Botschaft zur Änderung des Kriegsmaterialgesetzes
Botschaft zur Änderung des Kriegsmaterialgesetzes
(Aufnahme einer Abweichungskompetenz für den Bundesrat)
vom 12. Februar 2025
Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren
Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, einen Entwurf zur Änderung des Kriegsmaterialgesetzes ¹ .
Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben:
| 2023 | M | 23.3585 | Änderung des Kriegsmaterialgesetzes (S 28.9.2023, SiK-S; N 18.12.2023) |
Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
| 12. Februar 2025 | Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Karin Keller-Sutter Der Bundeskanzler: Viktor Rossi |
Übersicht
Der Entwurf zur Änderung des Kriegsmaterialgesetzes sieht die Aufnahme eines neuen Gesetzesartikels vor, der dem Bundesrat die Kompetenz einräumt, im Falle ausserordentlicher Umstände zur Wahrung der aussen- oder der sicherheitspolitischen Interessen des Landes von den Bewilligungskriterien für Auslandsgeschäfte abzuweichen. Der Bundesrat wäre auch weiterhin gehalten, die aussenpolitischen Grundsätze zu wahren und die internationalen Verpflichtungen der Schweiz zu erfüllen, auch im Bereich der Neutralität.
Ausgangslage
Mit dem Entwurf zur Änderung des Kriegsmaterialgesetzes erfüllt der Bundesrat den Auftrag, den ihm das Parlament durch die Annahme der Motion 23.3585 der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerates am 18. Dezember 2023 erteilt hat. Die Motion verlangt, dass der Vorschlag ins Gesetz aufgenommen wird, den der Bundesrat im März 2021 in seinem indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer (Korrektur-Initiative)» unterbreitet hatte, der jedoch damals im Parlament keine Mehrheit gefunden hatte.
Inhalt der Vorlage
Durch die Aufnahme einer Abweichungskompetenz in das Kriegsmaterialgesetz soll der Bundesrat einen Handlungsspielraum erhalten, um die Ausfuhrpolitik für Kriegsmaterial an sich ändernde aussen- und sicherheitspolitische Gegebenheiten anzupassen. Dies würde es zudem erlauben, im Inland eine an die Bedürfnisse der Schweizer Landesverteidigung angepasste industrielle Kapazität aufrechtzuerhalten und die aussen- oder die sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz zu wahren.
Die Anwendung der Abweichungskompetenz könnte zum Beispiel erforderlich werden, um im Rahmen der industriellen Zusammenarbeit zwischen Schweizer Zulieferbetrieben und Rüstungsunternehmen in Partnerstaaten, die plötzlich in einen bewaffneten Konflikt verwickelt sind, die Ausfuhr bestimmter Einzelteile und Baugruppen aufrechterhalten zu können. So wäre die Schweiz auch in der Lage, die Rechtssicherheit von Offset-Geschäften im Zusammenhang mit Käufen von Rüstungsgütern der Schweizer Armee zu verbessern.
Der Bundesrat wäre weiterhin gehalten, die aussenpolitischen Grundsätze zu wahren und die internationalen Verpflichtungen der Schweiz zu erfüllen. Zu diesen Verpflichtungen sind insbesondere die Einhaltung des Vertrags über den Waffenhandel, das Neutralitätsrecht, das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte zu zählen. Somit könnte die Abweichungskompetenz nicht für Kriegsmaterialausfuhren geltend gemacht werden, die den relevanten neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen im Kontext eines internationalen bewaffneten Konflikts widersprächen. Darüber hinaus ist sie nicht vorgesehen, um Ausfuhren in Bestimmungsländer zu bewilligen, für welche schon heute auf Grundlage des bestehenden Rechtsrahmens keine Bewilligungen erteilt werden (z. B. in Länder, die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen). Die Zielsetzung der Abweichungskompetenz liegt in der Aufrechterhaltung der Einbindung der Schweizer Sicherheits- und Rüstungsindustrie in die internationalen Wertschöpfungsketten im Falle ausserordentlicher Umstände und aufgrund aussen- oder sicherheitspolitischer Überlegungen. Im Übrigen dürfte der Bundesrat nur für einen begrenzten Zeitraum von den Bewilligungskriterien abweichen; im Falle einer Anwendung der Abweichungskompetenz ist die Mitwirkung des Parlaments in der Vorlage geregelt.
Botschaft
¹ BBl 2025 651
1 Ausgangslage
1.1 Handlungsbedarf und Ziele
Mit dem Entwurf zur Änderung des Kriegsmaterialgesetzes vom 13. Dezember 1996 ² (KMG) erfüllt der Bundesrat den Auftrag, den ihm das Parlament durch die Annahme der Motion 23.3585 der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerates (SiK-S) am 18. Dezember 2023 erteilt hat. Die Motion beauftragt den Bundesrat, das KMG durch einen Artikel mit folgendem Wortlaut zu ergänzen:
Art. 22b
Abweichung des Bundesrates von den Bewilligungskriterien für Auslandsgeschäfte
¹ Der Bundesrat kann unter Einhaltung der Voraussetzungen in Artikel 22 von den Bewilligungskriterien nach Artikel 22 a abweichen, wenn:
a.
ausserordentliche Umstände vorliegen; und
b.
die Wahrung der aussen- oder der sicherheitspolitischen Interessen des Landes dies erfordert.
² Erfolgt die Abweichung mittels Verfügung, so informiert der Bundesrat die Sicherheitspolitischen Kommissionen der Bundesversammlung spätestens 24 Stunden nach seinem Beschluss.
³ Erfolgt die Abweichung mittels Verordnung, so befristet der Bundesrat diese angemessen; ihre Geltungsdauer beträgt höchstens vier Jahre. Der Bundesrat kann die Geltungsdauer einmal verlängern. In diesem Fall tritt die Verordnung sechs Monate nach dem Inkrafttreten ihrer Verlängerung ausser Kraft, wenn der Bundesrat der Bundesversammlung bis dahin keinen Entwurf für eine Anpassung der Bewilligungskriterien nach Artikel 22 a unterbreitet.
Durch die Aufnahme dieser Abweichungskompetenz in das KMG soll der Bundesrat einen Handlungsspielraum erhalten, der es ihm erlaubt, die Ausfuhrpolitik für Kriegsmaterial an sich ändernde aussen- und sicherheitspolitische Gegebenheiten anzupassen (vgl. Ziff. 1.2). Diese Kompetenz würde zudem erlauben, im Inland eine an die Bedürfnisse der Schweizer Landesverteidigung angepasste industrielle Kapazität aufrechtzuerhalten (gemäss Art. 1 KMG) und die aussen- oder die sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz zu wahren (vgl. Ziff. 1.3), was angesichts der aktuellen Sicherheitslage dem nationalen Interesse der Schweiz entspricht.
Der Bericht der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates vom 7. November 2023 ³ hält fest, dass der Bundesrat über ein Instrument verfügen muss, mit dem er bei Bedarf rasch reagieren kann, wenn Landesinteressen auf dem Spiel stehen. Dieses Instrument soll auch die Aufrechterhaltung der sicherheitsrelevanten Technologie- und Industriebasis (STIB) der Schweiz ermöglichen, die für die Wahrung der Verteidigungsfähigkeit zentral ist. Dasselbe gilt für den Erhalt von Arbeitsplätzen im Hochtechnologiebereich. Dabei muss die Schweiz international - zum Beispiel mit Blick auf Offset-Geschäfte - als zuverlässige Partnerin wahrgenommen werden. Die Kommissionsminderheit ihrerseits ist der Ansicht, die Forderung nach einer Revision des KMG sei knapp zweieinhalb Jahre nach dem Rückzug der Volksinitiative «Gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer (Korrektur-Initiative)» verfrüht.
² SR 514.51
³ Abrufbar unter www.parlament.ch > 23.3585 > Kommissionsberichte.
1.2 Verbindung zur Korrektur-Initiative und zur Entwicklung des geopolitischen Umfelds
Der Bundesrat hatte mit der Botschaft vom 5. März 2021 ⁴ zur Volksinitiative «Gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer (Korrektur-Initiative)» und zum indirekten Gegenvorschlag (Änderung des Kriegsmaterialgesetzes) dem Parlament bereits die Aufnahme einer Abweichungskompetenz ins KMG beantragt. Deshalb beantragte er am 30. August 2023 auch die Annahme der Motion 23.3585 der SiK-S «Änderung des Kriegsmaterialgesetzes»; er möchte die von ihm ursprünglich gewählte Formulierung beibehalten. Bereits damals hat der Bundesrat auf die Notwendigkeit hingewiesen, angesichts der zunehmenden Instabilität der geopolitischen Weltlage über eine Abweichungskompetenz zu verfügen. Er erklärte, dass die Gefahr von internen und internationalen bewaffneten Konflikten global zugenommen habe und auch westliche Länder - als wichtigste Kunden der Schweizer Rüstungsindustrie - künftig in bewaffnete Konflikte im Sinne des KMG verwickelt sein könnten. Der Entwurf des Bundesrates fand im Parlament jedoch keine Mehrheit. So nahm das Parlament den indirekten Gegenvorschlag zur Korrektur-Initiative mit der Änderung vom 1. Oktober 2021 ⁵ des KMG an, ohne die Abweichungskompetenz aufzunehmen. In der Folge wurde die Korrektur-Initiative zurückgezogen ⁶ und die Änderung des KMG trat am 1. Mai 2022 in Kraft.
Während der Behandlung der Korrektur-Initiative nahmen die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine kontinuierlich zu, um schliesslich kaum fünf Monate nach der Schlussabstimmung über den Gegenvorschlag in eine militärische Aggression Russlands zu münden, wodurch Europa in eine Krise stürzte, die nach wie vor anhält. Durch die militärische Aggression sind die in der Vergangenheit vom Bundesrat geäusserten Befürchtungen nun zu einer Realität geworden, mit der ein Umgang gefunden werden muss. Die Eskalation der Situation im Nahen und im Mittleren Osten sowie die zunehmenden Spannungen zwischen China und den USA (insbesondere im Zusammenhang mit dem Status Taiwans) - um nur einige Beispiele zu nennen - geben zudem Anlass zur Sorge, dass in mehr oder weniger naher Zukunft weitere bewaffnete Konflikte ausbrechen könnten.
In diesem Zusammenhang verlangt die Motion 23.3585, dass der Wortlaut des Entwurfs unverändert aufgenommen wird, den der Bundesrat in seinem indirekten Gegenvorschlag zur Korrektur-Initiative unterbreitet hatte. Ziel ist es, dem Bundesrat einen Handlungsspielraum zu verschaffen, damit er rasch und mit ausserordentlichen Massnahmen auf diese neuen geo- und sicherheitspolitischen Realitäten reagieren kann.
Es sei darauf hingewiesen, dass die Initiantinnen und Initianten der Korrektur-Initiative selbst vorgesehen hatten, Ausnahmen aufzunehmen für die Ausfuhr von Kriegsmaterial an in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelte Bestimmungsländer, sofern diese als demokratische Länder betrachtet werden, über ein Exportkontrollregime verfügen, das mit demjenigen der Schweiz vergleichbar ist, oder die ausschliesslich im Rahmen einer Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (UNO) in einen solchen Konflikt verwickelt sind. ⁷
⁴ BBl 2021 623
⁵ AS 2022 226
⁶ BBl 2022 146
⁷ Vgl. BBl 2018 7717
1.3 Sicherheitsrelevante Technologie- und Industriebasis der Schweiz
Artikel 1 KMG betont das Gleichgewicht, das mit dem KMG aufrechterhalten werden soll, indem einerseits durch die Kontrolle der Herstellung und des Transfers von Kriegsmaterial und der entsprechenden Technologie die internationalen Verpflichtungen der Schweiz erfüllt und ihre aussenpolitischen Grundsätze gewahrt werden und andererseits in der Schweiz eine an die Bedürfnisse ihrer Landesverteidigung angepasste industrielle Kapazität aufrechterhalten wird.
Eine leistungsfähige STIB ist in vielen Staaten ein wesentlicher Bestandteil der Rüstungspolitik und somit auch der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Gerade die Schweiz muss diesen Aspekt berücksichtigen, weil sie als neutraler Staat, der keiner Verteidigungsallianz angehören kann, keinen Anspruch auf militärische Unterstützung durch andere Staaten hat. Die Technologiekompetenzen und die industriellen Kapazitäten der Schweiz im Bereich der Sicherheits- und Wehrtechnik bestehen vorwiegend im Wissen und in den Fähigkeiten von Niederlassungen internationaler Rüstungskonzerne, die für ihre leistungsfähigen Produkte zum Beispiel in den Bereichen Munition, Flugabwehr und Landfahrzeuge bekannt sind, sowie von innovativen kleinen und mittleren Privatunternehmen, die sich gegen eine starke internationale Konkurrenz behaupten müssen und technologisch hochwertige Subsysteme oder Einzelteile für militärische und zivile Gesamtsysteme produzieren. Gemeinsam mit den Forschungseinrichtungen in der Schweiz bilden diese Unternehmen die STIB, die damit weit mehr als nur die klassischen Rüstungsunternehmen umfasst.
Die Aufrechterhaltung der STIB ist Gegenstand des Auftrags, den der Bundesrat vom Gesetzgeber erhalten hat. Die Stärkung der STIB, auf die der Bundesrat in seinen Grundsätzen vom 24. Oktober 2018 ⁸ für die Rüstungspolitik des VBS einen starken Fokus legt, ist dem Bundesrat deshalb ein wichtiges sicherheitspolitisches Anliegen. Die STIB soll in der Lage sein, für die Armee und weitere Institutionen des Bundes, die für die staatliche Sicherheit zuständig sind, die zentralen Technologiekompetenzen und Industriefähigkeiten mit den erforderlichen Kapazitäten in der Schweiz sicherzustellen.
Wehrtechnische Autarkie ist für fast alle Staaten unerreichbar. Das gilt auch für die Schweiz. Der Heimmarkt ist für eine ökonomisch lebensfähige Produktion zu klein, weil die Nachfrage der Organe des nationalen Sicherheitsapparats nicht ausreicht. Die STIB-Unternehmen müssen somit exportieren können, soll ihr Geschäftsmodell rentabel sein. Aus diesem Grund ist neben der Beschaffung im Inland und den Offset-Geschäften insbesondere die Exportkontrollpolitik von grosser Bedeutung, weil diese drei Instrumente direkt die Absatzmöglichkeiten der Unternehmen beeinflussen und somit unmittelbare Steuerungsmöglichkeiten zur Stärkung der STIB darstellen. Eine leistungsfähige STIB erfordert wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen, die es den Unternehmen ermöglichen, ihre konkurrenzfähigen Produkte und Dienstleistungen auch international anzubieten. Der Bund schafft mit seiner Gesetzgebung und der Exportkontrollpolitik unter Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen und im Einklang mit seinen aussenpolitischen Grundsätzen die diesbezüglichen Voraussetzungen.
Auf dieser Grundlage soll die STIB dazu beitragen, in definierten Bereichen die rüstungspolitischen Abhängigkeiten der Schweiz vom Ausland zu reduzieren. Eine einheimische Rüstungsindustrie stärkt die Handlungsfreiheit der Schweiz dadurch, dass sie gegenseitige Abhängigkeiten mit den wichtigsten Wirtschafts- und Sicherheitspartnern der Schweiz schafft, beispielsweise, wenn Schweizer STIB-Unternehmen wesentliche Komponenten und Ersatzteile für ausländische Waffensysteme liefern. Ohne diese gegenseitigen Abhängigkeiten und auch ohne die diesen zugrunde liegenden kooperativen Beziehungen mit den betroffenen Partnern wäre im Fall einer schwerwiegenden politisch-militärischer Krise oder gar eines Krieges - also gerade dann, wenn eine gute Ausrüstung und Bewaffnung der Armee wichtiger denn je sind - der Nachschub an Rüstungsgütern aus dem Ausland nicht mehr gewährleistet. Bei einem solchen Szenario müssten ausländische Rüstungsindustrien in erster Priorität die Bedürfnisse ihres Heimstaates und von dessen Partnern erfüllen; den Bedürfnissen eines neutralen Staates wie der Schweiz würde aus nachvollziehbaren Gründen weniger Bedeutung zugemessen. Nur durch gegenseitige Interdependenzen kann die Schweiz sicherstellen, dass sie von ihren Partnern im Krisenfall ebenfalls priorisiert wird.
⁸ BBl 2018 7253
1.4 Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates
Das Vorhaben wurde weder in der Botschaft vom 24. Januar 2024 ⁹ zur Legislaturplanung 2023-2027 noch im Bundesbeschluss vom 6. Juni 2024 1⁰ über die Legislaturplanung angekündigt.
⁹ BBl 2024 525
1⁰ BBl 2024 1440
1.5 Erledigung parlamentarischer Vorstösse
Die vorliegende Änderung des KMG erfüllt die Motion 23.3585 der SiK-S «Änderung des Kriegsmaterialgesetzes». Die Motion kann deshalb abgeschrieben werden.
2 Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren
Der Bundesrat hat das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) am 15. Mai 2024 damit beauftragt, eine Vernehmlassung zu der durch die Motion 23.3585 verlangte Änderung des KMG durchzuführen. Die Vernehmlassung dauerte bis zum 4. September 2024. 1¹
Die Kantone sowie die Konferenz der Kantonsregierungen, die in der Bundesversammlung vertretenen politischen Parteien, die gesamtschweizerischen Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete, die gesamtschweizerischen Dachverbände der Wirtschaft sowie 26 weitere interessierte Kreise wurden für die Vernehmlassung direkt angeschrieben. Insgesamt wurden 71 interessierte Behörden und Organisationen um ihre Stellungnahme gebeten.
2.1 Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens
Nach Ablauf des Vernehmlassungsverfahrens am 4. September 2024 lagen beim WBF 50 Stellungnahmen von Behörden und Organisationen vor. Der Vorentwurf wird mehrheitlich unterstützt (34 zu 16).
Ein Grossteil der Kantone (20 der 22 stellungnehmenden Kantone) sowie die Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr befürworten den Vorentwurf zur Änderung des KMG. Die beiden hauptsächlich vorgebrachten Gründe sind zum einen, dass der Bundesrat zur Wahrung der aussen- oder der sicherheitspolitischen Interessen des Landes über einen ausreichenden Handlungsspielraum verfügen müsse, wenn ausserordentliche Umstände vorliegen, und zum andern, dass eine an die Bedürfnisse der Schweizer Landesverteidigung angepasste industrielle Kapazität aufrechterhalten werden müsse. Der Kanton Basel-Landschaft befürwortet den Vorentwurf, regt allerdings an, den Begriff «ausserordentliche Umstände» zu konkretisieren, da die Terminologie sehr unbestimmt sei, womit grosse Unsicherheiten hinsichtlich der künftig möglichen Anwendung der Abweichungskompetenz verbunden seien. Er empfiehlt zudem, explizit in den Gesetzestext aufzunehmen, dass die Abweichungskompetenz nicht anwendbar ist zur Bewilligung von Ausfuhren in Länder, die Menschenrechte missachten oder in denen ein hohes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt oder an einen unerwünschten Empfänger weitergegeben wird. Er schlägt schliesslich vor, die Geltungsdauer einer allfälligen Verordnung auf maximal zwei Jahre - anstelle der in der neuen Bestimmung vorgesehenen vier Jahre - zu verkürzen. Der Kanton Genf lehnt die Aufnahme einer Abweichungskompetenz in das KMG aufgrund seiner Stellung als Gastkanton des «internationalen Genfs» und seiner Verbundenheit gegenüber der langen Tradition der schweizerischen Neutralität ab. Der Kanton Waadt lehnt sie ebenfalls ab, da die Vorlage nur kurze Zeit nach der Annahme des Gegenvorschlags zur Korrektur-Initiative durch die eidgenössischen Räte im Jahr 2021 erfolgt. Die Kantone Basel-Stadt, Bern, Jura und Zürich haben keine Stellungnahme eingereicht.
Die sechs politischen Parteien, die Stellung genommen haben, sind sich uneinig. Die FDP.Die Liberalen unterstützt die Vorlage aufgrund der Entwicklung der weltweiten geopolitischen Lage, und aufgrund des Ziels der Aufrechterhaltung einer an die Bedürfnisse der Landesverteidigung angepassten industriellen Kapazität in der Schweiz sowie des Erhalts von Arbeitsplätzen im Hochtechnologiebereich. Die Schweizerische Volkspartei befürwortet die Vorlage ebenfalls. Sie erachtet die Einführung der Abweichungskompetenz als wichtigen Schritt zur Stärkung der einheimischen Rüstungspolitik, insbesondere im Rahmen der bewaffneten Neutralität und der Unabhängigkeit der Schweiz vom Ausland. Die Mitte unterstützt die Vorlage, verlangt jedoch vom Bundesrat, sich nur in absoluten Ausnahmefällen auf Abweichungskompetenz zu berufen und dies nur zugunsten von Rechtsstaaten. Auch habe der Bundesrat in einem solchen Fall sein Vorgehen unverzüglich transparent und stringent zu begründen. Die Evangelische Volkspartei, die Sozialdemokratische Partei und die Grünen lehnen die Änderung des KMG entschieden ab. Die Streichung der Abweichungskompetenz im Gegenvorschlag des Bundesrates zur Korrektur-Initiative sei eine zwingende Bedingung für deren Rückzug gewesen. Zudem seien nach Ansicht dieser Parteien die Anwendungsbedingungen der Abweichungskompetenz sehr schwammig, womit dem Bundesrat ein Blankoscheck für die Aushebelung der Exportbestimmungen des KMG ausgehändigt und somit die demokratische Legitimität der Bewilligungskriterien unterminiert würde, die mit der Aufnahme dieser Kriterien ins KMG zur Umsetzung der Korrektur-Initiative erreicht worden sei. In ihren Augen seien ferner in erster Linie die wirtschaftlichen Interessen der Rüstungsindustrie der Grund für die vorgeschlagene Änderung. Die Lega, das Mouvement citoyens genevois, die Grünliberale Partei und die Eidgenössisch-Demokratische Union haben keine Stellungnahme eingereicht.
Die zehn Wirtschaftsverbände und Organisationen, die sich mit Sicherheitsfragen befassen und sich für eine starke Rüstungsindustrie einsetzen und die Stellung genommen haben, befürworten die Änderung des KMG. Sie führen insbesondere an, wie wichtig die Aufrechterhaltung der Einbindung der Schweizer Sicherheits- und Rüstungsindustrie in die internationalen Wertschöpfungsketten im Falle ausserordentlicher Umstände sei. Die Hälfte von ihnen ist allerdings der Meinung, die Vorlage gehe nicht weit genug, und schlägt zwei Möglichkeiten der Anpassung des KMG vor:
-
Artikel 22 a Absatz 2 Buchstabe a KMG (zwingendes Ausschlusskriterium, wenn das Bestimmungsland in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist) soll gestrichen werden, weil die Kombination von Neutralitätsrecht, Sanktionen, internationalen Exportkontrollregimen und Vorgaben von Artikel 22 a Absatz 2 Buchstabe b KMG (zwingendes Ausschlusskriterium, wenn das Bestimmungsland die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzt) genügend umfassend sei, um die Lieferung von Schweizer Waffen an unerwünschte Länder zu verhindern; damit werde auch die Aufnahme von Artikel 22 b, wie sie die Motion 23.3585 verlangt, hinfällig.
-
Artikel 22 KMG soll so angepasst werden, dass Artikel 22 a Absatz 2 Buchstabe a KMG nicht für Länder nach Anhang 2 der Kriegsmaterialverordnung vom 25. Februar 1998 ¹2 gilt, der Bundesrat zur Wahrung der aussen- und der sicherheitspolitischen Interessen des Landes diese Bestimmung aber trotzdem anwenden kann (analog zu Art. 22 b Abs. 1 Bst. b des Entwurfs zur Änderung des KMG [E-KMG], gemäss der Motion 23.3585).
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund sowie zehn Organisationen der Zivilgesellschaft, die Stellung genommen haben und von denen ein Grossteil Mitglied der Allianz gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer ist, lehnen die Vorlage allesamt ab und schliessen sich in ihrer Argumentation der Evangelischen Volkspartei, der Sozialdemokratischen Partei und den Grünen an (ebenfalls Mitglieder der Allianz). Die Mehrheit von ihnen ist gegen jegliche Lockerung der Kriegsmaterialgesetzgebung. Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee hat zudem in ihrer Stellungnahme angekündigt, dass sie das Referendum ergreifen werde, sollte das Parlament die Vorlage genehmigen.
¹2 SR 514.511
2.2 Würdigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens
Die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens zeigen, dass die Vorlage mehrheitlich unterstützt wird, dass allerdings die Positionen zwischen den Behörden und Organisationen, die sie befürworten, und denjenigen, die sie ablehnen, diametral entgegengesetzt sind. Während die Vorlage den Wirtschaftsverbänden zu wenig weit geht, lehnen die meisten Organisationen der Zivilgesellschaft und einige politische Parteien jegliche Lockerung des KMG ab.
Vor diesem Hintergrund wird die vorliegende Botschaft ohne Variante an die eidgenössischen Räte überwiesen, und es wird der von der SiK-S in ihrer Motion 23.3585 verlangte Wortlaut unterbreitet. Die SiK-S hatte bewusst die wortwörtliche Wiederaufnahme des zuvor vom Bundesrat formulierten Gegenvorschlags zur Korrektur-Initiative verlangt. Die zwei von mehreren Wirtschaftsverbänden vorgebrachten Möglichkeiten gehen weiter als der vorliegende Entwurf und damit weiter als der dem Bundesrat von der SiK-S mit ihrer Motion erteilte klare Auftrag, der einen ausformulierten Erlassentwurf enthält. Aus dem vorgenannten Grund schlägt der Bundesrat auch keine restriktivere Variante vor, die die Anwendung der Abweichungskompetenz ausschliesslich auf Artikel 22 a Absatz 2 Buchstabe a KMG beschränken würde, wie es der Kanton Basel-Landschaft empfiehlt. Die Organisationen, welche die Vorlage ablehnen, haben auch keine Lösung in diesem Sinn formuliert. Einer solchen Lösung entspräche auch nicht den Ergebnissen der Vernehmlassung, zumal zwei Drittel der Teilnehmenden die Vorlage befürworten.
Somit überlässt es der Bundesrat den eidgenössischen Räten, im Rahmen der parlamentarischen Beratung zu entscheiden, ob sie den Anwendungsbereich der Abweichungskompetenz für den Bundesrat einschränken oder ausweiten möchten oder ob sie den Entwurf so, wie es die SiK-S in ihrer Motion beantragt, übernehmen wollen.
1¹ Die Vernehmlassungsunterlagen und der Ergebnisbericht sind abrufbar unter
www.fedlex.admin.ch
> Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > WBF > 2024/15.
3 Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht
Die Schweiz und die Mehrzahl ihrer Partnerländer sind Unterzeichnerstaaten des Vertrags vom 2. April 2013 ¹3 über den Waffenhandel. Dieser Vertrag formuliert völkerrechtliche Verpflichtungen, an die alle teilnehmenden Staaten gleichermassen gebunden sind.
Seit der Umsetzung des Gegenvorschlags zur Korrektur-Initiative ist der Rechtsrahmen der Schweiz im Bereich der Exportkontrolle strenger als derjenige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), wodurch die Schweizer Rüstungsindustrie im Verhältnis zur europäischen Konkurrenz benachteiligt wird. Die markantesten Abweichungen stellen die beiden zwingenden Ausschlusskriterien für Bewilligungen dar, wenn das Bestimmungsland die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzt (Art. 22 a Abs. 2 Bst. b KMG) oder in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist (Art. 22 a Abs. 2 Bst. a KMG). Diese Abweichungen sind auch mit der langen humanitären Tradition der Schweiz und ihrer Neutralität zu erklären.
Die Bewilligungskriterien, welche die EU-Mitgliedstaaten in ihrer jeweiligen nationalen Gesetzgebung anwenden, basieren auf dem Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP ¹4 . Was die Schweiz von der EU unterscheidet, ist, dass der Wortlaut der zwingenden Ausschlusskriterien im Schweizer Gesetz (Art. 22 a Abs. 2 KMG) absolut ist. Dagegen verfügen die EU-Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer jeweiligen Gesetzgebung generell über genügend Handlungsspielraum, um die Ausfuhr von Kriegsmaterial auch nach Staaten zu bewilligen, bei denen sie grundsätzlich von einer Exportbewilligung absehen würden. Dies ist zum Beispiel in Fällen denkbar, in denen die nationalen Interessen auf dem Spiel stehen.
¹3 SR 0.518.61
¹4 Gemeinsamer Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern, ABl. L 335 vom 13.12.2008, S. 99; zuletzt geändert durch Beschluss (GASP) 2019/1560, ABl. L 239 vom 17.9.2019, S. 16.
4 Grundzüge der Vorlage
4.1 Beantragte Neuregelung
Die Aufnahme einer Abweichungskompetenz bietet dem Bundesrat im Rahmen der Verpflichtungen nach Artikel 22 KMG einen Handlungsspielraum, um die Ausfuhrpolitik für Kriegsmaterial an sich ändernde aussen- und sicherheitspolitische Gegebenheiten anzupassen. Diese Kompetenz würde es zudem erlauben, im Inland eine an die Bedürfnisse der Schweizer Landesverteidigung angepasste industrielle Kapazität aufrechtzuerhalten (Art. 1 KMG) und die aussenpolitischen Grundsätze der Schweiz zu wahren. Im Anwendungsfall hat der Bundesrat eine Güterabwägung vorzunehmen und zu entscheiden, ob ausserordentliche Umstände vorliegen, welche die Wahrung der aussen- oder der sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz erfordern, und ob eine zeitliche und sachliche Dringlichkeit besteht, die keinen Aufschub zugunsten gesetzgeberischer Arbeiten duldet.
Der Bundesrat dürfte somit nur für einen begrenzten Zeitraum, in Einzelfällen und innerhalb eines im Voraus definierten rechtlichen Rahmens von den Bewilligungskriterien abweichen, um in dringlichen Situationen rasch auf ausserordentliche Umstände reagieren zu können.
Konkret sieht die Abweichungskompetenz für den Bundesrat in einem Artikel 22 b E-KMG analog zu Artikel 7 c des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 1997 ¹5 (RVOG) zwei Möglichkeiten vor: Er kann entweder im Einzelfall mittels Verfügung von den Ablehnungskriterien in Artikel 22 a KMG abweichen (Art. 22 b Abs. 2 E-KMG) oder eine in angemessener Weise befristete Verordnung erlassen (Art. 22 b Abs. 3 E-KMG). In beiden Fällen ist diese Abweichungskompetenz nur unter den folgenden, kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen anwendbar:
1.
Der Bundesrat hat sich bei der Abweichung von den Bewilligungskriterien in Artikel 22 a KMG an die absoluten Schranken von Artikel 22 KMG zu halten.
2.
Es müssen ausserordentliche Umstände vorliegen.
3.
Die Wahrung der aussen- oder der sicherheitspolitischen Interessen des Landes erfordert die Abweichung.
4.
Es besteht eine zeitliche und sachliche Dringlichkeit, die keinen Aufschub zugunsten gesetzgeberischer Arbeiten duldet.
¹5 SR 172.010
4.2 Umsetzungsfragen
Die Anwendung der Abweichungskompetenz des Bundesrates ist vor allem im Zusammenhang mit Staaten vorgesehen, mit denen die Schweiz Kriegsmaterialhandel betreibt - und insbesondere mit ihren wichtigsten wirtschafts- und rüstungspolitischen Partnern, falls eine Bewilligung von Kriegsmaterialgeschäften auf Grundlage von Artikel 22 a KMG nicht mehr möglich ist. In solchen Fällen wäre es wichtig, dass der Bundesrat innerhalb des geltenden Rechtsrahmens eine Güterabwägung vornehmen kann. Es geht also im Wesentlichen um Staaten, in die Kriegsmaterialausfuhren aktuell gemäss der geltenden Gesetzgebung bewilligt werden und welche die Interessen und Werte der Schweiz teilen, darunter auch die Einhaltung der Menschenrechte und des Völkerrechts. Überdies bestehen zwischen den betreffenden Schweizer Rüstungsunternehmen und den entsprechenden Firmen dieser Länder gut integrierte Wertschöpfungsketten.
Grundsätzlich erlaubt es die Abweichungskompetenz dem Bundesrat, innerhalb eines definierten Rechtsrahmens von sämtlichen Bewilligungskriterien in Artikel 22 a KMG abzuweichen. Allerdings ist bei den meisten Kriterien eine Differenzierung nach der Art des auszuführenden Kriegsmaterials, der Situation im Bestimmungsland, dem Endempfänger und der Endnutzung vorgesehen. Weil zudem die internationalen Verpflichtungen sowie die aussenpolitischen Grundsätze der Schweiz den Anwendungsbereich begrenzen, würde die Abweichungskompetenz hauptsächlich dann zur Anwendung kommen, wenn eine solche Differenzierungsmöglichkeit durch das Gesetz ausgeschlossen wäre.
Ein theoretisch möglicher Anwendungsfall könnte etwa vorliegen, wenn ein wichtiger wirtschaftlicher oder sicherheitspolitischer Partner der Schweiz in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt im Sinne von Artikel 22 a Absatz 2 Buchstabe a KMG ¹6 verwickelt wird. In einem solchen Fall könnte ein schnelles Handeln - unter Beachtung der in Artikel 22 KMG statuierten Voraussetzungen - zur Wahrung der aussen- oder der sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz unerlässlich sein.
Die Anwendung der Abweichungskompetenz gemäss Artikel 22 b E-KMG ist somit denkbar, wenn Artikel 22 a Absatz 2 Buchstabe a KMG die Ausfuhr an einen Staat verhindert, der in einen internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist. Ohne eine Entscheidung des UNO-Sicherheitsrates, die eine Aussetzung des Neutralitätsrechts zur Folge hätte, würde Artikel 22 a Absatz 2 Buchstabe a KMG der Schweiz in diesem Fall die Lieferung von Kriegsmaterial oder kriegsrelevanten Gütern an die kriegführenden Staaten verbieten. Der Verkauf von Kriegsmaterial oder kriegsrelevanten Gütern durch private Schweizer Unternehmen an die kriegführenden Staaten wäre neutralitätsrechtlich zwar nicht verboten, müsste aber dem Gleichbehandlungsgebot entsprechen - es sei denn der Sicherheitsrat hat ein Waffenembargo gegen eine Partei eines bewaffneten Konflikts verhängt. Dann hätte der Bundesrat die Möglichkeit, unter Anwendung seiner Abweichungskompetenz von Artikel 22 a Absatz 2 Buchstabe a KMG abzuweichen. Auf Grundlage der Abweichungskompetenz könnte der Bundesrat somit seinen Handlungsspielraum unter Berücksichtigung der Art des Kriegsmaterials, seiner Verwendung und des Endempfängers sowie im Lichte der Schranken von Artikel 22 KMG und dabei insbesondere der Neutralitätspolitik ausloten.
Je nach Kontext wäre allenfalls die Bewilligung von Ausfuhren von Kriegsmaterial möglich, das nicht zu den militärischen Operationen beiträgt, in die der Partner der Schweiz verwickelt ist oder das für den Einsatz im betreffenden Konflikt nicht geeignet ist. In einem solchen Fall müsste der Bundesrat unter Berücksichtigung der konkreten Situation entscheiden, ob eine Unterscheidung zwischen den Endempfängern und dem vom Gleichbehandlungsgebot betroffenen Material juristisch und politisch gerechtfertigt ist. ¹7
Ebenfalls denkbar ist die Anwendung der Abweichungskompetenz, wenn Artikel 22 a Absatz 2 Buchstabe a KMG die Ausfuhr von Kriegsmaterial an einen Staat verbietet, der in einen internen bewaffneten Konflikt verwickelt ist: Im Falle eines internen bewaffneten Konflikts kommt das Neutralitätsrecht nicht zur Anwendung. Allerdings haben die meisten internen bewaffneten Konflikte auch eine internationale Dimension. Deshalb kann es unter Umständen notwendig sein, bei der Prüfung der Anwendbarkeit der Abweichungskompetenz im Lichte von Artikel 22 KMG neutralitätspolitische Überlegungen zu berücksichtigen.
Des Weiteren ist bei der Übernahme eines von der UNO oder der EU verhängten Waffenembargos durch den Bundesrat die Erteilung von Bewilligungen für die Ausfuhr von Kriegsmaterial gemäss Artikel 25 KMG ausgeschlossen. Dieser Artikel legt fest, dass keine Bewilligung erteilt wird, wenn Zwangsmassnahmen nach dem Embargogesetz vom 22. März 2002 ¹8 erlassen wurden. Obwohl gemäss dem vorgeschlagenen Artikel 22 b E-KMG von den Bewilligungskriterien in Artikel 22 a KMG abgewichen werden könnte, wäre eine Abweichung vom vorrangigen Artikel 25 in dieser Situation nicht statthaft.
Es sei darauf hingewiesen, dass Lieferungen an Staaten, die sich im Rahmen einer vom UNO-Sicherheitsrat beschlossenen oder einer von diesem gemäss Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 ¹9 bewilligten Mission in einem bewaffneten Konflikt engagieren, gemäss Kriegsmaterialrecht (Art. 22 a Abs. 4 KMG) weiterhin zulässig sind und keine Anwendung der Abweichungskompetenz erfordern.
Grundsätzlich nicht vorgesehen ist die Anwendung der Abweichungskompetenz des Bundesrates bei Ländern, nach denen die Schweiz Kriegsmaterialausfuhren aktuell aufgrund schwerwiegender und systematischer Menschenrechtsverletzungen nicht bewilligt (zwingendes Ausschlusskriterium in Art. 22 a Abs. 2 Bst. b KMG), in denen ein hohes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird (zwingendes Ausschlusskriterium in Art. 22 a Abs. 2 Bst. c KMG) oder es an einen unerwünschten Endempfänger weitergegeben wird (zwingendes Ausschlusskriterium in Art. 22 a Abs. 2 Bst. d KMG). Die in Artikel 22 a Absätze 3 und 4 sowie in Artikel 23 KMG (Sonderregel für Ersatzteillieferungen) genannten Fälle bleiben dabei vorbehalten.
Im aktuellen Kontext wäre die Anwendung der Abweichungskompetenz schwierig zu rechtfertigen, um Kriegsmaterialausfuhren in unter das Ausschlusskriterium in Artikel 22 a Absatz 2 Buchstaben b, c und d KMG fallende Bestimmungsländer zu erlauben. Die Abweichungskompetenz ist denn auch zur Bewältigung künftiger Herausforderungen vorgesehen - und nicht zur Bewilligung von Ausfuhren in Länder, für die schon heute auf Grundlage des bestehenden Rechtsrahmens keine Bewilligungen erteilt werden. Der Bundesrat ist allerdings heute nicht in der Lage, Entscheiden vorzugreifen, die er in der Zukunft aufgrund der Entwicklungen im Bereich der Aussen- und der Sicherheitspolitik treffen wird. Die Einschränkungen von Artikel 22 KMG bleiben auf alle Fälle anwendbar.
¹6 Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 5. März 2021 zur Volksinitiative «Gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer (Korrektur-Initiative)» und zum indirekten Gegenvorschlag (Änderung des Kriegsmaterialgesetzes), BBl 2021 623 , S. 34.
¹7 Vgl. z. B. in Bezug auf die vom Bundesrat angewandte Praxis während des Irak-Kriegs im Jahr 2003 den Bericht des Bundesrates vom 2. Dezember 2005 «Die Neutralität auf dem Prüfstand im Irak-Konflikt. Zusammenfassung der Neutralitätspraxis der Schweiz während des Irak-Konflikts in Erfüllung des Postulats Reimann (03.3066) und der Motion der SVP-Fraktion (03.3050)», BBl 2005 6997 , S. 7013.
¹8 SR 946.231
¹9 SR 0.120
5 Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen
Art. 22b
Abs. 1
Der Bundesrat kann nur unter Einhaltung der Voraussetzungen in Artikel 22 von den Bewilligungskriterien nach Artikel 22 a abweichen. Gemäss Artikel 22 KMG können Auslandsgeschäfte auch bei Anwendung der Ausnahmeregelung nur bewilligt werden, wenn dies dem Völkerrecht, den internationalen Verpflichtungen und den Grundsätzen der schweizerischen Aussenpolitik nicht widerspricht.
Die aussenpolitischen Grundsätze sind als Zielvorgaben des Bundes insbesondere in Artikel 54 der Bundesverfassung (BV) 2⁰ verankert. Der Bund setzt sich für die Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz und für ihre Wohlfahrt ein, trägt namentlich bei zur Linderung von Not und Armut in der Welt sowie zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker und zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen. Aufgrund ihrer Verankerung in der BV können die aussenpolitischen Grundsätze, wie sie in Artikel 54 BV festgehalten sind, nur durch andere aussenpolitische Interessen relativiert werden. Zusätzlich kommt der Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konventionen und aufgrund ihrer humanitären Tradition eine Fürsprecherrolle für das humanitäre Völkerrecht und für humanitäre Werte zu.
Bei der Beurteilung von Ausfuhrgesuchen für Kriegsmaterial ist sodann immer auch die Neutralität der Schweiz zu beachten. Diese setzt sich aus dem auf den beiden Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907 2¹ basierenden Neutralitätsrecht und der Neutralitätspolitik zusammen. Mittels ihrer Neutralitätspolitik trifft die Schweiz daher ausserhalb ihrer konkreten rechtlichen Verpflichtungen weitere Massnahmen, welche die Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit ihrer Neutralität gewährleisten und damit ihren besonderen Status als dauernd neutraler Staat in der Staatengemeinschaft sicherstellen.
Im Bereich der Kriegsmaterialexporte sind verschiedene völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz relevant. Dazu gehören unter anderem völkerrechtliche Waffenembargos und Sanktionsmassnahmen, insbesondere des UNO-Sicherheitsrates, der Vertrag über den Waffenhandel, das Neutralitätsrecht, das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte. Deren Anwendung und Umsetzung bestimmt sich nach den relevanten völkerrechtlichen Quellen und der entsprechenden internationalen Rechtsprechung.
Vor dem Hintergrund des aktuellen Kontexts und der Relevanz des mit der Abweichungskompetenz einhergehenden Handlungsspielraums werden die neutralitätsrechtlichen Pflichten hier näher erläutert.
Der Status der Neutralität beinhaltet völkerrechtliche Verpflichtungen, die in den zwei Haager Abkommen und im Völkergewohnheitsrecht verankert sind. Das Neutralitätsrecht findet nur Anwendung auf internationale bewaffnete Konflikte, nicht aber auf interne bewaffnete Konflikte. Allerdings können sich auch bei Kriegsmaterialexporten an Staaten, die Partei eines internen und nicht internationalen bewaffneten Konflikts sind, Glaubwürdigkeitsfragen für die schweizerische Neutralität ergeben. Dies kann zum Beispiel bei Stellvertreterkonflikten der Fall sein.
Im aktuellen Kontext sind die folgenden drei spezifischen neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen relevant: 2²
1.
das Verbot, im Rahmen eines internationalen bewaffneten Konflikts militärische Unterstützung zu leisten;
2.
das Verbot, Kriegsmaterial oder kriegsrelevante Güter aus staatseigenen Beständen an Konfliktparteien zu liefern. Der Begriff «kriegsrelevante Güter» kann im jeweiligen Kontext eines Konflikts sehr unterschiedliche Bedeutungen haben. Um zu bestimmen, was «kriegsrelevante Güter» sind, müssen detaillierte Kenntnisse über die Bedürfnisse der Konfliktparteien vorliegen;
3.
die Verpflichtung zur Einhaltung des Gleichbehandlungsgebots bei der Beschränkung der Ausfuhr von Kriegsmaterial oder kriegsrelevanten Gütern durch private Unternehmen im Wissen, dass Kriegsmaterialexporte privater Unternehmen gemäss Neutralitätsrecht zwar erlaubt sind, aber dem KMG unterliegen. Dieses sieht vor, dass die Ausfuhr von Kriegsmaterial nicht bewilligt wird, wenn das Bestimmungsland in einen internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist. In diesem Punkt geht das KMG somit weiter als die neutralitätsrechtliche Pflicht.
Bei der Ausfuhr von Kriegsmaterial in Form von Baugruppen und Einzelteilen an Drittstaaten zur Weiterverarbeitung und Integration in Waffensysteme hat der Bundesrat beschlossen, dass die Zulieferung an Rüstungsunternehmen mit Sitz in Partnerstaaten ²3 möglich ist - und zwar auch dann, wenn das im Ausland hergestellte Kriegsmaterial in der Folge in einen Staat gelangen könnte, der in einen internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist. Das Neutralitätsrecht macht für diesen Fall internationaler Wertschöpfungsketten keine Vorgaben. Gemäss dieser Praxis des Bundesrates werden solche Kriegsmaterial-Zulieferungen für Partnerstaaten grundsätzlich bewilligt, solange ihr Anteil am Herstellungswert des Endprodukts weniger als 50 Prozent beträgt. ²4
Mit Blick auf die Aussetzung des Neutralitätsrechts und der daraus resultierenden Pflichten ist allgemein anerkannt, dass das Neutralitätsrecht nicht zur Anwendung kommt, sollte der UNO-Sicherheitsrat eine Bedrohung, einen Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung feststellen. Im Falle eines vom UNO-Sicherheitsrat beschlossenen Waffenembargos gegen eine Partei eines bewaffneten Konflikts kommt zudem das Gleichbehandlungsgebot nicht zur Anwendung, sodass die Schweiz Exporte durch private Unternehmen unter Einhaltung des geltenden Rechtsrahmens und insbesondere des KMG erlauben darf. Zu bedenken ist jedoch, dass die Zusammenarbeit im UNO-Sicherheitsrat angesichts der aktuell zunehmenden Spannungen zwischen dessen fünf ständigen Mitgliedern bei zahlreichen Themengebieten blockiert ist.
Abs. 1 Bst. a
Der Entscheid, bei Vorliegen ausserordentlicher Umstände von den Bewilligungskriterien in Artikel 22 a KMG abzuweichen, ist nur zulässig, wenn das übergeordnete staatliche Interesse an der Bewilligung eines ansonsten auf der Grundlage dieses Artikels nicht bewilligungsfähigen Auslandsgeschäftes das Interesse an der Bewilligungsverweigerung deutlich überwiegt. Aufgrund der Einbindung der Schweizer Sicherheits- und Rüstungsindustrie in die internationalen Wertschöpfungsketten, die durch eine Verweigerung von Ausfuhrbewilligungen auf der Grundlage von Artikel 22 a Absatz 2 KMG in Mitleidenschaft gezogen werden könnten, sollte der Bundesrat ferner über einen ausreichenden Handlungsspielraum verfügen, um rasch auf ausserordentliche Umstände reagieren zu können. Es sei darauf hingewiesen, dass nicht nur ganze Waffensysteme als Kriegsmaterial gelten, sondern es fallen auch Einzelteile und Baugruppen, die im Rahmen internationaler Wertschöpfungsketten an ausländische Unternehmen geliefert werden, unter die Ausschlusskriterien von Artikel 22 a KMG.
Es obliegt also dem Bundesrat zu entscheiden, in welcher Situation ausserordentliche Umstände im Sinne der Abweichungskompetenz vorliegen. Solche Umstände könnten gegeben sein, wenn sich in Ländern, mit denen die Schweiz enge wirtschaftliche oder diplomatische Beziehungen unterhält, die sicherheitspolitischen Spannungen zuspitzen. Dabei ist zu beachten, dass sich diese ausserordentlichen Umstände von den ausserordentlichen Umständen unterscheiden, die zur Suspendierung oder zum Widerruf bereits erteilter Bewilligungen führen (Art. 19 Abs. 2 KMG).
Abs. 1 Bst. b
Die Wahrung der aussen- oder der sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz könnte insbesondere dann ins Feld geführt werden, wenn künftige Entwicklungen die weitere industrielle Zusammenarbeit von Schweizer Zulieferbetrieben mit Rüstungsunternehmen eines Partnerstaates der Schweiz auf Grundlage von Artikel 22 a KMG verunmöglichen würden. Gerade bei Ländern, zu denen die Schweiz ein enges Verhältnis pflegt und die wichtige politische und wirtschaftliche Partner sind, müsste der Bundesrat bei solchen ausserordentlichen Umständen die Möglichkeit haben, eine Güterabwägung zur Wahrung der aussen- oder der sicherheitspolitischen Interessen vorzunehmen. Wichtig wird diese Möglichkeit der Güterabwägung beispielsweise auch dann sein, wenn Offset-Verpflichtungen aus einer allfälligen Kriegsmaterialbeschaffung betroffen sind, die im Falle der Ablehnung von Ausfuhrbewilligungen Gegenmassnahmen - zum Beispiel mit Folgen für den Nachschub der Schweizer Armee - mit sich bringen könnten oder Folgen für sicherheitspolitische Kooperationsprojekte haben könnten, die der Sicherheit und der Verteidigungsfähigkeit der Schweiz dienen.
Sollten ausserordentliche Umstände vorliegen und sollte die Wahrung der aussen- oder der sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz eine Abweichung von diesen Kriterien notwendig machen, so bleibt das Parlament angesichts der gesetzlichen Vorgaben in die Anwendung des verfassungsmässigen Notrechts involviert (vgl. Art. 7 c RVOG).
Abs. 2 und 3
Für die Inanspruchnahme der Abweichungskompetenz muss zudem eine zeitliche und sachliche Dringlichkeit bestehen, die keinen Aufschub für gesetzgeberische Arbeiten duldet. Zeitliche Dringlichkeit könnte zum Beispiel gegeben sein, wenn Komponenten, für die ein Ausfuhrgesuch gestellt wurde, im Ausland sehr dringend gebraucht werden.
Erfolgt die Abweichung mittels Verfügung, so informiert der Bundesrat die sicherheitspolitischen Kommissionen der Bundesversammlung spätestens 24 Stunden nach seinem Beschluss, also dem Erlass der Verfügung. Erfolgt die Abweichung mittels Verordnung, so befristet der Bundesrat diese angemessen, höchstens aber auf vier Jahre. Er kann die Geltungsdauer einmal verlängern. In diesem Fall tritt die Verordnung sechs Monate nach dem Inkrafttreten ihrer Verlängerung automatisch ausser Kraft, wenn der Bundesrat der Bundesversammlung bis dahin keinen Entwurf für eine Anpassung der gesetzlichen Bewilligungskriterien nach Artikel 22 a unterbreitet. Eine solche Anpassung der Bewilligungskriterien wäre dem Referendum unterstellt. Dieser Mechanismus lehnt sich an das System des verfassungsmässigen Notrechts an (vgl. Art. 7 c RVOG).
2⁰ SR 101
2¹ Abkommen vom 18. Oktober 1907 betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkriegs ( SR 0.515.21 ) und Abkommen vom 18. Oktober 1907 betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte im Falle eines Seekriegs ( SR 0.515.22 )
2² Vgl. Bericht des Bundesrates vom 26. Oktober 2022 in Erfüllung des Postulates 22.3385 der Aussenpolitischen Kommission des Ständerates vom 11. April 2022 über Klarheit und Orientierung in der Neutralitätspolitik, S. 5-6 und 20-21, abrufbar unter
www.parlament
.ch > 22.3385 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.
²3 Partnerstaaten sind die folgenden Länder nach Anhang 2 der Kriegsmaterialverordnung vom 25. Februar 1998 ( SR 514.511 ): Argentinien, Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Irland, Italien, Japan, Kanada, Luxemburg, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn und USA.
²4 Vgl. Bericht des Bundesrates vom 26. Oktober 2022 in Erfüllung des Postulates 22.3385 der Aussenpolitischen Kommission des Ständerates vom 11. April 2022 über Klarheit und Orientierung in der Neutralitätspolitik, S. 21.
6 Auswirkungen
6.1 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft
Laut der Studie der BAK Economics AG «Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Schweizer Rüstungs- und der Dual-Use-Industrie» vom 17. Februar 2023 ²5 generieren die Schweizer Hersteller von Rüstungs- und Dual-Use - Gütern eine Wertschöpfung von rund 35 Milliarden Franken, mit der rund 137 000 Arbeitsplätze verbunden sind. Diese Zahlen beinhalten die Herstellung von Rüstungsgütern (d. h. von Kriegsmaterial und besonderen militärischen Gütern), die Herstellung von Dual-Use - Gütern (d. h. Gütern, die sowohl für zivile als auch militärische Zwecke verwendet werden können), die Herstellung von zivilen Gütern durch die Produzenten von Rüstungs- oder Dual-Use - Gütern sowie die Erbringung von Dienstleistungen entlang der Wertschöpfungsketten. Für die Rüstungsindustrie selbst beläuft sich die gesamte Wertschöpfung auf rund 2,3 Milliarden Franken und die Zahl der Arbeitsplätze auf rund 14 300. Zwischen der Rüstungs- und der Dual-Use - Industrie bestehen mitunter enge Verbindungen und manche Unternehmen sind gleichzeitig in beiden Bereichen tätig. Daher können sich Kriegsmaterialausfuhrbeschränkungen auch direkt oder indirekt auf die Dual-Use - Industrie auswirken (Verlust von Synergien und Skalenerträgen).
Je nach Tragweite einer Situation, in der «ausserordentliche Umstände» vorliegen, kann der Nutzen der Abweichungskompetenz für die STIB der Schweiz von marginaler oder von entscheidender Bedeutung sein. Dies hängt vom jeweiligen Fall ab.
²5 Abrufbar unter www.seco.admin.ch > Aussenwirtschaft & Wirtschaftliche Zusammenarbeit > Wirtschaftsbeziehungen > Exportkontrollen und Sanktionen > Exportkontrolle Industriegüter > Statistik > Volkswirtschaftliche Bedeutung > «Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Schweizer Rüstungs- und der Dual-Use-Industrie».
6.2 Auswirkungen auf die Sicherheit der Schweiz
Sollten ausserordentliche Umstände vorliegen, so könnte der Bundesrat dank der Abweichungskompetenz eine Güterabwägung vornehmen mit dem Ziel, die aussen- oder die sicherheitspolitischen Interessen des Landes zu wahren, einschliesslich jener im Bereich der STIB. Die Aufnahme von Artikel 22 b in das KMG würde der Schweiz somit in einem zunehmend instabilen internationalen Umfeld mehr aussen- oder sicherheitspolitische Flexibilität ermöglichen.
Zum Beispiel könnte die Abweichungskompetenz in Fällen, in denen wichtige wirtschaftliche und sicherheitspolitische Partner der Schweiz in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt werden, potenziell die Aufrechterhaltung wichtiger Geschäftsbeziehungen erlauben. Unter dem aktuellen Rechtsrahmen wäre dies nicht möglich. Die Schweiz wäre somit unter den oben erwähnten Voraussetzungen in der Lage, kooperative Beziehungen mit wichtigen Partnern aufrechtzuerhalten, mit denen sie im Hinblick auf ihre eigene Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit den Austausch sowie die Zusammenarbeit pflegt. Auf diese Weise würde sie im Falle einer Krise oder eines Konfliktes vom Wohlwollen und von der Unterstützung der betreffenden Partner profitieren. Dank der Abweichungskompetenz liesse sich unter Umständen auch die Rechtssicherheit von Offset-Geschäften im Zusammenhang mit Käufen von Rüstungsgütern der Schweizer Armee verbessern und dem Bundesrat würde ganz allgemein ein Handlungsspielraum verschafft, um angesichts der zunehmend volatilen und angespannten Sicherheitslage weiterhin gute Beziehungen mit Schlüsselpartnern zu pflegen.
6.3 Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund
Die Änderung des KMG wirkt sich weder finanziell noch personell auf den Bund aus.
7 Rechtliche Aspekte
7.1 Verfassungsmässigkeit
Der Gesetzesentwurf stützt sich auf Artikel 107 Absatz 2 BV, der den Bund ermächtigt, Vorschriften über die Herstellung, die Beschaffung und den Vertrieb sowie über die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial zu erlassen. Zu berücksichtigen ist auch Artikel 54 Absatz 1 BV, gemäss dem die auswärtigen Angelegenheiten Sache des Bundes sind.
7.2 Vereinbarkeit mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz
Die beantragten Änderungen stehen im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz. Sie schaffen für die Schweiz keine neuen Verpflichtungen gegenüber anderen Staaten oder internationalen Organisationen und sind auch vereinbar mit der EU-Gesetzgebung, die bereits in Kraft oder noch in Ausarbeitung ist, sowie mit den entsprechenden Empfehlungen im Bereich Schutz der Menschenrechte (Europarat, UNO). Ebenfalls konform sind sie insbesondere mit den Verpflichtungen, die die Schweiz mit dem Vertrag über den Waffenhandel eingegangen ist.
7.3 Erlassform
Der Entwurf beinhaltet eine wichtige rechtsetzende Bestimmung, die nach Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen ist. Die Zuständigkeit der Bundesversammlung ergibt sich aus Artikel 163 Absatz 1 BV.
7.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse
Mit der Vorlage werden weder neue Subventionsbestimmungen geschaffen noch neue Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen für einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken oder neue wiederkehrende Ausgaben von mehr als 2 Millionen Franken beschlossen.
7.5 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen
Der Bundesrat hat in seinem Bericht vom 19. Juni 2024 ²6 zur Anwendung von Notrecht gewisse Anforderungen festgehalten, die erfüllt sein müssen, damit spezialgesetzliche Krisenbestimmungen die rechtsstaatliche und demokratische Legitimation von Notmassnahmen tatsächlich zu stärken vermögen. Hierzu muss sich der Gesetzgeber die Fragen stellen, ob die relevanten Rechtsgüter, die geschützt werden sollen, genügend konkretisiert sind, ob die zeitliche und sachliche Dringlichkeit substanziiert wird, ob eine zeitliche Befristung der Notrechtsmassnahmen vorgesehen wird und ob sich aus dem Gesetz ergibt, von welchen Normen abgewichen und von welchen Normen unter keinen Umständen abgewichen werden darf. Beantwortet das Gesetz diese Fragen, so leistet es gegenüber den Bestimmungen der Artikel 184 Absatz 3 und 185 Absatz 3 BV einen rechtsstaatlichen Mehrwert. ²7
Obwohl letztlich das Parlament darüber entscheidet, welchen Grad an gesetzgeberischer Klarheit bei der Ausgestaltung der zur Diskussion stehenden Gesetzesbestimmung opportun ist, sei auf das Folgende hingewiesen: Gemäss dem aktuellen Rechtsrahmen ist eine Güterabwägung durch den Bundesrat nur möglich, wenn sie sich auf die Bestimmungen der BV stützt, insbesondere auf Artikel 184 BV. Eine solche auf die BV gestützte Bewilligung von Kriegsmaterialausfuhren würde dem Wortlaut des Gesetzes zuwiderlaufen und könnte institutionelle Fragen aufwerfen, während eine gesetzlich verankerte Abweichungskompetenz klare Verhältnisse schafft.
²6 «Anwendung von Notrecht. Bericht des Bundesrates vom 19. Juni 2024 in Erfüllung der Postulate 23.3438 Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 24. März 2023 und 20.3440 Schwander vom 6. Mai 2020», BBl 2024 1784 .
²7 BBl 2024 1784 , Ziff. 8. 2.2
Bundesrecht
Botschaft zur Änderung des Kriegsmaterialgesetzes (Aufnahme einer Abweichungskompetenz für den Bundesrat)
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