Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (Einsicht in die Jahresrechnung der für die gemeinsame Durchführung verantwortlichen Organe)
Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (Einsicht in die Jahresrechnung der für die gemeinsame Durchführung verantwortlichen Organe)
vom 13. Dezember 2024
Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren
Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Bundesgesetzes ¹ über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen.
Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben:
| 2022 | M | 21.3599 | Transparenz über die finanziellen Mittel paritätischer Kommissionen (N 15.9.2021, WAK-N; S 1.6.2022) |
Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
| 13. Dezember 2024 | Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Viola Amherd Der Bundeskanzler: Viktor Rossi |
Übersicht
Der Entwurf zur Änderung des Bundesgesetzes über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (im Folgenden AVEG) setzt den Auftrag um, den das Parlament dem Bundesrat mit der Annahme der Motion WAK -N 21.3599 erteilt hat.
Ausgangslage
Die Motion 21.3599 «Transparenz über die finanziellen Mittel paritätischer Kommissionen» wurde am 17. Mai 2021 von der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (WAK-N) eingereicht. Die eidgenössischen Räte haben sie am 1. Juni 2022 angenommen und so den Bundesrat beauftragt, die notwendigen Massnahmen zu treffen, damit die paritätischen Kommissionen (PK) der für allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträge (GAV) verpflichtet werden, ihre Jahresberichte zu veröffentlichen. Die Motion fordert auch, dass die PK über die Zweckbestimmung der Mittel im Fondskapital und über deren Verwendung Rechenschaft ablegen. Schliesslich verlangt sie, dass die Aufsichtsbehörde über die PK, das Staatssekretariat für Wirtschaft, die Eidgenössische Finanzkontrolle oder andere Sachverständige mit der Finanzprüfung beauftragen kann.
Inhalt der Vorlage
Mit dieser Vorlage schlägt der Bundesrat eine Änderung des AVEG vor, mit der allen Arbeitgebern und allen Arbeitnehmenden, die einem allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag unterstellt sind, auf Verlangen kostenlos Einsicht in die Jahresrechnung der PK betreffend die Beiträge für die Vollzugskosten des GAV gewährt wird.
Botschaft
¹ BBl 2025 126
1 Ausgangslage
1.1 Handlungsbedarf und Ziele
Der Entwurf zur Änderung des Bundesgesetzes vom 28. September 1956 ² über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (im Folgenden AVEG) setzt den Auftrag um, den das Parlament dem Bundesrat mit der Annahme der Motion 21.3599 der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (WAK-N) erteilt hat.
Die Motion befasst sich mit allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen (GAV). Eine Allgemeinverbindlicherklärung ist ein Beschluss der zuständigen Behörde des Bundes oder des Kantons, mit dem alle (oder einige) Bestimmungen eines GAV direkt und zwingend auf alle Arbeitgeber und Arbeitnehmenden eines Wirtschaftszweigs oder eines Berufs anwendbar gemacht werden. Das Verfahren für die Allgemeinverbindlicherklärung ist im AVEG geregelt.
Die Vertragsparteien eines GAV sehen häufig Bestimmungen vor, welche die unterstellten Arbeitgeber und Arbeitnehmenden verpflichten, Beiträge an gemeinsame Institutionen oder Kassen der Parteien zu leisten. Die Organisation dieser Institutionen und Kassen sowie ihre Verwaltung wird von den gemeinsam durch die Vertragsparteien bezeichneten Vollzugsorganen wahrgenommen. In der Praxis handelt es sich bei diesen Vollzugsorganen in den allermeisten Fällen um die paritätischen Kommissionen (PK), welche diese Beiträge in ihrer Rolle als Vollzugsorgan des GAV verwalten. Aus diesem Grund wird in dieser Botschaft der Begriff «PK» für diese Vollzugsorgane verwendet. Die Motion WAK-N 21.3599 wurde am 1. Juni 2022 von den eidgenössischen Räten angenommen. Sie verlangt, dass der Bundesrat die notwendigen Massnahmen trifft, damit die PK der allgemeinverbindlich erklärten GAV verpflichtet werden, einerseits ihre Jahresrechnungen zu veröffentlichen und andererseits über die Zweckbestimmung der Mittel im Fondskapital und über deren Verwendung Rechenschaft abzulegen und dass das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) oder andere Sachverständige mit der Finanzprüfung beauftragen kann.
Die zweite Forderung der Motion ist bereits erfüllt. Die PK der allgemeinverbindlich erklärten GAV des Bundes sind nämlich gemäss den Artikeln 3 und 5 Absatz 2 AVEG verpflichtet, dem SECO jährlich ihre Buchführung zu den Beiträgen an die Vollzugskosten der GAV zu unterbreiten. Das SECO als Aufsichtsbehörde prüft, dass die Beiträge in Übereinstimmung mit seinen Weisungen über Beiträge verwendet werden. ³ Hinsichtlich der dritten Forderung kann das SECO als Aufsichtsbehörde über die Kassen der PK verwaltungsinterne oder externe Sachverständige mit der Finanzprüfung beauftragen, was es in der Vergangenheit auch bereits getan hat. In dieser Hinsicht steht insbesondere die Interne Revision des SECO zur Verfügung und nimmt diese Aufgabe auch wahr. Ausserdem hat die EFK das SECO Anfang 2023 einem Audit betreffend dessen Aufgaben im Zusammenhang mit der finanziellen Aufsicht über die PK unterzogen. In ihrem Prüfbericht vom 11. September 2023 ⁴ empfiehlt die EFK dem SECO, die PK zu beauftragen, zusätzlich zur Kontrolle der Jahresrechnung die Einhaltung der Weisungen über Beiträge durch ihre Revisionsstelle prüfen und bestätigen zu lassen. Das SECO hat diese Empfehlungen angenommen und wird sie umsetzen. Die dritte Forderung der Motion ist somit auch bereits erfüllt.
Hinsichtlich der ersten Forderung gibt es zurzeit keine Gesetzesbestimmung, welche die PK verpflichtet, ihre Jahresrechnung bezüglich der Beiträge für die Vollzugkosten des GAV zu veröffentlichen. Jede Drittperson hat jedoch die Möglichkeit, gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz vom 17. Dezember 2004 ⁵ (BGÖ) mittels schriftlichen Gesuchs an das SECO Einsicht in diese Rechnung zu erhalten, ohne dafür ein besonderes Interesse nachweisen zu müssen. Das BGÖ soll die Transparenz namentlich in Bezug auf die Tätigkeit der Verwaltung fördern. Zu diesem Zweck trägt es zur Information der Öffentlichkeit bei, indem es Zugang zu amtlichen Dokumenten gewährleistet. Das SECO erstellt die betreffenden Jahresrechnungen nicht selbst, sondern erhält sie von den PK in seiner Rolle als Aufsichtsbehörde. Diese Möglichkeit weist jedoch mehrere Einschränkungen oder Nachteile auf. Zunächst ist das Gesuch an das SECO zu stellen und nicht direkt an die zuständige PK, die - im Gegensatz zum SECO - jederzeit über die vollständigen Buchhaltungsunterlagen verfügt und ihre Buchhaltung gründlich kennt. Sodann kann die Einsicht unter Umständen kostenpflichtig sein. Ausserdem ist diese Einsichtsmöglichkeit über das SECO der Öffentlichkeit nicht unbedingt bekannt. Schliesslich erfordert ein Gesuch die Konsultation der PK, die über ein Anhörungsrecht verfügen und sich der Aushändigung der Unterlagen widersetzen könnten. Das Verfahren kann daher eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen.
² SR 221.215.311
³ Die Weisungen über Beiträge können auf der Website des SECO abgerufen werden unter: www.seco.admin.ch > Personenfreizügigkeit und Arbeitsbeziehungen > Gesamtarbeitsverträge > Gesamtarbeitsverträge Bund.
⁴ Der Bericht kann abgerufen werden unter:
www.efk.admin.ch
> EFK-22443.
⁵ SR 152.3
1.2 Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung
Die Motion verlangt, dass die Jahresrechnungen der PK veröffentlicht werden. Mehrere Umsetzungsvorschläge wurden geprüft.
1.2.1 Geprüfte Alternativen
Verpflichtung zur Veröffentlichung der Jahresrechnungen der PK durch eine Änderung des AVEG
Der Bundesrat hat die Möglichkeit geprüft, das AVEG zu ändern, um die PK zu verpflichten, ihre Jahresrechnungen zu veröffentlichen. Dieser Vorschlag würde der Forderung der Motion wörtlich entsprechen.
Allerdings ist dieser Umsetzungsvorschlag problematisch, denn er könnte gegen mehrere Verfassungsgrundsätze verstossen.
Der in Artikel 27 der Bundesverfassung (BV) ⁶ verankerte Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit umfasst unter seinen verschiedenen Aspekten auch die freie Organisation des Unternehmens. Die Verpflichtung zur Veröffentlichung ihrer Jahresrechnungen könnte die PK jedoch in ihrer Organisationsfreiheit einschränken.
Unabhängig davon, ob eine Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit vorliegt oder nicht, muss eine staatliche Tätigkeit gemäss Artikel 5 Absatz 2 BV im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein. Es stellt sich die Frage, ob die breite Öffentlichkeit zu den Interessengruppen zählt, die effektiv einen Bedarf an Informationen zum Geschäftsgang einer PK haben, um gewisse Rechte ausüben zu können. Die Allgemeinverbindlicherklärung der GAV betrifft nur einen bestimmten Personenkreis, nämlich die Arbeitgeber und die Arbeitnehmenden, die den allgemeinverbindlich erklärten GAV unterstellt sind. Die Offenlegung der Jahresrechnungen über diesen Personenkreis hinaus würde das Risiko mit sich bringen, Personen Zugang zu den Jahresrechnungen zu erteilen, die keinen Bezug zu den allgemeinverbindlich erklärten GAV haben. Zudem sieht das Gesellschaftsrecht keine allgemeine Verpflichtung vor, Jahresrechnungen Dritten zugänglich zu machen. Eine solche Verpflichtung gibt es nur in Ausnahmefällen, zum Beispiel bei Gesellschaften, die Beteiligungspapiere an einer Börse kotiert haben (Art. 958 e , Abs. 1 des Obligationenrechts [OR] ⁷ ).
Der Bundesrat weist nachdrücklich darauf hin, dass das AVEG Kontrollinstanzen vorsieht, welche die Rechtmässigkeit der Verwaltung der Beiträge überprüfen. Die Verhältnismässigkeit erfordert namentlich, dass unter allen Massnahmen, mit denen das Ziel von öffentlichem Interesse erreicht werden kann, jene gewählt wird, welche die privaten Interessen am wenigsten beeinträchtigt. Der Bundesrat ist jedoch der Meinung, dass diese Alternative nicht diejenige ist, die die Interessen der PK am wenigsten beeinträchtigt und dass andere Massnahmen geeigneter wären.
Der Bundesrat hat diese Alternative daher nicht weiterverfolgt.
Verpflichtung zur Veröffentlichung der Jahresrechnungen der PK durch eine Änderung der Beschlüsse zur Allgemeinverbindlicherklärung der GAV
Der Bundesrat hat zudem die Möglichkeit geprüft, eine Bestimmung in die Beschlüsse über die Allgemeinverbindlicherklärung aufzunehmen, die die PK der allgemeinverbindlich erklärten GAV verpflichtet, ihre Jahresrechnungen zu veröffentlichen. Um eine solche Verpflichtung einzuführen, muss jedoch eine gesetzliche Grundlage im AVEG vorhanden sein. Eine Prüfung hat jedoch gezeigt, dass diese Verpflichtung sich aus keiner aktuellen Bestimmung des AVEG ableiten lässt. Der Bundesrat hat diese Variante daher verworfen.
Schriftliche Vereinbarung, in der sich die PK zur freiwilligen Veröffentlichung ihrer Jahresrechnungen bereit erklären
Der Bundesrat hat auch die Möglichkeit geprüft, die PK der allgemeinverbindlich erklärten GAV zu ermutigen, eine schriftliche Vereinbarung zu unterzeichnen, wonach sie ihre Jahresrechnungen freiwillig auf ihren Websites oder, falls sie selbst über keine verfügen, auf der Website eines dem GAV angeschlossenen Verbandes veröffentlichen.
Einige PK veröffentlichen ihre Jahresrechnungen schon heute: 2021 haben von den 36 allgemeinverbindlich erklärten GAV auf Bundesebene 8 PK ihre Jahresrechnung auf ihrer Website veröffentlicht. Dabei handelte es sich insbesondere um den Landesmantelvertrag für das Bauhauptgewerbe, den GAV für den Personalverleih und den Landes-Gesamtarbeitsvertrag des Gastgewerbes, die alle zahlreiche Arbeitgeber und Arbeitnehmende abdecken.
Der Bundesrat hat diese Variante allerdings nicht weiterverfolgt, da sie sich auf keine Rechtsgrundlage stützt und keine Sanktionsmöglichkeiten für den Fall bestehen, dass eine PK ihre schriftlich vereinbarte Verpflichtung nicht einhält. Die grosse Anzahl an PK auf Kantons- und Bundesebene macht die Umsetzung dieser Variante ausserdem unsicher.
Recht zur Einsicht in die Jahresrechnungen für die einem allgemeinverbindlich erklärten GAV unterstellten Arbeitgeber und Arbeitnehmenden durch eine Änderung des AVEG
Diese Variante besteht in der Änderung von Artikel 5 AVEG durch die Ergänzung von zwei Absätzen, mit denen allen Arbeitgebern und Arbeitnehmenden, die einem allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag unterstellt sind, auf Verlangen kostenlos Einsicht in die Jahresrechnung der PK gewährt werden soll.
Eine solche Variante greift weniger stark in die Wirtschaftsfreiheit ein als die Pflicht zur Veröffentlichung der Jahresrechnung. Da nur direkt interessierte Personen, das heisst Arbeitgeber und Arbeitnehmende, die Beiträge zahlen, von diesem Recht auf Einsichtnahme in die Jahresrechnungen Gebrauch machen könnten, wird der Grundsatz der Verhältnismässigkeit eingehalten.
Diese Personen könnten sich direkt an die PK des GAV wenden, dem sie unterstellt sind, anstatt wie heute indirekt an die für die Allgemeinverbindlicherklärung zuständigen Behörden, indem sie ein auf das BGÖ gestütztes Gesuch einreichen, wenn es sich um einen GAV auf Bundesebene handelt, oder sich auf die kantonale Gesetzgebung zum Öffentlichkeitsprinzip beziehen, wenn es sich um einen kantonalen GAV handelt, mit den unter Ziffer 1.1 genannten Nachteilen. Da sie ein legitimes Bedürfnis haben, zu erfahren, wie die von ihnen bezahlten Beiträge verwendet werden, ist es gerechtfertigt, dass sie ein Recht auf Einsicht in die Buchhaltung der PK erhalten, das bekannt, einfach und kostenlos ist.
⁶ SR 101
⁷ SR 220
1.2.2 Gewählte Lösung
Der Bundesrat schlägt vor, diese Motion umzusetzen, indem Artikel 5 AVEG mit zwei neuen Absätzen ergänzt wird, die ein Recht auf Einsicht in die Jahresrechnungen der PK für die Arbeitgeber und Arbeitnehmenden, die einem allgemeinverbindlich erklärten GAV unterstellt sind, vorsehen (letzte geprüfte Variante).
1.3 Verhältnis zur Legislaturplanung
Die Vorlage ist in der Botschaft vom 24. Januar 2024 ⁸ zur Legislaturplanung 2023-2027 angekündigt.
⁸ BBl 2024 525
1.4 Erledigung parlamentarischer Vorstösse
Die Vorlage ermöglicht die Erledigung der Motion WAK-N 21.3599 «Transparenz über die finanziellen Mittel paritätischer Kommissionen».
2 Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren
2.1 Vernehmlassungsvorlage
Die Vernehmlassungsvorlage sieht ein Recht auf Einsichtnahme in die Jahresrechnungen der PK vor (vgl. Ziff. 1.2.2).
Es ist zu erwähnen, dass die Vernehmlassungsvorlage die Umsetzung der Motion WAK-N 21.3599 und der Motion Ettlin Erich 20.4738 umfasste Die Vorlage wurde im Nachgang zur Vernehmlassung auseinandergenommen und die beiden Motionen getrennt behandelt (vgl. Ziff. 2.2.1).
Die Motion Ettlin Erich, die am 14. Dezember 2022 von den eidgenössischen Räten angenommen wurde, beauftragt den Bundesrat, das AVEG so zu ändern, dass die Bestimmungen eines allgemeinverbindlich erklärten GAV, die sich auf den Mindestlohn, den 13. Monatslohn und den Ferienanspruch beziehen, Vorrang vor dem kantonalen Recht haben. Die Vernehmlassungsvorlage sieht eine Änderung des AVEG vor, mit der es möglich wird, Bestimmungen in GAV, die niedrigere als die in den kantonalen Gesetzen festgelegten Mindestlöhne vorsehen, für allgemeinverbindlich zu erklären.
2.2 Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens
Die Vernehmlassung fand vom 24. Januar bis zum 1. Mai 2024 statt. Die Kantone, die in der Bundesversammlung vertretenen politischen Parteien, die Dachverbände der Wirtschaft sowie weitere Organisationen wurde eingeladen, Stellung zu nehmen. Insgesamt sind 105 Stellungnahmen eingegangen, von denen sich 58 auf die Vorlage zur Umsetzung der Motion WAK-N 21.3599 bezogen haben. Der vollständige Bericht zu den Ergebnissen dieser Vernehmlassung kann im Internet eingesehen werden. ⁹
Eine deutliche Mehrheit der Kantone, der politischen Parteien, der Dachverbände der Wirtschaft und der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände begrüsst die Vorlage, wobei einige gewisse Anpassungsvorschläge anbringen.
Von den 20 Kantonen, die Stellung genommen haben, unterstützen 18 (AG, AI, BE, BL, BS, GL, GR, NE, OW, SG, SH, SO, TI, UR, VD, VS, ZG und ZH) die Vorlage uneingeschränkt.
Zwei Kantone (GE und LU) sind dagegen.
GE hält es nicht für notwendig, den einem allgemeinverbindlich erklärten GAV unterstellten Arbeitgebern und Arbeitnehmenden ein direktes Recht auf Einsicht in die Jahresrechnungen der PK zu gewähren, da schon heute jede direkt betroffene Person mittels eines auf die eidgenössischen oder kantonalen Gesetzesbestimmungen zur Information der Öffentlichkeit und zum Zugang zu Unterlagen gründenden Verfahrens Zugang zu dieser Art von Dokumenten erhalten kann.
LU ist gegen die Vorlage und macht auf den allfälligen administrativen Mehraufwand aufgrund eines solchen Einsichtsrechts für die jeweiligen PK aufmerksam.
Von den politischen Parteien unterstützen die SP und die Grünen die Vorlage. Die SP ist der Ansicht, dass diese die Transparenz über die Verwendung der Mittel aus paritätischen Fonds stärkt. Sofern solche Anfragen zu einem beachtlichen administrativen Mehraufwand führen würden, sollten ihrer Meinung nach allerdings ressourceneffiziente Umsetzungsformen erlaubt sein, wie zum Beispiel die elektronische Zustellung der Jahresrechnung.
Die FDP befürwortet die Forderung nach Transparenz und Offenlegung betreffend die Verwendung von Fondskapital und anderen Mitteln durch die PK. Laut ihr stärke diese Massnahme das Vertrauen der Öffentlichkeit in das System der GAV und würde gewährleisten, dass die Gelder im Interesse der Arbeitnehmenden verantwortungsvoll eingesetzt werden. Sie ist jedoch der Ansicht, dass die Details der Umsetzung dieser Motion unter Berücksichtigung der eingegangenen Stellungnahmen vertieft abgeklärt werden müssen.
Die SVP begrüsst die Vorlage, da sie die Erhöhung der Rechenschaft der PK unterstützt. Jedoch ist sie der Ansicht, dass über die Vorlage hinaus weiterer Handlungsbedarf besteht. Sie schlägt folglich vor, diese anzupassen, indem jegliche Beitragsrückerstattungsmechanismen verboten werden, die darauf abzielen, die von den Mitgliedern an Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisationen gezahlten Beiträge zu senken. Zudem sollen die PK verpflichtet werden, ihre detaillierten Jahresabschlüsse elektronisch zu veröffentlichen.
Der Schweizerische Städteverband erachtet die Vorlage als verhältnismässig und unterstützt sie, da er der Ansicht ist, dass dadurch die Transparenz verbessert, die Einsichtnahme vereinfacht und gleichzeitig die Wirtschaftsfreiheit der PK gewahrt wird.
Von den Dachverbänden der Wirtschaft befürworten der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB), Travail Suisse, der Kaufmännische Verband Schweiz (KFMV) und die Mehrheit der Mitglieder des Schweizerischen Gewerbeverbandes die Vorlage. Der SGB, Travail Suisse sowie andere Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände geben allerdings zu bedenken, dass die Anfragen um Einsicht einen administrativen Mehraufwand verursachen können. Daher sind einige von ihnen der Ansicht, dass ressourceneffiziente Umsetzungsformen, wie eine elektronische Zustellung der Jahresrechnung, möglich sein sollen. Der KFMV hält es jedoch für wichtig, die finanziellen Informationen mit zusätzlichen Erläuterungen zu versehen, um Missverständnisse zu vermeiden.
Von den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden haben sich 28 geäussert. 21 Teilnehmende, sowohl Verbände der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmenden, befürworten die Vorlage, vor allem mit der Begründung, dass diese die Transparenz bei der Verwendung der Mittel aus paritätischen Fonds erhöht und die Verfassungsgrundsätze der Wirtschaftsfreiheit, des öffentlichen Interesses und der Verhältnismässigkeit einhält. Gewisse Teilnehmende schlagen über das vorgesehene Einsichtsrecht hinaus die folgenden Präzisierungen und Anpassungen vor: Einsicht in die Rechnungen am Sitz der PK mit der Möglichkeit, von diesen Erläuterungen zu verlangen, ein Einsichtsrecht auch für Gewerkschaften, die nicht Vertragspartner des GAV sind, Abschluss und Veröffentlichung von Leistungsvereinbarungen mit den Sozialpartnern und schliesslich die Ergänzung von Artikel 5 AVEG durch einen zusätzlichen Absatz, in dem gewisse in den Weisungen des SECO über Beiträge enthaltene Grundsätze verankert würden. Bei den 7 Verbänden, welche die Vorlage ablehnen, handelt es sich um Arbeitgeberverbände. 5 von ihnen sprechen sich aus denselben Gründen wie die SVP gegen die Vorlage aus und schlagen dieselben Anpassungen wie sie vor. Die beiden anderen halten ein Einsichtsrecht, wie es in der Vorlage vorgesehen ist, nicht für nötig, der eine, da er der Ansicht ist, dass alle Arbeitgeber und Arbeitnehmenden sich direkt an ihre in den PK vertretenen Delegierten der Arbeitgeberseite oder der Gewerkschaften wenden können, der andere, da dieses seines Erachtens in die Autonomie der PK eingreift. Letzterer hält die Vorlage dennoch für vertretbar, unter den Voraussetzungen, dass die Unentgeltlichkeit der Einsichtnahme gestrichen wird, dass ergänzt wird, dass alle Arbeitgeber und Arbeitnehmenden ein Auskunftsrecht haben, sofern sie ein berechtigtes Interesse nachweisen können, und dass die detaillierte Jahresrechnung der detaillierten Jahresrechnung entspricht, welche die PK dem SECO einreicht.
Das KMU-Forum wiederum unterstützt das Vorhaben. Es ist der Meinung, dass die PK, die Aufgaben im Rahmen des Vollzugs der GAV wahrnehmen und diese durch obligatorische Beiträge finanzieren, einen kostenlosen Zugang zu ihren detaillierten Jahresabschlüssen gewähren sollten. So könnte sichergestellt werden, dass die Einnahmen im Interesse der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und nicht für fremde Aktivitäten verwendet werden.
Zehn Teilnehmende haben sich schliesslich zur Umsetzung der Motionen WAK-N 21.3599 und Ettlin Erich 20.4738 in einer gemeinsamen Vorlage geäussert. Diese Teilnehmenden fordern die Trennung und eine unabhängige Behandlung der beiden Motionen mit der Begründung, dass sie im Parlament nie gemeinsam behandelt wurden und dass sie sich auf unterschiedliche inhaltliche Anliegen beziehen. Zudem verweisen sie darauf, dass die beiden Themen möglicherweise in unterschiedlichem Rhythmus beraten werden müssen. Schliesslich bestünde ihrer Ansicht nach die Gefahr, dass, wenn das Parlament den Umsetzungsvorschlag der einen Motion ablehnen würde, das Gesamtpaket abgelehnt würde.
⁹ Der Ergebnisbericht der Vernehmlassung ist abrufbar unter:
www.admin.ch
> Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2024 > WBF.
2.3 Würdigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens
Getrennte Behandlung der Motionen WAK-N 21.3599 und Ettlin Erich 20.4738
Der Bundesrat hat die Argumente der Teilnehmenden, welche eine getrennte Behandlung der beiden Motionen fordern, berücksichtigt. Im Nachgang zur Vernehmlassung wurde die Vorlage auseinandergenommen und die Umsetzung jeder Motion wird separat behandelt.
Verpflichtung zur Veröffentliche der Jahresrechnungen
Der Bundesrat lehnt die Forderung gewisser Teilnehmender, die sich gegen die Vorlage aussprechen, ab, wonach die PK verpflichtet werden sollten, ihre Jahresrechnungen zu veröffentlichen, denn eine solche Pflicht würde gegen mehrere Verfassungsgrundsätze verstossen, wie unter Ziffer 1.2.1 dargelegt wurde.
Keine Notwendigkeit der Einführung eines Rechts auf Einsicht in die Jahresrechnungen
Das Argument, es sei nicht nötig, den einem allgemeinverbindlich erklärten GAV unterstellten Arbeitgebern und Arbeitnehmenden ein Recht auf Einsicht in die Jahresrechnungen zu gewähren, denn jede Person könne diese bereits auf der Grundlage der eidgenössischen und kantonalen Gesetzesbestimmungen zur Information der Öffentlichkeit und zum Zugang zu Unterlagen konsultieren, wird aus den unter Ziffer 1.1 aufgeführten Gründen abgelehnt.
Dem anderen Argument, es sei unnötig, ein solches Recht zu gewähren, da alle Arbeitgeber und Arbeitnehmenden sich direkt an ihre in den PK vertretenen Delegierten der Arbeitgeberseite oder der Gewerkschaften wenden können, wurde ebenfalls nicht gefolgt. Es sind nämlich nur die Arbeitgeber und Arbeitnehmenden, die Mitglied eines dem allgemeinverbindlich erklärten GAV angeschlossenen Verbands sind, durch Delegierte der Arbeitgeberseite oder der Gewerkschaften in der PK vertreten und können sich damit für Auskünfte zu den Jahresrechnungen direkt an diese wenden. Die Arbeitgeber und Arbeitnehmenden, die nicht Mitglied eines des am GAV beteiligten Verbandes sind (sog. Aussenseiterinnen und Aussenseiter), verfügen über keine Delegierten in den PK. Aus diesem Grund wird die Forderung, auf das in der Vorlage vorgesehene Einsichtsrecht zu verzichten, abgelehnt.
Risiko eines administrativen Mehraufwands
Mehrere Teilnehmende, sowohl Befürworter als auch Gegner der Vorlage, befürchten, dass das den einem allgemeinverbindlich erklärten GAV unterstellten Arbeitnehmenden und Arbeitgebern gewährte Einsichtsrecht zu einem administrativen Mehraufwand für die PK führen würde. Das Recht kann zwar einen zusätzlichen administrativen Aufwand mit sich bringen, jedoch nicht in übermässiger Weise, da die PK die Möglichkeit haben werden, ihre Jahresrechnungen mit einer einfachen E-Mail an die Gesuchstellenden zu versenden. Falls sie es bevorzugen, können die PK diese Verpflichtung auch erfüllen, indem sie ihre Jahresrechnungen auf ihrer Website veröffentlichen, wie mehrere PK dies heute bereits tun. Diese Möglichkeit hat den Vorteil, dass sie praktisch keinen zusätzlichen Arbeitsaufwand und damit kaum Personalkosten verursacht. Somit kann das Risiko eines administrativen Mehraufwands vermieden werden.
Einsicht in die Jahresrechnungen am Sitz der PK und zusätzliche Erläuterungen
Da die Vorlage die Modalitäten des Einsichtsrechts nicht präzisiert, steht es den PK frei, dieses umzusetzen, wie sie es für richtig halten. Folglich können sie durchaus den Berechtigten vor Ort an ihrem Sitz Einsicht in die Jahresrechnungen gewähren. Jedoch sieht die Vorlage nicht die Möglichkeit vor, von den PK zusätzliche Erläuterungen zu den Jahresrechnungen zu verlangen, wie dies gewisse Teilnehmende fordern. Eine solche Möglichkeit ist im Prinzip nicht nötig, da der Anhang zur Jahresrechnung, der ergänzende Informationen zu den Hauptdokumenten, nämlich der Bilanz und der Erfolgsrechnung, enthält und somit zu einem guten Verständnis der Finanzlage der PK beiträgt, Teil der an die Gesuchstellenden versandten Jahresrechnung ist. Daher wird diese Forderung zur Anpassung der Vorlage verworfen. Falls sie dies wünschen, können die PK jedoch Gesuchen um Erläuterungen oder zusätzliche Informationen Folge leisten.
Einsichtsrecht für Gewerkschaften, die nicht am GAV beteiligt sind
Die Gewerkschaften, die nicht Vertragsparteien des GAV sind, haben im Unterschied zu den Arbeitnehmenden, die Aussenseiterinnen und Aussenseiter sind, keine Beiträge zu bezahlen. Somit haben sie kein direktes Interesse an der Einsicht in die Jahresrechnungen der PK. Diese Forderung wurde nicht berücksichtigt.
Abschluss und Veröffentlichung von Leistungsvereinbarungen mit den Sozialpartnern
Es wurde verlangt, dass Leistungsvereinbarungen mit den Sozialpartnern abgeschlossen und veröffentlicht werden, um die korrekte Verwendung der Beiträge und die Gleichbehandlung zwischen Mitgliedern und Aussenseiterinnen und Aussenseitern sicherzustellen. Es wurde aber nicht aufgezeigt, mit wem die Sozialpartner diese Vereinbarungen abschliessen sollen. Im unter Ziffer 1.1 erwähnten Prüfbericht empfahl die EFK dem SECO, in seinen Weisungen Präzisierungen zu den Nachweisen anzubringen, in denen die Sozialpartner ihre Ausgaben für den Vollzug der GAV aufzuführen haben. Das SECO hat diese Empfehlung angenommen und arbeitet derzeit an ihrer Umsetzung. Nach Ansicht des Bundesrates ist es nicht zweckmässig, weitere Anpassungen gleichzeitig mit den Arbeiten zur Umsetzung der Empfehlung der EFK vorzunehmen.
Verbot jeglicher Mechanismen zur Rückerstattung der Beiträge an die Sozialpartner oder an ihre Mitglieder
Einige Teilnehmende bemängeln, dass zahlreiche allgemeinverbindlich erklärte GAV Rückerstattungsmechanismen enthalten, die Finanzströme an Arbeitnehmer- und vereinzelt auch an Arbeitgeberorganisationen schaffen, die mit keinen spezifischen Leistungen hinterlegt sind und ihrer Meinung nach grundsätzlich nicht gerechtfertigt werden können. Daher fordern sie, dass die Vorlage jegliche Mechanismen zur Rückerstattung der Beiträge an die Sozialpartner oder an ihre Mitglieder zur Reduktion von deren Mitgliederbeiträgen verbietet. Diese Forderung wurde abgelehnt. Die Weisungen des SECO über Beiträge sehen nämlich ausdrücklich vor, dass Rückerstattungen der Beiträge nur unter der Voraussetzung zulässig sind, dass die Verbände Ausgaben, die den Verwendungszwecken der Beiträge entsprechen, in der Höhe der gesamten Summen, die sie erhalten haben, nachweisen können. Sie müssen diese Ausgaben anhand der im vorangehenden Absatz erwähnten Nachweise belegen, die, wie zuvor erwähnt, in nächster Zeit mit detaillierteren und vollständigeren Angaben als heute in den Weisungen des SECO ergänzt werden. Es ist Sache der Sozialpartner, zu entscheiden, ob sie Rückerstattungen an die Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerverbände vornehmen wollen, wobei sie die rechtlichen Voraussetzungen und die Weisungen des SECO einzuhalten haben. Eine grosse Mehrheit der Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerverbände, die Vertragsparteien eines allgemeinverbindlich erklärten GAV sind, nutzt diese Rückerstattungen.
Verankerung gewisser in den Weisungen des SECO über Beiträge enthaltener Grundsätze im Gesetz
Ein Teilnehmer schlägt vor, gewisse in den Weisungen des SECO über Beiträge enthaltene Grundsätze im AVEG zu verankern. Manche dieser Grundsätze könnten angesichts ihrer Bedeutung effektiv ihren Platz im AVEG haben. Allerdings geht dieser Vorschlag über die Forderung der Motion WAK-N 21.3599 hinaus. Zudem sind diese Weisungen, obwohl sie keine Gesetzeskraft haben, verbindlich für die PK. Dieser Vorschlag wurde daher verworfen.
Nachweis eines berechtigten Interesses und Streichung der Unentgeltlichkeit der Einsicht
Ein Gegner der Vorlage verlangt, dass das Einsichtsrecht durch ein berechtigtes Interesse zu rechtfertigen ist und dass die Einsicht zu bezahlen ist. Arbeitgeber und Arbeitnehmende, die einem allgemeinverbindlich erklärten GAV unterstellt sind und der PK Beiträge für den Vollzug ihrer Aufgaben bezahlen müssen, haben grundsätzlich ein berechtigtes Interesse, zu erfahren, wie ihr Geld verwendet wird. Daher gibt es keinen Grund, die Vorlage zu ergänzen, indem der Nachweis eines berechtigten Interesses verlangt wird, um das Recht auf Einsicht in die Jahresrechnungen zu erhalten. Weiter ist zu präzisieren, dass das auf das BGÖ gestützte Recht auf den Zugang zu amtlichen Dokumenten, das jede Person nützen kann, keinen Nachweis eines berechtigten Interesses erfordert. Was die Unentgeltlichkeit der Einsicht angeht, so versteht sich diese von selbst, da die Personen, denen dieses Einsichtsrecht gewährt wird, die Schuldnerinnen und Schuldner dieser Beiträge sind. Der Vorschlag der Streichung der Unentgeltlichkeit wird daher nicht weiterverfolgt.
Recht auf Einsicht in alle Unterlagen, die dem SECO unterbreitet werden
Ein Teilnehmer ist der Ansicht, dass das Einsichtsrecht sämtliche dem SECO unterbreiteten Unterlagen umfassen müsste. Die Motion WAK-N 21.3599 verlangt die Veröffentlichung der Jahresrechnungen der PK. Gemäss Artikel 958 Absatz 2 OR besteht die Jahresrechnung aus der Bilanz, der Erfolgsrechnung und dem Anhang zur Jahresrechnung. Die Vorlage sieht die Einsicht in dieselben Buchhaltungsunterlagen vor und entspricht in diesem Punkt dem, was die Motion vorsieht. Aus diesem Grund hat der Bundesrat diesen Antrag nicht berücksichtigt.
3 Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht
Die Vorlage weist keinen besonderen Bezug zum Recht der Europäischen Union auf.
4 Grundzüge der Vorlage
4.1 Die beantragte Neuregelung
Zur Umsetzung der Motion WAK-N 21.3599 wird Artikel 5 AVEG um zwei neue Absätze ergänzt, die ein Einsichtsrecht in die Jahresrechnungen der PK betreffend die Vollzugskosten der GAV vorsehen.
4.2 Umsetzung
Die vorgeschlagenen Bestimmungen werden nicht in Verordnungen präzisiert werden müssen. Die Umsetzung des durch die Vorlage vorgesehenen Einsichtsrechts ist Sache der PK.
5 Erläuterungen zu einzelnen Bestimmungen
Titel
Die Abkürzung AVEG wird in der Praxis bereits sehr häufig benutzt. Dem Gesetz wird daher die Abkürzung AVEG beigefügt.
Artikel 5 Absätze 3 und 4
Absatz 3 sieht vor, dass alle Arbeitgeber und Arbeitnehmenden, die einem allgemeinverbindlich erklärten GAV unterstellt sind, vom Organ, das mit dem gemeinsamen Vollzug im Sinne von Artikel 357 b Absatz 1 OR betraut ist, Einsicht in seine detaillierte Jahresrechnung über die Beiträge an die Vollzugskosten des GAV verlangen kann. Dabei können nur die Rechnungen derjenigen Jahre eingesehen werden, für die die Arbeitnehmenden oder die Arbeitgeber Beiträge einbezahlt haben. Die mit dem gemeinsamen Vollzug betrauten Organe im Sinne von Artikel 357 b Absatz 1 OR sind in den allermeisten Fällen die PK. Diese sorgen nämlich in der Praxis für die korrekte Anwendung der GAV und sind berechtigt, die Beiträge an die Vollzugskosten zu erheben und zu verwenden. Da der Begriff «paritätische Kommissionen» im AVEG und im OR nicht verwendet wird, verwendet die Bestimmung die Formulierung «Organe, die für die gemeinsame Durchführung nach Artikel 357 b Absatz 1 des Obligationenrechts verantwortlich sind».
Die Umsetzung des Einsichtsrechts wird Sache der PK sein, die ihre Jahresrechnungen zu den Vollzugskostenbeiträgen des GAV den Arbeitgebern und Arbeitnehmenden, die dem allgemeinverbindlich erklärten GAV unterstellt sind, auf Verlangen kostenlos zur Verfügung stellen müssen. Letztere werden ihren Antrag nicht begründen müssen, da ihr Interesse an der Einsicht in diese Rechnungen als Schuldnerinnen und Schuldner dieser Beiträge offensichtlich ist. Sie werden eine Kopie der Jahresrechnungen (nach Wahl der PK per Post oder per E-Mail) erhalten. Eine Einsicht am Sitz der PK ist ebenfalls denkbar.
Die PK, die ihre Jahresrechnungen auf ihrer Website veröffentlichen, werden nicht zusätzlich ein Einsichtsrecht gewähren müssen.
Bei Streitigkeiten zwischen einer PK und einer oder einem Gesuchstellenden, insbesondere über das Vorliegen eines Rechts auf Einsichtnahme oder über die Art und Weise, wie dieses Recht ausgeübt wird, sind die Zivilgerichte zuständig.
Absatz 4 legt fest, aus welchen Dokumenten die detaillierte Jahresrechnung der PK besteht, und stützt sich auf Artikel 958 OR zur Rechnungslegung in der kaufmännischen Buchführung. Es handelt sich um die Bilanz, die Erfolgsrechnung und den Anhang zur Jahresrechnung.
6 Auswirkungen
6.1 Auswirkungen auf den Bund
Die Vorlage hat keine Auswirkungen auf den Bund, weder in finanzieller noch in personeller Hinsicht.
6.2 Auswirkungen auf die Kantone
Die Vorlage hat keine Auswirkungen auf die Finanzen oder das Personal der Kantone.
6.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft
Die Vorlage hat wirtschaftliche Auswirkungen auf die untenstehenden Akteure.
Paritätische Kommissionen
Die PK der allgemeinverbindlich erklärten GAV werden den Arbeitgebern und den Arbeitnehmenden, die den allgemeinverbindlich erklärten GAV unterstellt sind, ein Recht auf Einsicht in ihre Jahresrechnungen gewähren müssen. Diese Verpflichtung kann für sie einen zusätzlichen administrativen Aufwand mit sich bringen, der Mehrkosten im Personalbereich nach sich ziehen könnte. Diese Kosten lassen sich schwer abschätzen, da sie insbesondere von der Anzahl der Anträge um Einsichtnahme abhängen werden, die von Jahr zu Jahr schwanken können. Jedoch sollten sie nicht allzu hoch sein, da es grundsätzlich ausreicht, diese Jahresrechnungen per E-Mail an die Gesuchstellenden zu versenden. Dieser zusätzliche administrative Aufwand wird keine Erhöhung der Beiträge an die Vollzugskosten rechtfertigen. Die PK, die ihre Jahresrechnungen bereits veröffentlichen, werden keine zusätzlichen Kosten tragen müssen.
Arbeitgeber und Arbeitnehmende
Das Recht auf Einsicht in die Jahresrechnungen der PK fördert indirekt eine zweckmässigere Verwendung der Vollzugskostenbeiträge und eine angemessenere Bildung von finanziellen Reserven. Allgemeiner kann das Einsichtsrecht indirekt einen effizienteren Vollzug der GAV fördern.
7 Rechtliche Aspekte
7.1 Verfassungsmässigkeit
Der Entwurf stützt sich auf Artikel 110 Absatz 1 Buchstabe d BV, der festlegt, dass der Bund Vorschriften über die Allgemeinverbindlicherklärung von GAV erlassen kann.
Das Recht auf Einsicht in die Jahresrechnungen der PK greift weniger stark in die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) ein als die Veröffentlichung der Jahresrechnungen. Die Wirtschaftsfreiheit kann jedoch durch diese neue Bestimmung beeinträchtigt werden. Die Gewährung eines Einsichtsrechts in die Jahresrechnungen zu den Vollzugskosten der GAV könnte nämlich als eine Einschränkung der freien Organisation der PK gesehen werden, die ein Bestandteil der Wirtschaftsfreiheit ist. Sobald eine Einschränkung von Grundrechten nicht ausgeschlossen werden kann, ist sie unter dem Gesichtspunkt von Artikel 36 BV zu prüfen. Gemäss Artikel 36 Absätze 1- 3 BV bedarf jede Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit einer gesetzlichen Grundlage, muss durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein und in Bezug auf den angestrebten Zweck verhältnismässig sein. Im vorliegenden Fall würde die Einschränkung gemäss obigen Ausführungen auf Artikel 5 Absätze 3 und 4 E-AVEG basieren, der ein Recht auf Einsicht in die Jahresrechnungen der PK vorsieht. Ausserdem wäre diese Einschränkung durch das Interesse einer eingeschränkten Gruppe von Personen, nämlich den Arbeitgebern und Arbeitnehmenden, die einem allgemeinverbindlich erklärten GAV unterstellt sind, die Jahresrechnungen der PK einzusehen, begründet. Da diese Personen Beiträge an die PK entrichten, haben sie ein legitimes Interesse, Zugang zu diesen Jahresrechnungen zu haben, um zu wissen, wie ihre Beiträge verwendet werden. Es erfüllt schliesslich den Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Das vorgesehene Einsichtsrecht erlaubt es, das angestrebte Ziel zu erreichen, nämlich mehr Transparenz bei der Verwaltung der Beiträge zu schaffen. Es ist insofern nicht unverhältnismässig, weil die Einsicht in die Jahresrechnung auf Verlangen der Veröffentlichung der Konten vorgezogen wird und der Kreis der Personen, welche die Konten einsehen können, auf die Arbeitgeber und Arbeitnehmenden beschränkt wurde, welche die Beiträge zahlen und somit ein direktes Interesse daran haben, diese Informationen zu erhalten. Von den Varianten, die zur Erreichung dieses Ziels geprüft wurden, stellt das Recht auf Einsicht in die Jahresrechnung die Massnahme dar, die die wirtschaftliche Freiheit der PK am wenigsten tangiert. Schliesslich ist das Verhältnis zwischen dem Ziel und dem Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit der PK angemessen. Sollte die Wirtschaftsfreiheit der PK durch das Einsichtsrecht eingeschränkt werden, würde diese Einschränkung folglich über eine gesetzliche Grundlage verfügen, durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt sein und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit einhalten, wie es Artikel 36 BV verlangt.
7.2 Vereinbarkeit mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz
Die Vorlage zur Änderung des AVEG ist mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz, insbesondere mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar.
7.3 Erlassform
Gemäss Artikel 164 BV sind alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen. Die Vorlage hält diese Regel ein.
7.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse
Mit der Vorlage werden weder neue Subventionsbestimmungen noch neue Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen. Die Vorlage ist somit nicht der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV) unterstellt.
7.5 Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz
Das Subsidiaritätsprinzip und das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz sind von der Vorlage nicht betroffen.
7.6 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen
Die Vorlage beinhaltet keine Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen.
7.7 Datenschutz
Die Vorlage hat keine Auswirkungen auf den Datenschutz.
Bundesrecht
Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (Einsicht in die Jahresrechnung der für die gemeinsame Durchführung verantwortlichen Organe)
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