.
Das Erwerbsverhalten von Müttern nach Trennungen und Scheidungen zeigt indes, dass das Erwerbseinkommen wieder gesteigert werden kann, wenngleich das Risiko einer prekären Einkommenssituation erhöht bleibt. Übertragen auf den Fall einer Verwitwung kann daher angenommen werden, dass Hinterbliebene, die für die Kinderbetreuung ihr Erwerbsleben reduziert haben, nach Abschluss der Betreuungs- und Ausbildungsphase zwar durchaus Möglichkeiten einer finanziell ausreichenden Erwerbsintegration haben, diese aber mit zunehmendem Alter oder zunehmender Dauer des Erwerbsunterbruchs begrenzt sind.
7² Bischof et. al. (2023), S. 72
7³ Gabriel et al. (2022), S. 63-64
7⁴ Gabriel et al. (2022) S. 60
7⁵ Wanner und Fall (2012); Gabriel et al. (2022), S. 58-59
7⁶ Bischof et al. (2023), S. 177
6.5.5 Schritt in Richtung einer gerechteren, gleichberechtigteren und verantwortungsvolleren Gesellschaft
Die Reform stellt die Rechtsgleichheit von Männern und Frauen in der AHV her und setzt die Ansprüche von unverheirateten Paaren mit Kindern denen verheirateter bzw. geschiedener Paare gleich. Damit sind künftig alle unter 25-jährigen Kinder eines verstorbenen Elternteils gleichgestellt, da der andere Elternteil, der aufgrund von Betreuungsaufgaben seine Erwerbsbeteiligung oft nicht erhöhen kann oder mit höheren externen Betreuungskosten konfrontiert ist, zukünftig immer eine Kompensation in Form einer Rente für den hinterlassenen Elternteil der AHV erhalten wird. Insgesamt passen sich die Sozialversicherungen dadurch den gesellschaftlichen Entwicklungen an.
Neben der Verwirklichung der Rechtsgleichheit von Familien mit Kindern bis zum Alter von 25 Jahren berücksichtigt die Revision auch faktische Ungleichheiten, insbesondere die langfristigen Auswirkungen der Familiengründung auf das Erwerbsverhalten von Frauen. Die Revision mildert die sozialen Auswirkungen der Verwitwung mit dem auf zwei Jahre befristeten Rentenanspruch, wenn keine Kinder unter 25 Jahren vorhanden sind, und durch andere Ausgleichsmechanismen. Dazu gehört die Möglichkeit für verheiratete oder geschiedene Hinterbliebene (Männer oder Frauen) mit Kindern über 25 Jahren, Ergänzungsleistungen zu beziehen, wenn sie aufgrund der Verwitwung von prekären Verhältnissen bedroht sind und das Alter von 58 Jahren erreicht haben (Härtefallregelung). Dank diesen Reformmassnahmen werden gezielt Härtefälle unterstützt.
Durch den Wandel der Rollenbilder und Familienformen wird sich die Aufteilung von Erwerbs- und unbezahlter Betreuungsarbeit zwischen den Geschlechtern tendenziell verändern. Mehr Väter werden im Falle des Ablebens ihrer Partnerin auf eine Hinterlassenenrente während der Kinderbetreuungsphase und der Ausbildungsphase der Kinder angewiesen sein beziehungsweise die Möglichkeit haben, als Witwer familiäre Betreuungsaufgaben wahrzunehmen. Umgekehrt werden auch Mütter aufgrund ihrer steigenden Erwerbsbeteiligung zunehmend in der Lage sein, ohne grössere finanzielle Nachteile auf eine lebenslange Witwenrente zu verzichten.
Grundsätzlich werden nur noch Mütter und Väter mit Kindern unter 25 Jahren eine Rente für den hinterlassenen Elternteil der AHV erhalten, da sie diejenige Gruppe bilden, die durch einen Todesfall der Partnerin oder des Partners den grössten finanziellen Unterstützungsbedarf hat. Hinzu kommen Massnahmen für Härtefälle in den Ergänzungsleistungen. Insgesamt wird mit der Reform die Hinterlassenenversicherung so modernisiert, dass sie den gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung trägt und gleichzeitig gezielt die Personengruppen mit dem grössten Unterstützungsbedarf finanziell absichert.
6.6 Andere Auswirkungen
Mit weiteren Auswirkungen ist nicht zu rechnen.
7 Rechtliche Aspekte
7.1 Verfassungsmässigkeit
Die Vorlage stützt sich auf Verfassungsnormen, die dem Bund die Befugnis zur Gesetzgebung auf dem Gebiet der Sozialversicherungen geben (Art. 112 der Bundesverfassung [BV] 7⁷ für die AHV/IV; Art. 112 a BV für die Ergänzungsleistungen; Art. 117 BV für die Unfallversicherung).
Artikel 112 a BV ist im Lichte der Praxis des Gesetzgebers im Rahmen der 10. AHV-Revision auszulegen. ⁷8 Denn der Gesetzgeber erachtete die EL nicht in allen Fällen als rein akzessorische Leistungen und es wurde die Möglichkeit eingeräumt, dass EL auch an Personen ohne Anspruch auf eine AHV- oder IV-Rente ausgerichtet werden könnten (vgl. Botschaft vom 14. November 2001 ⁷9 zur Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen).
7⁷ SR 101
⁷8 BBl 1990 II 1 S. 60
⁷9 BBl 2002 2291 S. 2471
7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz
7.2.1 Instrumente der Vereinten Nationen
Der Internationale Pakt vom 16. Dezember 1966 8⁰ über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Pakt I) ist für die Schweiz am 18. September 1992 in Kraft getreten. In Artikel 9 sieht er das Recht eines jeden auf soziale Sicherheit vor; diese schliesst die Sozialversicherungen ein. Ausserdem hat jeder Vertragsstaat zu gewährleisten, dass die im Pakt verkündeten Rechte ohne jegliche Diskriminierung, insbesondere aufgrund des Geschlechts, ausgeübt werden (Art. 2 Abs. 2).
8⁰ SR 0.103.1
7.2.2 Instrumente der Internationalen Arbeitsorganisation
Die Schweiz hat das Übereinkommen Nr. 128 vom 29. Juni 1967 8¹ über Leistungen bei Invalidität und Alter und an Hinterbliebene am 13. September 1977 ratifiziert. Teil IV betrifft die Hinterlassenenleistungen. Das Übereinkommen definiert den gedeckten Fall und legt den prozentualen Anteil der zu schützenden Personen, die Anspruchsvoraussetzungen sowie die Höhe und die Dauer der Leistungen fest.
Die Schweiz hat das Übereinkommen Nr. 102 vom 28. Juni 1952 8² über die Mindestnormen der Sozialen Sicherheit am 18. Oktober 1977 ratifiziert. Teil VI betrifft die Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten und sieht Leistungen im Fall des Todes des Unterhaltspflichtigen vor.
8¹ SR 0.831.105
8² SR 0.831.102
7.2.3 Instrumente des Europarates
Die Schweiz hat die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit vom 16. April 1964 8³ am 16. September 1977 ratifiziert. Die Schweiz hat insbesondere Teil X über die Leistungen an Hinterbliebene angenommen. Dieser Teil definiert den gedeckten Versicherungsfall und legt den prozentualen Anteil der zu schützenden Personen, die Anspruchsvoraussetzungen sowie die Höhe und die Dauer der Leistungen fest. Die Schweiz hat ausserdem Teil VI angenommen. Dieser betrifft die Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten und sieht Leistungen im Fall des Todes des Unterhaltspflichtigen vor.
8³ SR 0.831.104
7.2.4 Recht der Europäischen Union, anwendbar aufgrund internationaler Abkommen der Schweiz
Die Vorlage ist mit den Verpflichtungen vereinbar, die die Schweiz im Rahmen des Abkommens vom 21. Juni 1999 8⁴ zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit sowie im Rahmen des Übereinkommens vom 4. Januar 1960 8⁵ zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA-Übereinkommen) eingegangen ist. Aufgrund des Freizügigkeitsabkommens mit der EU sowie des revidierten EFTA-Übereinkommens und gemäss Artikel 153 a AHVG wendet die Schweiz die Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 8⁶ sowie (EG) Nr. 987/2009 8⁷ an.
Diese beiden Verordnungen betreffen lediglich die mitgliedstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit. Sie basieren auf den internationalen Grundsätzen der Koordinierung wie Gleichbehandlung zwischen den eigenen Staatsangehörigen und Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten, die Besitzstandswahrung und die Zahlung von Leistungen im gesamten Hoheitsgebiet der EU. Das EU-Recht sieht keine Harmonisierung der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit vor. Die Mitgliedstaaten können die Konzeption, den persönlichen Geltungsbereich, die Finanzierungsmodalitäten und die Organisation ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unter Beachtung der europarechtlichen Koordinationsgrundsätze selber festlegen.
8⁴ SR 0.142.112.681
8⁵ SR 0.632.31
8⁶ Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, in der für die Schweiz gemäss Anhang II FZA verbindlichen Fassung (eine unverbindliche, konsolidierte Fassung dieser Verordnung ist veröffentlicht in SR 0.831.109.268.1 ) sowie in der für die Schweiz gemäss Anlage 2 Anhang K des EFTA-Übereinkommens verbindlichen Fassung.
8⁷ Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, in der für die Schweiz gemäss Anhang II FZA verbindlichen Fassung (eine unverbindliche, konsolidierte Fassung dieser Verordnung ist veröffentlicht in SR 0.831.109.268.11 ) sowie in der für die Schweiz gemäss Anlage 2 Anhang K des EFTA-Übereinkommens verbindlichen Fassung.
7.2.5 Schlussfolgerungen zur Vereinbarkeit der Vorlage mit dem internationalen Recht
Vereinbarkeit mit dem Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation und der Europäischen Ordnung
Das Übereinkommen Nr. 128 und die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit definieren den gedeckten Fall als den Verlust der Unterhaltsmittel, den die Witwe oder die Kinder infolge des Todes des Ernährers erleiden (Art. 21 Abs. 1 bzw. 60 Abs. 1). Die Witwe wird in beiden Texten als Ehefrau definiert, für deren Unterhalt der Ehemann sorgt (Art. 1 Bst. g). Diese Jahrzehnte alten Texte sehen zwar keine Leistungen für Witwer vor, aber man muss sie vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und gesetzlichen Entwicklungen lesen und interpretieren. Insofern ist davon auszugehen, dass auch Witwer Anspruch auf Leistungen haben.
Beide Instrumente lassen den Vertragsstaaten einen gewissen Spielraum, indem sie ihnen ermöglichen, die Voraussetzungen für den Rentenanspruch festzulegen. Die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit legt fest, dass der Leistungsanspruch der Witwe davon abhängig gemacht werden kann, dass sie nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften als unfähig gilt, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen (Art. 60 Abs. 1). Das Übereinkommen Nr. 128 schreibt seinerseits vor, dass der Anspruch einer Witwe auf eine Leistung an Hinterbliebene vom Erreichen eines vorgeschriebenen Alters abhängig gemacht werden kann, wobei aber keine Altersbedingung zulässig ist, wenn die Witwe für ein unterhaltsberechtigtes Kind des Verstorbenen sorgt (Art. 21 Abs. 2 und 3 Bst. b). Da davon ausgegangen werden kann, dass Witwen ohne unterhaltsberechtigte Kinder und damit im weiteren Sinne auch überlebende Ehegattinnen und Ehegatten ohne unterhaltsberechtigte Kinder in der Lage sind, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, steht es im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz, keine Hinterlassenenrente an diese Personenkategorie auszurichten. Der vorliegende Entwurf, der die Renten für den hinterlassenen Elternteil mit der Kinderbetreuungs- und -erziehungszeit verknüpft, ist somit mit den beiden Instrumenten vereinbar. Zudem sind angemessene Übergangsbestimmungen vorgesehen, um den sozialen Schutz älterer überlebender Eheleute sicherzustellen. Sollten sie sich in einer prekären finanziellen Situation befinden, wären sie neu über die EL abgesichert. Verwitwete Personen, die keine unterhaltsberechtigten Kinder mehr haben, erhalten ausserdem während zwei Jahren eine Übergangsrente. Was die Aufhebung der Rente für den hinterlassenen Elternteil bei Vollendung des 25. Altersjahres des jüngsten Kindes anbelangt, so ist diese Altersgrenze mit der in beiden Instrumenten enthaltenen Definition des Begriffs Kind (Art. 1 Bst. h bzw. Art. 1 Abs. 1 Bst. h) ebenfalls vereinbar. Überdies ist das auch das Alter, in dem Kinder im schweizerischen Zivilrecht nicht mehr als «unterhaltsberechtigt» gelten.
Die Vorlage ermöglicht es, die vom EGMR in seinem definitiven Urteil vom 11. Oktober 2022 in der Sache Beeler gegen die Schweiz (vgl. oben, Ziff. 1.3) festgestellte Verletzung der EMRK - dauerhaft - zu beenden.
In Bezug auf die Unfallversicherung ist die geplante Angleichung der Anspruchsvoraussetzungen für Witwen- und Witwer mit Teil VI des Übereinkommens Nr. 102 und der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit vereinbar.
Vereinbarkeit mit dem Freizügigkeitsabkommen
Die Hinterlassenenrenten fallen in den materiellen Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 883/2004. Die Verordnung, die in den Beziehungen der Schweiz mit der EU und der EFTA gilt, sieht vor, dass die Leistungen auch dann ungekürzt ausbezahlt werden müssen, wenn der Wohnsitz in einem anderen Staat liegt (Grundsatz des Leistungsexports).
In Bezug auf die Rente für den hinterlassenen Elternteil, die sich auf die Betreuungs- und Erziehungszeit nach Vollendung des 25. Altersjahres des Kindes bezieht, sieht die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vor, dass, wenn nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse Rechtswirkungen haben, dieser Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen entsprechenden Sachverhalte oder Ereignisse berücksichtigt, als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären (Grundsatz der Gleichstellung von Sachverhalten oder Ereignissen).
Ist eine Leistung vom Anspruch des Kindes auf eine Hilflosenentschädigung der schweizerischen Invalidenversicherung und vom Anspruch des betreuenden verwitweten Elternteils auf Betreuungsgutschriften abhängig, so sind diese Voraussetzungen auch erfüllt, wenn in einem EU-/EFTA-Staat ein Anspruch auf vergleichbare Leistungen (Hilflosenentschädigung, Betreuungsgutschriften) besteht (Grundsatz der Gleichstellung von Sachverhalten oder Ereignissen).
Die Vorlage stellt diese Grundsätze nicht in Frage.
Vereinbarkeit mit Abkommen mit Nicht-EU/EFTA-Staaten
In der Beziehung mit Staaten ausserhalb der EU/EFTA, mit denen die Schweiz ein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat, müssen Hinterlassenenleistungen auch dann ausgerichtet werden, wenn die begünstigte Person ihren Wohnsitz ausserhalb der Schweiz hat. Die Sozialversicherungsabkommen mit diesen Staaten sehen diesbezüglich keine Einschränkungen vor.
Schlussfolgerung
Die Vorlage ist somit mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.
7.3 Erlassform
Gemäss Artikel 164 Absatz 1 BV sind alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen. Die vorliegende Änderung des AHVG erfolgt demzufolge im normalen Gesetzgebungsverfahren.
7.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse
Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV sieht zum Zweck der Begrenzung der Ausgaben des Bundes vor, dass Subventionsbestimmungen sowie Verpflichtungskredite und Zahlungsrahmen, die neue einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken oder wiederkehrende Ausgaben von mehr als 2 Millionen Franken nach sich ziehen, in jedem der beiden Räte der Zustimmung der Mehrheit aller Mitglieder bedürfen (qualifiziertes Mehr).
Mit der Vorlage werden keine neuen Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen, die einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken oder wiederkehrende Subventionen von mehr als 2 Millionen Franken nach sich ziehen. Die Vorlage ist somit nicht der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV) unterstellt.
7.5 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen
AHVG
Artikel 154 Absatz 2 AHVG gibt dem Bundesrat die nötige gesetzliche Grundlage, um Massnahmen zur Durchführung des AHVG zu treffen. Der Entwurf sieht folgende Rechtsetzungsdelegationen an den Bundesrat vor:
-
Regelung des Anspruchs auf die Rente für den hinterlassenen Elternteil für Frauen, die beim Tod des anderen Elternteils schwanger sind (Art. 23 Abs. 7 E-AHVG);
-
Sonderbestimmungen für die Ausrichtung einer Rente für den hinterlassenen Elternteil gemäss Artikel 20 ATSG, für missbräuchliche Ausnahmefälle, in denen der überlebende Elternteil in keiner Weise für das Kind sorgt (Art. 23 Abs. 8 E-AHVG);
-
Regelung für das Zusammentreffen mehrerer Renten für den hinterlassenen Elternteil im Sinne von Artikel 23 E-AHVG (Art. 24 a Abs. 2 E-AHVG).
IVG
Der Entwurf sieht folgende Rechtsetzungsdelegationen an den Bundesrat vor:
-
Bestimmungen zu den Modalitäten bei Erlöschen des Anspruchs auf die Hinterlassenenrente der AHV (Art. 43 Abs. 3 E-IVG).
ELG
Der Entwurf sieht folgende Rechtsetzungsdelegationen an den Bundesrat vor:
-
Bestimmungen zur Anrechnung von Einkünften aus einer zumutbaren Erwerbstätigkeit bei EL-Beziehenden und ihren Ehegattinnen bzw. Ehegatten (Art. 9 Abs. 5 Bst. c E-ELG);
-
Bestimmungen zur Regelung der Beitragsgewährung und Zusprechung der Beiträge an eine andere gesamtschweizerisch tätige Organisation, um zu verhindern, dass die Finanzhilfen ungenutzt bleiben, wenn eine Organisation ihre Tätigkeit aufgibt (Art. 17 Abs. 5 E-ELG).
7.6 Datenschutz
Die vorgeschlagenen Massnahmen haben datenschutzrechtlich keine Auswirkungen.
Literaturverzeichnis
Severin Bischof, Tabea Kaderli, Lena Liechti und Jürg Guggisberg, Die wirtschaftliche Situation von Familien in der Schweiz. Die Bedeutung von Geburten sowie Trennungen und Scheidungen. Beiträge zur sozialen Sicherheit, Forschungsbericht 2023/1. Bern (zit.: Bischof et al . [2023]).
Gabriel Rainer, Uwe Koch und Philippe Wanner, Die wirtschaftliche Situation von Witwen, Witwern und Waisen
,
Bern, BSV, 2022, Bericht des BSV 6/22
(zit.: Gabriel
et al.
[
2022])
.
Philippe Wanner und Sarah Fall, La situation économique des veuves et des veufs , Bern, BSV, 2012, Bericht des BSV 5/12 (zit.: Wanner und Fall [2012]).
BFS, Familien in der Schweiz - Statistischer Bericht 2021 , Neuenburg, BFS, 2021, abrufbar unter:
www.bfs.admin.ch
> Statistiken > Bevölkerung > Familien > Übersicht > Publikationen > Familien in der Schweiz. Statistischer Bericht 2021 (zit. Bericht Familien in der Schweiz [2021]).
Anhang 1
Finanzperspektiven der AHV
Die beiden Tabellen zu den Finanzperspektiven der AHV (Tabellen 1.1 und 2.1) geben Aufschluss über die Entwicklung der Jahresergebnisse der Versicherung (Ausgaben, Einnahmen, Umlageergebnis) und des Kapitalkontos der AHV (Anlageertrag, Betriebsergebnis, Stand des AHV-Ausgleichsfonds Ende Jahr). In Tabelle 1.1 werden die Finanzperspektiven der AHV nach geltender Ordnung (inkl. AHV 21 und 13. Altersrente) für die Jahre 2023-2035 aufgezeigt. Der AHV-Finanzhaushalt in Tabelle 2.1 berücksichtigt die finanziellen Auswirkungen der Reformmassnahmen auf die Ausgaben und Einnahmen der AHV. In Tabelle 3.1 sind schliesslich die finanziellen Auswirkungen der verschiedenen Massnahmen der vorliegenden Reform auf die Ausgaben und Einnahmen der AHV von 2023-2035 festgehalten. Die Tabellen 1.2, 2.2 und 3.2 übernehmen die Daten der Tabellen 1.1, 2.1 und 3.1 unter Berücksichtigung der Finanzierung der 13. Altersrente und der Senkung des Bundesbeitrags, wie sie in der Botschaft zur Umsetzung und Finanzierung der Initiative für eine 13. AHV-Rente vom 16. Oktober 2024 8⁸ vorgeschlagen werden.
Tabelle 1.1
Finanzperspektiven der AHV gemäss geltender Ordnung (inkl. AHV 21 und 13. Altersrente)
Keine Änderung der Mehrwertsteuer und des Bundesbeitrags
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Tabelle 1.2
Finanzperspektiven der AHV gemäss geltender Ordnung (inkl. AHV 21 und 13. Altersrente)
Anhebung der Mehrwertsteuer um 0,7 Prozentpunkte und temporäre Senkung des Bundesbeitrags auf 19,5 Prozent ab 2026
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Tabelle 2.1
Finanzperspektiven der AHV unter Berücksichtigung der Revision der Hinterlassenenrenten
Keine Änderung der Mehrwertsteuer und des Bundesbeitrags
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Tabelle 2.2
Finanzperspektiven der AHV unter Berücksichtigung der Revision der Hinterlassenenrenten
Anhebung der Mehrwertsteuer um 0,7 Prozentpunkte und temporäre Senkung des Bundesbeitrags auf 19,5 Prozent ab 2026
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Tabelle 3.1
Auswirkungen der Revision auf die Finanzen der AHV
Keine Änderung der Mehrwertsteuer und des Bundesbeitrags
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Tabelle 3.2
Auswirkungen der Revision auf die Finanzen der AHV
Anhebung der Mehrwertsteuer um 0,7 Prozentpunkte und temporäre Senkung des Bundesbeitrags auf 19,5 Prozent ab 2026
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8⁸ BBl 2024 2747
Anhang 2
Übersichtstabelle über die verwendeten Daten
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| Zitat, Fundstelle | Quelle, Herleitung, Annahmen | Letzte Aktualisierung | Bemerkungen |
|---|---|---|---|
| S. 51: Zwischen 2017 und 2021 gab es in der Schweiz im Jahresdurchschnitt etwas weniger als 600 unverheiratete Eltern, deren jüngstes Kind unter 25 Jahre alt war und bei denen der andere Elternteil verstorben ist. | Auswertung STATPOP 2017-2021 (BFS) durch BSV. | 2024 | |
| S. 51: Tabelle 6-1 | Berechnungen des BSV: 1. Mikrosimulation gestützt auf STATPOP 2017-2021 (BFS) und Rentenregister 2017-2022 der 1. Säule (ZAS), um aktuellen Effekt der Reformmassnahmen zu schätzen. 2. Projektion gestützt auf Bevölkerungsszenario A-00-2020 (BFS) und die Eckwerte für die Finanzplanung der EFV (Stand 17.6.2024). 3. Pauschales Hinzurechnen von Beziehenden und Renten im Ausland gestützt auf Auslandanteil gemäss Rentenregister 2019-2023. | 2024 | Für die Projektion werden die versicherungstechnischen Grundlagen (Wahrscheinlichkeit, verheiratet zu sein oder Kinder zu haben, Alter der Hinterbliebenen etc.) konstant gehalten. Ebenso der durchschnittliche Betrag der Hinterlassenenrente relativ zur Minimalrente. Ausnahme: Kalenderjahrabhängige Sterbewahrscheinlichkeiten gemäss Szenario A-00-2020. |
| S. 52: Angaben im Text zur Anzahl betroffener Personen | Berechnungen des BSV gestützt auf die Berechnungen zu Tabelle 6-1 und das EL-Register 2023. Letzteres wird verwendet, um die EL-Quoten zu Witwen- und Witwerrenten sowie den durchschnittlicher EL-Betrag der EL-Fälle zu Witwen- und Witwerrenten zu bestimmen. | 2024 | Für die Projektion werden die EL-Quoten und der durchschnittliche EL-Betrag konstant gehalten. |
| S. 54: Danach werden die Einsparungen beim Bundesbeitrag kontinuierlich zunehmen und im Jahr 2032 rund 103 Millionen betragen. | Die Einsparungen beim Bundesbeitrag entsprechen 20,2 % der totalen Reduktion der Ausgaben der AHV gemäss Tabelle 6-1. | 2024 |
Bundesrecht
Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (Anpassung der Hinterlassenenrenten)
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